CDU-Chef Friedrich Merz hat ein Abspecken im Angebot der Deutschen Bahn gefordert. Im ARD-Sommerinterview beschrieb der mögliche Kanzlerkandidat die Bahn als "überfordert". Die Finanzlücke von über 90 Milliarden Euro muss seiner Meinung nach auch durch Fahrkartenerlöse eingespielt werden. Das Interview ist ein Fingerzeig auf die Verkehrspolitik, die die CDU im Falle eines Wahlsiegs anstreben könnte.
Mit einem neu erarbeiteten Konzept will die CDU nun gegen die Verkehrsmisere vorgehen. Demzufolge solle mehr Wettbewerb auf der Schiene für eine höhere Zuverlässigkeit sorgen. "Netz und Betrieb müssen getrennt werden", sagte Merz im Interview. Dem Plan zufolge soll der Staat für Instandhaltung und Ausbau des Streckennetzes sorgen, während private Anbieter für den Zugverkehr und Wettbewerb sorgen.
Ein Kernstück des neuen Positionspapiers versteckte der 68-Jährige in einem Nebensatz. Eine gewaltige Finanzierungslücke von 92 Milliarden Euro attestiert der jüngste Netzzustandsbericht der Bahn-Infrastruktur. "Das Geld muss natürlich von den Nutzern mit erbracht werden", sagte Merz. Damit könnte auf Bahn-Kunden nicht nur ein verkleinerter Fahrplan zukommen.
Sollten CDU und CSU nach der Wahl wieder im Verkehrsministerium sitzen, drohen demnach üppige Preissteigerungen für Fahrkarten.
Merz attestierte dem halbstaatlichen Verkehrskonzern eine "Überforderung". Um die zu lösen, müsse die Politik aufhören, "der Bahn immer zusätzliche Aufgaben, zusätzliche Verbindungen, zusätzliche Aufgaben aufzuerlegen". Ein "reduziertes" Angebot solle für mehr Zuverlässigkeit sorgen.
Kritiker:innen sehen in der Ankündigung die Fortsetzung der CDU-Politik der vergangenen Jahrzehnte. Demzufolge vernachlässigen die Unionsparteien notorisch den öffentlichen Nach- und Fernverkehr. Währenddessen werde zu viel Geld in Straßeninfrastruktur und Autobahnen investiert.
Dabei zeigt ein Blick auf die Statistik, dass die Deutschen immer öfter mit dem Zug unterwegs sind. Im vergangenen Jahr reisten laut Statista mehr als 108 Millionen Fahrgäste im Fernverkehr der Deutschen Bahn, rund zehn Millionen mehr als im Vorjahr. Damit wurden erstmals die Fahrgastzahlen im ICE vor Ausbruch der Corona-Epidemie überboten. Insgesamt registrierte die Bahn laut Jahresbericht 2023 2,385 Milliarden Fahrkartenverkäufe, was eine Steigerung von 8,2 Prozent zum Vorjahreswert bedeutet.
Auf dem Kurznachrichtendienst X ließ die Kritik am CDU-Chef nicht lange auf sich warten. Angesichts häufig überfüllter Züge, mangelnder Pünktlichkeit und neuer Streckensperrungen wünschen sich viele Bahn-Nutzer mehr Investitionen in die Infrastruktur.
"Mitten in der Klimakrise fordert Friedrich Merz ernsthaft, das Angebot der Bahn zu reduzieren. Dabei sind die Züge jetzt schon oft überfüllt. Sollte man die Bahn nicht besser endlich mit den notwendigen Mitteln ausstatten, damit sie wieder funktioniert?", twitterte der Berliner Hochschulprofessor für regenerative Energiesysteme, Volker Quaschning.
Andere Nutzer drehten Merz' Argumentation um. Die Reduzierung von Investitionen für den ohnehin schlecht laufenden Schienenverkehr sollte ihrer Meinung nach auch auf den Straßenverkehr übertragen werden. "Auf deutschen Autobahnen ständig Stau und Baustellen? Ich sehe die überlastet und daher gibt's nur eine Lösung: Reduzierung des Angebots, damit sie wieder zuverlässig werden!"
Kritik entzündete sich auch daran, dass Merz selbst kaum mit der Bahn reist, wie viele seiner Kollegen im Bundestag. Stattdessen nimmt der Hobby-Pilot oft Privatflieger, oder setzt sich auf Kosten des Steuerzahlers, wie jüngst für einen Fototermin bei der Bundeswehr, selbst hinters Steuer von Kampfjets. Die PR-Aktion soll den Fiskus mehr als 111.000 Euro gekostet haben.
Internationale Kritik hatte sich zuletzt nach vielen Zugausfällen und Verspätungen im Rahmen der Fußball-Europameisterschaft über die Deutsche Bahn ergossen. Erst im Mai hatte die Pünktlichkeitsrate im Fernverkehr lediglich bei 63,1 Prozent gelegen. Zuvor wurde das Jahresziel 2023 von 70 Prozent Pünktlichkeit bei Fernzügen unterboten.
Jüngste Episode in der Bahn-Saga ist die Vollsperrung der wichtigen Trasse zwischen Frankfurt und Mannheim. Für fünf Monate fällt die rund 70 Kilometer lange Strecke Bauarbeiten zum Opfer. Damit sind Tausende Pendler monatelang auf den notorisch unzuverlässigen und langsamen Ersatzverkehr angewiesen.