Nach dem Wahltag kommt der Montag – und davor eben noch Anne Will. Die ARD-Talkerin besprach am späten Sonntagabend nach den Wahlen in Brandenburg und Sachsen die politische Lage.
Am Wahlabend saßen bei Anne Will die Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern (Manuela Schwesig, SPD) und Sachsen-Anhalt (Reiner Haseloff, CDU), um die Lage im Osten zu diskutieren. Die Runde ergänzten Grünen-Chef Robert Habeck, der AfD-Parteivorsitzende Alexander Gauland, sowie die Journalisten Martin Machowecz von der Wochenzeitung "Zeit" und Melanie Amann vom "Spiegel".
Haseloff wehrte sich bei Will gegen die Auffassung, dass die AfD vor allem ein ostdeutsches Phänomen sei. Wähler, die sich rechtspopulistischen Parteien anschlössen, seien "ein deutsches Problem, ein europäisches Problem – das sind Suchende, was die Zukunft anbelangt."
Die SPD-Politikerin Schwesig holte zum bundespolitischen Rundumschlag aus. Die kommissarische SPD-Chefin kritisierte die Große Koalition in Berlin: "Ich sehe einfach, dass in der großen Bundespolitik die ostdeutschen Interessen nicht ernst genommen werden." Sie warnte mit Blick auf die Ergebnisse bei den Landtagswahlen: "Jetzt ist es ernst."
Der AfD-Chef Gauland erklärte, seine rechtspopulistische Partei sei auf dem Weg zur "bürgerlichen Volkspartei" – in Brandenburg sei man "die bürgerliche Alternative zu der rot-roten Regierung". Schwesig ließ Gauland damit nicht davonkommen: "Sie sind nicht bürgerlich, Herr Gauland."
Gauland erwiderte: "Doch, ich bin bürgerlich. Ich bin mein ganzes Leben bürgerlich gewesen." Gauland war vor seiner Karriere in der AfD bis 2013 in der CDU in verschiedenen Positionen tätig.
Schwesig ging ihn frontal an: "Ihre Partei tut so, als sei sie bürgerlich. Ich bin in Brandenburg groß geworden. Und Ihre Spitzenleute dort sind mit Rechtsextremisten marschiert. Da können Sie nicht so tun, dass Sie eine bürgerliche Partei sind."
Schwesig spielte hier auf den AfD-Spitzenkandidat aus Brandenburg, Andreas Kalbitz, an, der in der vergangenen Woche seine Teilnahme an einer rechtsextremen Demonstration im Jahr 2007 eingeräumt hatte. ("Süddeutsche Zeitung")
Gauland verteidigte sich gegen die Vorwürfe aus der Runde, Vertreter seiner Partei fielen mit rechtsextremen Äußerungen auf. Gegenüber Habeck empörte er sich: "Nennen Sie mir eine Rede im Bundestag, die völkisch ist. Ich kann mit dem Begriff auch gar nichts anfangen."
Die Journalistin Amann konnte helfen: "Da müssen Sie nur Herrn Curio etwas genauer zuhören." Der AfD-Bundestagsabgeordnete Gottfried Curio hatte bei einer Rede im März 2018 erklärt, die "Masseneinwanderung" sei auch eine "Messereinwanderung" – und der Islam "nicht mit dem Grundgesetz vereinbar". ("Zeit")
Gauland verteidigte Curio: "Der hat eine sehr gute Rhetorik."
Und der Rechtspopulist legte gegen Habecks Grüne nach: "Sie sind nicht mehr bürgerlich als Partei." Der Grüne konterte: "Wer von anderen behauptet, dass er nicht bürgerlich ist, ist selber nicht bürgerlich." Gauland präsentierte sich in der Opfer-Rolle: "Ich erwarte, dass Sie uns als Demokraten behandeln – und das tun sie nicht."
Da wurde es Habeck zu viel: "Aber jetzt keine Wehleidigkeiten, Herr Gauland. Sie sind nur am austeilen: Wer nicht dazugehört, wer Verrat an der Nation begeht... Und dann erwarten Sie, dass alle Mitleid mit Ihnen haben. Das ist ja auch albern jetzt."
Die "Spiegel"-Redakteurin Amann erkannte bei Will in Ostdeutschland eine "fehlende Immunisierung" gegen rechtspopulistische Parolen. Haselhof zeigte Verständnis für den Frust vieler Ostdeutscher nach der Wende: "Die grundsätzlichen Dinge der Wiedervereinigung haben wir nicht hinbekommen. Irgendwann haben uns die Leute satt."
Der CDU-Politiker warnte: Sollte die Große Koalition in Berlin scheitern, dann würde die AfD in Ostdeutschland weiter zulegen. Ein Grund dafür: "Es gibt eine viel geringere Parteienbindung bei uns. Die Leute schauen sich jedes Mal die Programme neu an." Der Anteil von Protestwählern sei in Ostdeutschland deutlich höher als im Westen.
Der "Zeit"-Journalist Machowecz analysierte bei Will: "Im Osten werden die Dinge ausprobiert, die später im ganzen Land versucht werden." Auch in Westdeutschland könne die AfD durch Demokratiefrust und Angst vor Migration wachsen.
(pb/mit dpa)