Die CSU pusht in Bayern ein hartes Überwachungsgesetz, das die Polizei mit mehr Macht ausstattet. Der Widerstand wächst – doch die CSU hat längst einen tief sitzenden Sicherheits-Fanatismus entwickelt.
11.05.2018, 14:33
Prolog: Wenn es die Eltern endgültig übertreiben
Wäre die CSU für unsere Erziehung zuständig, sie würde es gerade ordentlich übertreiben. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann strebt nach Sicherheit um jeden Preis für seine knapp 12,5
Millionen Schützlinge.
Noch im Mai wollen die Christsozialen ein neues Gesetz
durchsetzen, mit dem die Polizei in Bayern deutlich mehr Macht bekommt. Ein Gutachter schrieb über dieses Polizeiaufgabengesetz (PAG): Keine deutsche Behörde habe seit 1945 so viel Eingriffs- und Kontrollmöglichkeiten in die Privatsphäre besessen wie bald die bayerische Polizei.
Das Gesetz sieht vor, dass die Beamten...
schon bei "drohender Gefahr" präventiv ermitteln und überwachen
Verdächtige ohne Zeitlimit inhaftieren
Intelligente Videoüberwachung und Gesichtserkennung einsetzen
präventiv DNA untersuchen
Drohnen einsetzen, theoretisch sogar bewaffnete
Telefone abhören und Briefe öffnen
Social-Media-Chats und Gruppen mit V-Männern überwachen
IT-Systeme durchsuchen
und (WTF!) Handgranaten bei sich tragen
Teile dieser Regeln gelten schon seit einem Jahr, aber es dauerte bis jetzt, dass sich Widerstand gegen diese Pläne in Bayern entwickelte. Eine Verfassungsbeschwerde gegen eine frühere Version des Gesetzes läuft bereits, weitere Klagen planen Bürgerrechtsaktivisten gerade. Demonstranten gehen von Nürnberg bis nach München auf die Straße.
Das Problem dabei ist schnell erklärt: Die CSU hat die absolute Mehrheit im Landtag und deshalb wird das Gesetz wohl trotzdem kommen. Erst in Bayern, und zumindest Teile davon vielleicht dann auch bald in ganz Deutschland.
Die Vorhaben der CSU enttarnt die Partei als schlimmste Helikopter-Eltern, die am liebsten jeden unserer Schritte kontrollieren wollen.
Wir erzählen euch das Drama dieser elterlichen Hysterie in fünf Akten.
Sie haben Schlimmes im Fernsehen gesehen
Eigentlich gibt es immer weniger Verbrechen in Bayern. Die Zahl der Wohnungseinbrüche sank 2017 um 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt gab es knapp 5 Prozent weniger Straftaten. Die Bayern sind im Grunde also recht sicher, die Polizei im Freistaat gilt als hartnäckige Behörde. Jetzt kommt das Aber:
Seit Beginn der Flüchtlingskrise, die Bayern mit als erstes betraf. Seit den Terror-Anschlägen von Paris und seit den Attacken von Nizza. Auch seitdem an einem Münchner Einkaufszentrum vor zwei Jahren Panik vor einem angeblichen Terror-Angriff ausgebrach und es in Würzburg und Ansbach zu Attentaten kam. Seit all dem hat die CSU einen neuen Sicherheits-Auftrag für sich entdeckt.
Unsere aufgeschreckten christsozialen Eltern ersonnen einen Plan, damit ihre Kleinen weiter sicher auf der Straße spielen können.
Seit zwei Jahren beschäftigt sich die Partei mittlerweile mit diesem Plan. Darin geht es um bessere Ausstattung der Polizei, um Vorratsdatenspeicherung, um den Einsatz der Bundeswehr im Inneren, und um die Absicherung der Grenzkontrollen.
Den Namen für dieses CSU-Sicherheitskonzept kann man sich gar nicht ausdenken:
CSU-website/Screenshot
Vor allem Bürgerrechtler und Datenschützer bekommen langsam den Eindruck, dass die Partei dabei den Bezug zur Realität verliert.
Sie beobachten jeden unserer Spiel-Freunde
Im Juli 2018 entscheiden unsere Eltern nämlich, dass ihnen der Schutz immer noch nicht ausreicht. Nach dem Motto "Vertrauen ist Gut, Kontrolle ist besser" verschärfen sie die Sicherheitsmaßnahmen weiter. Sie bringen das sogenannte Gefährder-Gesetz durch den Landtag.
