Recht leere Straßen: Die Kieler Innenstadt während des Corona-Lockdowns im Januar 2021.Bild: imago images / Chris Emil Janssen
Deutschland
11.01.2021, 07:2211.01.2021, 20:21
Angesichts weiter hoher
Corona-Infektionszahlen gelten seit Montag in allen
Bundesländern schärfere Regelungen. Als letzte Bundesländer setzen
Bayern, Baden-Württemberg, Bremen, Hessen, Nordrhein-Westfalen,
Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und
Schleswig-Holstein die am vergangenen Dienstag in einer
Bund-Länder-Schalte beschlossenen Regeln um. So gelten etwa strengere
Kontaktbeschränkungen: Der eigene Haushalt darf sich nur noch mit
einer weiteren Person treffen.
Neu ist auch die Regel für extreme Corona-Hotspots, wonach sich
Menschen in Landkreisen mit einer Inzidenz von mehr als 200
Infektionen auf 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen ohne triftigen
Grund nicht mehr als 15 Kilometer vom Wohnort entfernen dürfen. Dabei
gehen die Länder unterschiedliche Wege und überlassen das teils den
Kommunen oder empfehlen die Maßnahme nur. Baden-Württemberg etwa
plant derzeit keine entsprechende Regel.
Verschärfung oder Ende? Nächste Debatte um Lockdown beginnt bereits
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow sprach sich mit
drastischen Worten gegen Forderungen nach Lockerungen in der
Corona-Pandemie aus. "Wir müssen einfach der Tatsache ins Auge sehen,
dass das Virus jetzt erst anfängt, richtig Fahrt aufzunehmen", sagte
der Linke-Politiker am Sonntagabend im ZDF-"heute journal". "Ich
merke, dass bei mir in Thüringen gerade die Hütte brennt. Heute ist
für mich ein schlimmer Tag. Denn heute haben wir in ganz Thüringen
die 300er-Inzidenz überschritten, und alle Landkreise und kreisfreien
Städte sind über die 200 gegangen. Es ist kein Platz mehr für
Lockerungen und die Debatte von der Lockerung zur Lockerung."
Der SPD-Politiker Karl Lauterbach hält eine Verschärfung des
Lockdowns für möglich. Notfalls müsse das Wirtschaftsleben drastisch
heruntergefahren werden. "Wir haben uns bei dem, was wir gemacht
haben, sehr stark auf das Private und die Schulen konzentriert. Wenn
das nicht reicht, dann müssen wir tatsächlich auch an die Betriebe
herangehen", sagte er dem "Tagesspiegel" (Montag). "Das wird schlicht
nicht anders gehen."
Der CDU-Vorsitzkandidat Friedrich Merz sprach sich dagegen für
ein schnelles Ende des Lockdowns vor allem für kleine und mittlere
Unternehmen aus. "Für viele kleine Firmen ist der Punkt jetzt schon
erreicht, wo es nicht weitergeht. Mir machen vor allem die kleinen
und mittleren Unternehmen Sorgen. Die müssen möglichst schnell raus
aus dem Lockdown, möglichst schnell zurück zu normalem Wirtschaften
mit Hygienekonzept", sagte er der "Bild"-Zeitung (Montag). Für viele
Menschen sei die Isolation im Lockdown nur schwer zu verkraften.
Merz für ein rasches Lockdown-Ende für kleine Firmen.Bild: dpa / Jörg Carstensen
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU)
sagte den Partnerzeitungen der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft
(Montag): "Wenn man zu früh lockert, läuft man Gefahr, dass es danach
wieder steil nach oben geht. Wir brauchen Geduld und Umsicht." Seine
Hoffnung sei, dass sich die Lage durch den Lockdown und die
fortschreitenden Impfungen entspanne. "Aber wenn sich das in
Großbritannien entdeckte, mutierte Virus noch weiter ausbreitet,
werden die Zeiten noch ernster."
Über die weiterhin lückenhaften Zahlen des Robert Koch-Instituts
(RKI) sagte FDP-Generalsekretär Volker Wissing am Sonntagabend bei
"Bild Live": "Ich finde es schwierig, wenn man einerseits sagt, wir
haben keine Datengrundlage um Öffnungen zu diskutieren, aber
Verschärfungen gehen immer."
Mutationen bereiten Sorge
Viele Politiker sorgen sich wegen eben solcher Virusmutationen.
