Nach der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen bleibt ein Scherbenhaufen: Der FDP-Politiker Thomas Kemmerich, der am Mittwoch mit den Stimmen von AfD, CDU und FDP zum neuen Regierungschef gewählt wurde, stellte er am Donnerstag seinen Rücktritt in Aussicht. Zudem will seine Fraktion einen Antrag auf Neuwahlen stellen.
Aber geht das überhaupt? Wie wird es weitergehen in Erfurt? Ein Überblick:
Ja. Einen sofortigen Rücktritt lehnt Kemmerich ab. Das teilte der FDP-Politiker am Freitag in Erfurt nach einem Gespräch mit Landtagspräsidentin Birgit Keller (Linke) mit. Die Juristen der Landtagsverwaltung und der Staatskanzlei seien sich einig, "dass ein Rücktritt - zum Beispiel sofort - nicht geboten ist, da es wichtige Entscheidungen der Landesregierung gibt, für die es zumindest ein amtierendes Regierungsmitglied braucht", sagte Kemmerich.
Die Landtagspräsidentin werde eine Sondersitzung des Ältestenrates des Landtages einberufen. Dort solle ein verfassungsgemäßer Weg entschieden werden, "wie es schnell zur Wahl eines neuen Ministerpräsidenten kommen kann", sagte Kemmerich.
Auch nach einem eingereichten Rücktritt wäre Kemmerich übrigens geschäftsführend Ministerpräsident – bis ein neuer Regierungschef gewählt ist.
Grundsätzlich ja. Allerdings kann das die FDP-Fraktion mit ihren fünf Sitzen nicht allein tun. Laut Thüringer Landesverfassung muss eine Abstimmung über eine Neuwahl von mindestens einem Drittel der Abgeordneten beantragt werden – das wären 30. Nach Angaben eines Landtagssprechers müssen alle 30 Abgeordnete den Antrag unterschreiben.
Selbst, wenn die Thüringer CDU (21 Sitze) sich dem FDP-Antrag anschließt, würde das nicht reichen, um die Hürde von 30 zu erreichen. Es müssten noch Abgeordnete von Linke, AfD, SPD oder Grünen für den Antrag stimmen, damit es überhaupt eine Abstimmung über Neuwahlen gibt.
Die Hürde ist hoch. Dass ein Drittel der Abgeordneten für den Antrag stimmt, über eine Neuwahl abzustimmen, ist nur die erste Hürde.
Danach müssten in einem nächsten Schritt wiederum zwei Drittel – also 60 Abgeordnete – der Auflösung zustimmen.
Rot-Rot-Grün strebt keine Neuwahlen an. Linke, SPD und Grüne haben zusammen 42 Sitze – FDP, CDU und AfD 48 Sitze. Mehrheiten für eine Auflösung sind daher unwahrscheinlich. Über den Antrag zur Auflösung darf frühestens am elften und muss spätestens am 30. Tag nach Antragstellung abgestimmt werden. Ist der Antrag auf Auflösung des Parlaments erfolgreich, muss die vorzeitige Neuwahl binnen 70 Tagen stattfinden.
Ja, der wäre aber langwieriger. Scheitert ein Neuwahl-Antrag, will Kemmerich die Vertrauensfrage stellen. Auch das kündigte der 54-Jährige am Donnerstag an. Sprechen Kemmerich nicht mindestens 46 Abgeordnete von 90 das Vertrauen aus, gilt das Vertrauensvotum als gescheitert. Dann müsste binnen drei Monaten ein neuer Ministerpräsident gewählt werden. Gelingt das nicht, ist der Weg für eine Neuwahl frei.
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat am Freitagmittag beteuert, die CDU wolle Neuwahlen – aber nur, wenn es nach dem angekündigten Rückzug des FDP-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich keine Lösung im Parlament gibt. Damit rückt AKK ein Stück weit von ihren bisherigen, bedingungslosen Neuwahl-Forderungen ab.
Warum AKK jetzt doch keine Neuwahlen mehr will, ist unklar. Klar ist nur: Die CDU würde bei Neuwahlen wohl deutlich verlieren, was nicht im Sinne der Parteichefin wäre. Denkbar ist auch, dass AKK sich schlicht nicht durchsetzen konnte gegen den Thüringer CDU-Chef Mike Mohring, der Neuwahlen schon zuvor klar abgelehnt hatte.
Mohring verteidigte seine Ablehnung einer Neuwahl in Thüringen am Freitag. "Neuwahlen lösen die Problematik der schwierigen Situation in Thüringen nicht auf." Nach einer Wahl könnte dieselbe politische Situation entstehen. Zur Wahrheit gehört auch: Im Falle von Neuwahlen ist unsicher, ob Mohring noch einmal antreten und ins Parlament einziehen würde.
Dass (erstmal) kein Antrag auf Neuwahlen verabschiedet wird, weil dafür die Mehrheiten fehlen. In diesem Fall dürfte FDP-Ministerpräsident Kemmerich bald die Vertrauensfrage stellen, die er dann verlieren wird. Dann haben die Abgeordneten drei Monate Zeit, um einen neuen Ministerpräsidenten zu wählen.
Kramp-Karrenbauer hat SPD und Grüne in Thüringen am Freitag aufgefordert, einen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten zu benennen. Sprich: Die CDU will keinen Linken zum Ministerpräsidenten wählen, stellt SPD und Grünen jedoch die notwendigen Stimmen in Aussicht. Grüne und SPD haben ihren Vorschlag bereits abgelehnt.
Möglich, dass Rot-Rot-Grün am Ende doch Ramelow erneut zur Wahl schicken. Die ersten beiden Wahlgänge könnte er nicht mit einer absoluten Mehrheit reichnen. Im dritten Wahlgang genügt die einfache Mehrheit – wenn einige Abgeordnete der CDU sich enthalten, würde es für Ramelow reichen.
Thüringen hätte dann eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung. AKK hat am Freitag eine projektweise Unterstützung in Aussicht gestellt.
Offensichtliche Alternativen zu Ramelow gibt es sonst nicht. Wenn innerhalb von drei Monaten nach der verlorenen Vertrauensfrage kein Ministerpräsident gefunden ist, gibt es Neuwahlen.
Regierungschef ist weiterhin Thomas Kemmerich. Allerdings hat er keine Minister mehr. Nach Angaben der Thüringer Staatskanzlei endete deren Amtszeit mit der Wahl des FDP-Politikers zum Ministerpräsidenten.
Laut einer Umfrage des Forsa-Instituts müsste die CDU bei Neuwahlen nach dem Debakel um die Ministerpräsidentenwahl mit heftigen Einbußen rechnen, während Linke, SPD und Grüne eine regierungsfähige Mehrheit erreichen könnten.
Die Christdemokraten würden auf zwölf Prozent abrutschen und im Vergleich zur Landtagswahl fast zehn Prozentpunkte verlieren. Die Linke, die bei der Wahl im Oktober mit 31 Prozent stärkste Kraft wurde, könnte um sechs Punkte zulegen. Die FDP käme noch auf vier Prozent und würde es nicht mehr in den Landtag schaffen. Grünen, SPD und AfD könnten der Umfrage zufolge mit geringen Zuwächsen rechnen. Rot-Rot-Grün käme demnach zusammen auf 53 Prozent, so dass der abgewählte Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sich auf eine regierungsfähige Mehrheit stützen könnte.
Ja. Das bestätigte der Vize-Chef der Thüringer Linken am Donnerstag.
(ts/hau/ mit dpa und afp)