Mit ihm ist die Polizei in der Lage, "gefährliche Personen" schon bei "drohender Gefahr" zu überwachen, auch wenn diese noch gar keine Straftat begangen haben.
Solche "Gefährder" können theoretisch endlos in Haft genommen werden. Lediglich alle drei Monate muss ein Richter überprüfen, ob ihre Inhaftierung noch rechtens ist. Auch Fußfesseln sind Teil des neuen Gesetzes. Anstatt Verbrechen zu verfolgen, mutiert die bayerische Polizei damit zu einer präventiven Behörde.
"Konkrete" versus "Drohende Gefahr"
Wenn wir auf der Straße Fußball spielen und ein Auto rast auf uns zu, dann ist das eine "konkrete Gefahr". Wenn wir es aber nur in der Nähe hupen hören und wir glauben, dass auf der Straße viele Autos kommen könnten, dann ist das eine "drohende Gefahr" – bisher konnte die Polizei in Bayern nur tätig werden, wenn eine "konkrete" Gefahr vorlag. Mit dem "Gefährder-Gesetz" reicht eine "drohende" Gefahr aus. Die Polizei muss jetzt nur noch ihren Verdacht begründen: Zugriff erfolgt, wenn in überschaubarer Zeit wahrscheinlich etwas passieren könnte. Kritiker sehen darin die Gefahr von willkürlichen Überwachungsmaßnahmen.
Sie wollen sogar das Passwort für unsere Computer
Es reicht immer noch nicht. Dass uns Kindern bei all den Regeln langsam mulmig wird, scheint unsere Eltern nur noch energischer zu machen.
Als Bayerns Innenminister Joachim Herrmann Mitte April vor den bayerischen Landtag tritt, regt
er sich über unseren Mangel an Respekt auf. "Es werden hemmungslos Lügen
und Unwahrheiten verbreitet", ruft er wütend.
Sein Gesetz biete den Bürgern wirksamen Schut und sei nur für echte Gefahren gedacht. Als Beispiel führt Hermann den vereitelten Anschlag auf den Berlin-Marathon im April an. Dort hatten Ermittler Schlimmeres durch präventive Ermittlungen verhindert.
Der bayerische Innenminister sagt:
"Einen konkreten Verdacht, mit Zeitpunkt und Ort und Täter und
dergleichen hatten wir nicht, aber wir hatten die große Sorge auf Grund
von entsprechenden Anhaltspunkten."
Auch deshalb müsse die Sicherheit für die Bürger noch erhöht werden. Mit allen Möglichkeiten für die Polizei (siehe Liste vom Anfang).
Dazu kommt übrigens auch der Einsatz eines Staatstrojaners, den eine eigene Behörde (ZITiS) jetzt für alle Ermittler im Land entwickeln kann. Folgt man den Plänen der CSU, könnte Überwachungssoftware bald schon bei bloßem Verdacht auf eine Straftat auf den Rechnern landen.
Lest hier noch einmal alles zum Polizeieinsatz in Berlin:
Sachverständige haben schwere Bedenken, was solche Sicherheitspläne betrifft. Die CSU versuche nach Möglichkeit, neue Maßnahmen einzuführen und gleichzeitig bestehende Verfassungsvorgaben einzuhalten, schreibt der Rechtswissenschaftler Josef Franz Lindner:
Er erklärt:
"Beides führt allerdings dazu, dass das PAG allmählich das Stadium der Unlesbarkeit erreicht."
Die Regeln der Eltern, sie ergeben also immer weniger Sinn. Wir wissen mittlerweile kaum noch, wann sie uns wieso überwachen wollen. Langsam staut sich der Frust an und dann...
Wir schreien unsere Eltern an!
... reicht es vielen. Auch wenn die Grünen-Politikerin Katharina Schulze über die Sicherheitsmaßnahmen der CSU spricht, dann schwillt ihre Stimme an vor Zorn.
Die Fraktionsvorsitzende im Bayern-Landtag sagt:
"Es
scheint mir, die CSU will die Polizei Stück für Stück zu einem
Nachrichtendienst umbauen und die Nachrichtendienste zur Polizei. Die Grenzen
verschwimmen immer mehr"
watson
Man könnte die Landtagsabgeordnete als die bayerische Rädelsführerin gegen das PAK bezeichnen. Sie organisiert die Gremien, plant den gesellschaftlichen und politischen Widerstand. Sie spricht auf den Demos gegen das Gesetz und sie organisiert die Gegenkampagnen.