FDP-Chef Christian Lindner kritisierte, dass es zu wenig
Laboruntersuchungen auf neue Coronavirus-Varianten gebe. "Die geringe
Datenbasis zur Verbreitung von Corona-Mutationen in Deutschland ist
eine große Gefahr", sagte er dem "Tagesspiegel" (Montag). Die
Bundesregierung habe die systematische Sequenzierung von
Corona-Testproben, also die Untersuchung auf Mutationen, zu lange
schleifen lassen. "Eine umfassende Sequenzierung muss schnell Teil
der Anti-Corona-Strategie werden." Die zuerst in Großbritannien
nachgewiesene B.1.1.7-Mutation ist möglicherweise deutlich
ansteckender als bisherige Varianten. Sie ist mittlerweile auch in
einigen Bundesländern in Deutschland nachgewiesen.
Wie soll es an Schulen weitergehen?
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey hat die Bundesländer
dazu aufgerufen, sich in der Corona-Pandemie auf möglichst
einheitliche Regeln für Schulen und Kitas zu verständigen. "Eltern
wünschen sich bei allen Maßnahmen, die wir jetzt treffen, ein
möglichst bundesweit einheitliches und verlässliches Vorgehen", sagte
die SPD-Politikerin der "Rheinischen Post" (Montag). "Auch ich halte
das für sinnvoll und setze mich für einen gemeinsamen Rahmen ein, wie
es in den Ländern nach den harten Einschränkungen perspektivisch
weitergehen kann."
Giffey fordert bundesweit einheitliche Corona-Regeln für Kitas und Schulen.Bild: imago images / Jens Schicke
Der Deutsche Kinderschutzbund übte unterdessen scharfe Kritik an
den Maßnahmen der Länder in Sachen Schulen. "Es ist mir ein Rätsel,
warum die Länder den Sommer nicht genutzt haben, klare und
verbindliche Regelungen für Präsenzbetrieb, Wechselunterricht und
Fernunterricht zu entwickeln und die Schulen entsprechend
auszustatten", sagte Präsident Heinz Hilgers der "Rheinischen Post"
(Montag). "Das ist ein Versagen, das die Akzeptanz in die notwendigen
Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung zu mindern droht."
Impfen als Ausweg
Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat deutlich gemacht, dass aus
seiner Sicht Impfen der einzige Weg aus der Corona-Pandemie ist. "Es
gibt den Impfstoff als den Ausweg aus der Krise. Und ansonsten gibt
es keine Möglichkeit sicherzustellen, dass wir das
Infektionsgeschehen in den Griff bekommen. Was wir jetzt machen
können, ist dafür zu sorgen, dass sich das Virus nicht zu schnell
verbreitet", sagte der SPD-Politiker am Sonntagabend in der
ZDF-Sendung "Berlin direkt".
Bewegungsradius
Den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz, in Hotspots den
Bewegungsradius der Bürger auf einen Umkreis von 15 Kilometer zu
beschränken, hält FDP-Generalsekretär Volker Wissing für
inakzeptabel: "Die 15-Kilometer-Regelung ist eine Zumutung", sagte er
am Sonntagabend bei "Bild Live". "Das mag für Menschen in Berlin und
Großstädten kein Problem sein, auf dem Land greift das massiv in die
Freiheitsrechte ein."
Widerstand gegen Corona-Politik
Mit Sorge verfolgt der bayerische Innenminister Joachim Herrmann
(CSU) die Gewaltbereitschaft bei einigen radikalen "Querdenkern" und
Corona-Leugnern. "Wir müssen sehen, dass hier erstmals aus Teilen der
sogenannten Querdenkerbewegung massive Angriffe auf den Straßen- und
den Eisenbahnverkehr stattgefunden haben und das in einer
konzertierten Aktion quer durch verschiedene Bundesländer", sagte er
bei "Bild Live". "Das ist eine massive Eskalation im Vergleich zu
dem, worüber wir bisher geredet haben, nämlich dass Querdenker Demos
veranstaltet haben, bei denen keine Masken getragen und kein Abstand
gehalten wurde." In seinen Augen "entwickelt sich ein
hochgefährliches Potenzial" - und es gebe darüber hinaus "den Teil
der Querdenker, der ganz offen mit Rechtsradikalen kooperiert".
Auch der SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach schloss sich dieser
Warnung an: "Wir sehen, dass sich rechte Gruppen und Querdenker
zusammentun, und dass sich die Szene radikalisiert. Das muss man früh
genau beobachten und eingreifen. Das darf man auf keinen Fall treiben
lassen."
(hau/dpa)
In der SPD tobt derzeit die K-Frage, die Diskussion über den nächsten Kanzlerkandidaten. Kanzler Olaf Scholz zeigt sich entschlossen, erneut anzutreten. Doch die Umfragen sprechen eine andere Sprache, zumindest zum aktuellen Zeitpunkt.