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Deutschland
Bei der Landtagswahl in Thüringen hat die Linkspartei um Bodo Ramelow die meisten Stimmen geholt, gefolgt von AfD und CDU. Die Regierungsbildung wird jedoch schwierig. Wie geht es nun weiter? Watson hat mit Politikwissenschaftler Hans Vorländer von der TU Dresden gesprochen.
watson: Wer ist für Sie der größte Gewinner der Wahl?
Hans Vorländer: Bodo Ramelow. Wir haben einen Ramelow-Effekt erlebt. Es herrscht ein sehr personalisiertes Politikverständnis gerade in Ostdeutschland, wo es die traditionell Partei geprägten Milieus nicht gibt. Das ist eine entscheidende Erklärung für das Wahlverhalten: Die Person macht den Unterschied. In Brandenburg war es Woidke für die SPD, in Sachsen Kretschmer für die CDU und in Brandenburg nun Ramelow mit seinem Amtsinhaber-Bonus.
Und wer ist der größte Verlierer?
Die CDU landet vermutlich hinter der AfD – deswegen ist Mike Mohring der Verlierer dieser Wahl. Aber auch, dass die Grünen es gerade so über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen, ist bitter.
Warum waren die Grünen denn so schwach?
Die Grünen haben es prinzipiell in Ostdeutschland schwer, auch in Sachsen und Brandenburg waren sie zuletzt hinter den Erwartungen zurückgeblieben. In Thüringen haben die Grünen durch die starke Polarisierung zwischen rechts und links nichts gewinnen können.
Über den Experten
Hans Vorländer ist Inhaber des Lehrstuhls für Politische Theorie und Ideengeschichte, Direktor des 2017 gegründeten Mercator Forum Migration und Demokratie sowie des Zentrums für Verfassungs- und Demokratieforschung an der TU Dresden.
Hans VorländerBild: imago stock&people
Keine der "üblichen" Koalitionen hat eine Mehrheit. Wie geht es jetzt weiter?
Es gibt jetzt im Grunde drei mögliche Szenarien. Das Unwahrscheinlichste ist, dass CDU und Linke sich doch zu einer Koalition zusammenschließen. Etwas weniger unwahrscheinlich ist das Szenario, wonach Rot-Rot-Grün versucht, die FDP für eine Koalition zu gewinnen, wenn sie denn in den Landtag kommt. Das dritte Szenario könnte schlicht darin bestehen, dass Rot-Rot-Grün weitermacht.
Ohne Mehrheit im Landtag dann allerdings.
Ramelow kann sich dann von Gesetz zu Gesetz die Zustimmung bei CDU und FDP holen. Das halte ich für das wahrscheinlichste Szenario.
Das klingt aber nicht gerade nach einer stabilen Regierung.
Wir tun uns in Deutschland grundsätzlich schwer mit Minderheitsregierungen, aber die Thüringer Landesverfassung verleiht dem amtierenden Ministerpräsidenten eine starke Stellung. Er kann auf unbestimmte Zeit im Amt bleiben. Insofern ist es schwierig, ihn zu stürzen. Die anderen Parteien, die nicht in der Regierung sind, stehen selbst unter Druck, weil sie keine Regierung mit der AfD eingehen wollen – deswegen werden CDU und FDP schon von Zeit zu Zeit ihre Zustimmung bei Gesetzen geben.
An Neuwahlen glauben Sie also nicht?
Dafür gibt es keine Notwendigkeit nach der thüringischen Verfassung. Andere Landesverfassungen setzen eine Frist nach der Wahl, bis zu der ein neuer Ministerpräsident gewählt werden muss – das gibt es in Thüringen nicht. Ramelow kann auf unbestimmte Zeit geschäftsführend im Amt bleiben.
Wäre es nicht am einfachsten, wenn CDU und Linke über ihren Schatten springen und sich doch zu einer Koalition zusammentun?
Ich halte das für sehr unwahrscheinlich, weil es für beide Parteien bedeutet, dass ihre Profile weitestgehend verschwimmen. Das gilt noch mehr für die CDU als für Ramelow, der ja als bürgerlich oder zumindest pragmatisch gilt. Ramelow macht als Regierungschef das, was ein CDU-Politiker an seiner Stelle auch tun würde: Er kümmert sich um Industrieentwicklung, um die Verbesserung der Lebensbedingungen im ländlichen Raum, etc. Die CDU hingegen als Juniorpartner in einer Koalition unter Ramelow? Das wäre für die Christdemokraten kein Erfolgsprojekt.
Eine Weisheit von Politik-Wissenschaftlern ist: Hohe Wahlbeteiligung sorgt dafür, dass die Ränder nicht erstarken. Wieso trifft das in Thüringen nicht zu?
Ganz einfach: Die bisherigen Zahlen zur Wählerwanderung zeigen, dass es vor allem die AfD war, die Nichtwähler mobilisieren konnte. Deswegen profitierte die AfD eher von der steigenden Wahlbeteiligung als andersrum.
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