Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevuebild: imago images / Metodi Popow
Deutschland
Frank-Walter Steinmeier wendet sich in einer außergewöhnlichen Fernsehansprache an das Volk. Das Staatsoberhaupt würdigt die Menschen dafür, wie sie mit den harten Einschränkungen leben. Fast noch wichtiger ist sein Appell für die Zeit danach.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die
Menschen in Deutschland zu Geduld, Disziplin und Solidarität in der
Corona-Krise aufgerufen. "Wie es jetzt weitergeht, wann und wie die
Einschränkungen gelockert werden können, darüber entscheiden nicht
allein Politiker und Experten", sagte Steinmeier in einer am Samstag
aufgezeichneten Fernsehansprache zu den Osterfeiertagen, die am Abend
in mehreren Fernsehsendern ausgestrahlt werden sollte. "Sondern wir
alle haben das in der Hand, durch unsere Geduld und unsere Disziplin
- gerade jetzt, wenn es uns am schwersten fällt", ergänzte er.
Steinmeier appellierte an die Bürgerinnen und Bürger, die Erfahrung
der Solidarität in der Krise für die Zeit danach zu bewahren. "Die
Solidarität, die Sie jetzt jeden Tag beweisen, die brauchen wir in
Zukunft umso mehr", sagte er. Nach dieser Krise werde es eine andere
Gesellschaft geben.
"Wir wollen keine ängstliche, keine misstrauische
Gesellschaft werden. Sondern wir können eine Gesellschaft sein mit
mehr Vertrauen, mit mehr Rücksicht und mehr Zuversicht." Zugleich
äußerte sich der Bundespräsident optimistisch: "Wir können und wir
werden auch in dieser Lage wachsen."
Solidarität mit anderen Ländern
Ausgesprochen eindringlich mahnte Steinmeier zu deutscher Solidarität
innerhalb Europas. "Deutschland kann nicht stark und gesund aus der
Krise kommen, wenn unsere Nachbarn nicht auch stark und gesund
werden", sagte er. "30 Jahre nach der Deutschen Einheit, 75 Jahre
nach dem Ende des Krieges sind wir Deutsche zur Solidarität in Europa
nicht nur aufgerufen – wir sind dazu verpflichtet."
Steinmeier hatte schon am Vormittag vor der Aufzeichnung der Rede mit
dem italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella telefoniert und
ihm die Solidarität Deutschlands in der schwierigen Lage versichert.
Es war das dritte Telefonat des Bundespräsidenten mit Mattarella in
der Zeit der Corona-Krise, von der Italien neben Frankreich und
Spanien in Europa besonders schwer betroffen ist.
"Höher, schneller, weiter" war ein Irrtum
"Ja, wir sind verwundbar", sagte Steinmeier über die Pandemie. Man
habe vielleicht "zu lange geglaubt, dass wir unverwundbar sind, dass
es immer nur schneller, höher, weiter geht". Dies sei ein Irrtum
gewesen. Er sei aber auch "tief beeindruckt von dem Kraftakt, den
unser Land in den vergangenen Wochen vollbracht hat". Steinmeier
sagte: "So viele von Ihnen wachsen jetzt über sich selbst hinaus. Ich
danke Ihnen dafür."
Noch sei die Gefahr nicht gebannt, daher sei es "gut, dass der Staat
jetzt kraftvoll handelt". Der Bundespräsident appellierte: "Ich bitte
Sie alle auch weiterhin um Vertrauen, denn die Regierenden in Bund
und Ländern wissen um ihre riesige Verantwortung."
Das Land stehe an einer Wegscheide, sagte Steinmeier. Schon in der
Krise zeigten sich die beiden Richtungen, die man nehmen könne:
"Entweder: Jeder für sich, Ellbogen raus, hamstern und die eigenen
Schäfchen ins Trockene bringen? Oder bleibt das neu erwachte
Engagement für den anderen und für die Gesellschaft? Bleibt die
geradezu explodierende Kreativität und Hilfsbereitschaft?"
Solidarität auch nach der Krise?
Steinmeier fragte, ob man auch nach der Krise der Kassiererin, dem
Paketboten weiterhin die Wertschätzung schenke, die sie verdienten.
"Erinnern wir uns auch nach der Krise noch, was unverzichtbare Arbeit
- in der Pflege, in der Versorgung, in sozialen Berufen, in Kitas und
Schulen - uns wirklich wert sein muss?", fragte er rhetorisch.
Der Bundespräsident rief zu weltweiter Solidarität und gemeinsamen
Anstrengungen gegen die Corona-Krise auf. "Suchen wir auf der Welt
gemeinsam nach dem Ausweg oder fallen wir zurück in Abschottung und
Alleingänge?" Wissen und Forschung sollten geteilt werden, damit man
schneller zu Impfstoff und Therapien gelange. Auch die ärmsten und
verwundbarsten Länder müssten dazu Zugang haben.
Die Corona-Pandemie sei kein Krieg, sagte Steinmeier. "Sondern sie
ist eine Prüfung unserer Menschlichkeit", die das Schlechteste und
das Beste in den Menschen hervorrufe. "Zeigen wir einander doch das
Beste in uns." Seine Ansprache schloss der Bundespräsident mit den
Worten: "Frohe Ostern, alles Gute - und geben wir Acht aufeinander."
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte nach Absprache mit Steinmeier auf
ihren samstäglichen Videopodcast verzichtet. Die neun Minuten lange
Fernsehansprache des Bundespräsidenten galt als außergewöhnliches
Zeichen - normalweise wendet sich das Staatsoberhaupt nur zu
Weihnachten in dieser Form an die Menschen. So hatte sich
Bundespräsident Heinrich Lübke am 31. August 1961 zum Mauerbau in
Berlin geäußert. Am 21. Juli 2005 wandte sich Bundespräsident Horst
Köhler an die Bürger, nachdem er den Bundestag aufgelöst und eine
Neuwahl angesetzt hatte.
(dpa)
In wenigen Tagen wählen die USA. Auf den letzten Metern zur Zielgeraden rühren beide Kandidat:innen nochmal kräftig die Werbetrommeln für sich. Jedes Wort und jede Tat bleiben jetzt besonders bei den Wähler:innen hängen, wie die Entgleisungen bei Donald Trumps Kundgebung im Madison Square Garden Anfang der Woche.