Viel gesprochen wird vor dieser Landtagswahl wieder einmal über die AfD. Kein Wunder, denn mit der Landes-AfD und ihrem Vorsitzenden Björn Höcke steht in Thüringen die (rechts-)extremste Form der AfD zur Wahl. Jeder Vierte Thüringer, so prophezeien Umfragen, könnte die Partei um Flügel-Anführer Höcke wählen, der laut Gerichtsentscheid als "Faschist" bezeichnet werden darf.
Angesichts des rasanten Aufstiegs der AfD ist es beinahe eine Sensation, dass sich die rot-rot-grüne Koalition ernsthafte Hoffnungen auf ein Weiterregieren machen darf und die Wahl so spannend bleibt. Das ist jedoch nicht der besonderen Strahlkraft der SPD, der Linken und der Grünen in Thüringen geschuldet. Sondern einzig und allein dem Mann, der an der Spitze des Landes steht: Linken-Politiker Bodo Ramelow. Während die Linken in Sachsen und Brandenburg zuletzt schwere Verluste hinnehmen musste, ist die Ramelow-Linke stabil stark.
Am 5. Dezember 2014 sprach Bodo Ramelow im Landtag in Erfurt seinen Amtseid. Seitdem ist er ein politisches Unikat: Der 63-Jährige ist der einzige Ministerpräsident, den die Linke in Deutschland stellt. Viele Befürchtungen wurden geäußert, als Ramelow vor fünf Jahren übernahm. Heute sind 62 Prozent der Thüringer zufrieden mit seiner Arbeit. In einem Forsa-Trendbarometer vom Juli kamen nur Winfried Kretschmann (Grüne, 73 Prozent) und Daniel Günther (CDU, 66 Prozent) auf Werte, die Ramelows aktuelle Beliebtheit übersteigen.
"Ramelow ist kein gewöhnlicher Linker. Er ist jemand, der sehr viel dafür tut, nicht als normaler linker Politiker zu erscheinen. Das ist sein Erfolgsrezept", sagt der renommierte Parteienforscher Oskar Niedermayer im Gespräch mit watson. Ramelow ist Christ, Legastheniker und Dieselfahrer – er will kein Parteisoldat sein.
Der Linken-Politiker nimmt clever die Rolle des gütigen Landesvaters ein, für den das Land deutlich vor der Partei steht. "Er sagt, er macht Politik für Thüringen, nicht für die Linkspartei. Deswegen ist er über die eigene Wählerklientel hinaus gut angesehen", so Niedermayer. Sogar die Mehrheit der CDU-Anhänger beurteilt seine Arbeit positiv. Das ist nicht nur außergewöhnlich für einen Linken-Politiker – es ist auch immens entscheidend für den Wahlerfolg, so Niedermayer. Aufgrund seiner breiten Beliebtheit sehe ihm die Partei auch vieles nach. Bei anderen wäre dies nicht so.
Das geht soweit, dass es mittlerweile Wahlplakate gibt, die nur Ramelow zeigen – ohne das Parteilogo. "Das hat es bisher nur bei Joschka Fischer gegeben", so der Politikwissenschaftler. Ein Allheilsbringer ist Ramelow jedoch nicht. Kretschmer wurde in Sachsen vor der Wahl noch wesentlich besser beurteilt, sagt Niedermayer. Bei der Landtagswahl in Sachsen am 1. September bekam die CDU lediglich 32,1 Prozent, ein Verlust von 7,3 Prozent im Vergleich zu 2014.
"Ramelow hat nur einen Fehler gemacht", sagt Niedermayer weiter: Als er sich weigerte, die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen – obwohl er das zuvor schon mal getan hatte. "Ansonsten bietet er wenig Angriffsfläche."
Das liegt unter anderem an der Schwäche der Linkspartei im Bund, die nicht den besten Zustand hat. Umfragen sehen die Partei eher auf dem absteigenden Ast. "Gut wäre es daher, wenn die Linken in Thüringen ihr Ergebnis von letztem Mal halten", sagt Niedermayer. Der andere große Faktor ist jedoch die Schwäche von SPD und Grünen.
Während die Grünen in Thüringen einfach einen schweren Stand haben – noch schwerer als in Sachsen und Brandenburg zuvor – so war es bei der SPD laut Experteneinschätzung ein handfester Fehler, der Prozentpunkte kostete.
"Im Gegensatz zu Brandenburg und Sachsen ist mit Mike Mohring immerhin ein Herausforderer da, der neuer Ministerpräsident werden könnte", sagt Niedermayer.
Mohring ist jemand, der politisch austeilen kann – zeitweise attackierte er Kanzlerin Angela Merkel, früher gern die Thüringer SPD. Die Sozialdemokraten fühlten sich so verletzt, dass sie auch wegen Mohring 2014 keine Neuauflage von Schwarz-Rot mehr wollten.
Ende 2018 erkrankte Mohring an Krebs, im Januar machte er seine Krankheit und die Chemotherapie öffentlich. Inzwischen gilt er als geheilt. Nur acht Wochen nach Behandlungsende wählte die CDU ihren Parteichef zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl. Die Krankheit habe ihn verändert, sagt Mohring. "Ich sehe die Dinge reflektierter, gelassener." Er will die CDU, die von 1990 bis 2014 die Regierungschefs stellten, zurück in die Staatskanzlei bringen.
"Wenn man sich die Entwicklung seiner Beliebtheitswerte anguckt, konnte er im Wahlkampf nicht sonderlich punkten", sagt Parteienforscher Niedermayern. "Insofern dürfte sich der Personenfaktor bei der CDU in Grenzen halten, in deutlich engeren Grenzen als in Sachsen etwa."
Der Abstand auf CDU und AfD ist einfach zu groß. "Das könnte auch zum Problem für die Linken werden", erklärt Niedermayer. In Sachsen und Brandenburg hatten die CDU und SPD davon profitiert, dass plötzlich nicht mehr sicher war, dass sie die stärksten Partei werden. "Diese Mobilisierung fällt bei der Linken weg, ihre starken Werte in den Umfragen könnten der Partei auf den letzten Metern eher mehr schaden als helfen", sagt er.
Die Regierungsbildung jedenfalls dürfte schwierig werden. In Thüringen könnte es nach der Wahl am Sonntag auch zu einer Minderheitsregierung kommen. Ramelow hatte bereits angedeutet, auch bei einem Verlust der parlamentarischen Mehrheit womöglich weiterhin im Amt zu bleiben. Hintergrund ist Artikel 75 der Thüringer Landesverfassung. Dieser ermöglicht es dem Ministerpräsidenten und der gesamten Landesregierung, "die Geschäfte bis zum Amtsantritt ihrer Nachfolger fortzuführen". Nur so viel steht schon jetzt fest: Die Thüringer Bürger hätten wohl mehrheitlich nichts dagegen.