Schulze ist überzeugt:
"Wir haben eine Regierung, die einen Überwachungswahn hat. Seit ich im
Landtag bin, haben wir eine CSU, die an der Sicherheitsarchitektur
schraubt."
watson
Ihr zufolge braucht es nicht ständig neue Gesetze. Wenn der
Innenminister vom verhinderten Anschlag auf den Berlin Marathon rede,
vergleiche er Äpfel mit Birnen. "Die Polizei in Berlin hat eben auf
Grundlage von geltendem Recht gearbeitet und das erfolgreich", sagt sie.
Man müsse der CSU- Paranoia, immer neue Maßnahmen zu schaffen, endlich Einhalt
gebieten.
Dass sie mit dieser Meinung nicht alleine ist, zeigen wachsende Proteste in Erlangen, Nürnberg, Würzburg und München. Sogar im bayerischen Oberland formiert sich mittlerweile Widerstand gegen das Gesetz.
Schulze sagt:
"Die Leute haben
verstanden: Um frei leben zu können, müssen wir die Privatsphäre, die
Bürgerrechte und die Freiheitsrechte von allen Bürgern in diesem Land schützen."
watson
Aber kann eine Partei sich wirklich so in einen Sicherheitswahn reinsteuern, oder stecken nicht eher die bayerischen Landtagswahlen im Oktober dahinter?
Die CSU, der Ansicht sind viele Kommentatoren, möchte sich als harte Law-and-Order-Partei präsentieren und so bei den Rechts-Außen-Wählern punkten. Die mutmaßliche Furcht: Man könnte wegen der AfD die absolute Mehrheit verlieren.
Auch hier widerspricht Schulze: "Ich möchte das nicht auf den Wahlkampf schieben. Die
CSU hat eine Mehrheit, sie kann sich eigenständig entscheiden, welche Gesetze
kommen und welche nicht." Ihr Vorwurf: Die Partei von Söder und
Seehofer habe tatsächlich kein Interesse mehr an Freiheit und Bürgerrechten.
Sie machen alle anderen Eltern nervös
Nun mag das stimmen oder nicht. Klar ist, dass das Beispiel Bayern schon bald in ganz Deutschland Schule machen könnte.
Das liegt zum einen daran, dass einer der Architekten des Gesetzes, Horst Seehofer, gerade das Innenministerium im Bund übernommen hat und die Arbeit und Sicherheits-Ansichten seiner Partei dort vermutlich weiterführen wird.
Das liegt zum anderen daran, dass die Bundesländer gerade genau darauf schauen, was in Bayern passiert. Sie stimmen gerade ihre Polizeiarbeit besser aufeinander ab. In einem "Muster-Polizeiaufgabengesetz" könnte schon bald maßgeblich das bayerische Vorbild Anwendung finden. Dann wäre der bayerische Sicherheits-Apparat plötzlich überall zu finden.
Vor allem auch, weil die Koordination dieses Papiers vom Innenministerium unter Seehofer geleitet wird.
Epilog: Externe Erziehungshilfe
Es bleibt die Chance, dass die Erziehungsberater unseren geliebten Eltern nochmal dazwischenfunken. Und mit Erziehungsberatern meinen wir das Bundesverfassungsgericht.
Schon in frühreren Entscheidungen hat es die Maßnahmen von Sicherheits-Gesetzen zumindest als teilweise verfassungswidrig eingestuft, etwa als es um die Vorratsdatenspeicherung des damaligen Justizministers Heiko Maas (SPD) ging.
Ein bereits bestehendes Urteil lässt die Überwachung von "Gefährdern" außerdem nur im Rahmen von terroristischer Bedrohung zu. Tauchen jetzt Zweifel an diesem Rahmen auf, könnte es das neue Gesetz kippen. Vielleicht kann die CSU dann wieder ein wenig ablassen von ihrem Überwachungswahn und wir bekommen wieder ein wenig mehr Luft zum Atmen vor den Helikopter-Eltern.
SPD-Politiker Rolf Mützenich im Porträt: Verhältnis zu Merz, seine Ehefrau und sein Wohnort
Rolf Mützenich ist der Fraktionschef der SPD. In zahlreichen Debatten spricht er für seine Partei im Bundestag. Mützenich ist bekannt für seine Friedenspolitik, gleichzeitig half er aber auch bei der Durchsetzung des Sondervermögens für die Bundeswehr.