Finanzminister Olaf Scholz steht – neben Wirtschaftsminister Peter Altmaier – im Fall Wirecard im Zentrum der Kritik.Bild: reuters / AXEL SCHMIDT
Deutschland
Bei der Aufklärung des Wirecard-Skandals
sehen Oppositionspolitiker auch nach einer
Sondersitzung des Finanzausschusses noch viele Fragen offen. Der
Auftritt von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister
Peter Altmaier (CDU) sei kein "großer Befreiungsschlag" gewesen,
sagte die Grünen-Finanzpolitikerin Lisa Paus. "Wir stehen immer noch
am Anfang der Aufklärung." Es werde sicher noch weitere Sitzungen
geben müssen.
FDP, Linke und Grüne ziehen nach der Sondersitzung weiterhin
einen Untersuchungsausschuss in Erwägung. Die Sitzung habe deutlich
gemacht, dass es noch viel zu besprechen gebe, sagte der
FDP-Abgeordnete Florian Toncar am Mittwochabend in Berlin.
"Das legt nahe, dass wir uns auch mit einem Untersuchungsausschuss noch näher auseinandersetzen müssen."
Toncars Parteikollege Christian Dürr zeigte sich enttäuscht von
der Befragung des Finanzministers. "Sie hat nicht die Informationen
geliefert, die wir Freien Demokraten uns erhofft hatten. Im
Gegenteil, Herr Scholz hat kaum zur Aufklärung beigetragen und nur
bereits bekannte Fakten vorgetragen", sagte der stellvertretende
Fraktionsvorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion der "Neuen
Osnabrücker Zeitung" (Donnerstag).
Der inzwischen insolvente Zahlungsdienstleister Wirecard hatte im
Juni Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt. Zentrale
Fragen sind, wann genau die Regierung von Unregelmäßigkeiten wusste
und ob sie zu wenig dagegen unternommen hat.
Scholz' Argumentation "nicht schlüssig"
Scholz' Argumentation sei nicht schlüssig gewesen, bemängelte
Toncar. Man könne nicht einerseits sagen, die Finanzaufsicht habe das
Problem ernst genommen, habe dann aber anderthalb Jahre keine
Ergebnisse zu Wirecard geliefert. Dem Finanzministerium ist die
Finanzaufsicht Bafin unterstellt. Die Opposition erhebt Vorwürfe, die
Bafin habe Unregelmäßigkeiten bei Wirecard nicht ausreichend
verfolgt. Scholz hatte in seiner Befragung laut Teilnehmern die
Schuld vor allem auf Wirtschaftsprüfer geschoben, die
Jahresabschlüsse von Wirecard jahrelang nicht beanstandet hätten.
Scholz hatte in der rund vierstündigen Befragung seinen
Reformwillen betont. Er drang darauf, dass die Bafin mehr Instrumente
brauche, um bei börsennotierten Unternehmen auch gegen deren Willen
prüfen zu können. Auch zur Rolle von Wirtschaftsprüfern müsse es
Reformen geben.
Paus sagte, Scholz und Altmaier hätten versucht, sich als die
großen Aufklärer und Reformer zu inszenieren. "Sobald es aber
kritisch wurde, haben sich beide Minister darauf zurückgezogen, dass
ihnen gesetzlich die Hände gebunden waren. Auf die Frage, wer die
politische Verantwortung habe, gab es nur großes Schweigen."
Toncar sagte, die FDP biete Linken und Grünen Gespräche über
einen Untersuchungsausschuss an. Ein Auftrag für das Gremium ließe
sich noch im August formulieren. Etwas zurückhaltender äußerte sich
Danyal Bayaz von den Grünen. "Einige Fragen wurden beantwortet, neue
sind entstanden", sagte er zur Anhörung der beiden Minister. Scholz
habe den Vorwurf nicht aus der Welt schaffen können, dass das
politische Frühwarnsystem nicht funktioniert habe, obwohl es schon
lange Warnsignale im Fall Wirecard gegeben habe.
Grüne etwas zurückhaltender
Seine Fraktion habe einen umfangreichen Katalog mit 90 Fragen an
das Finanzministerium übermittelt und erwarte Antwort bis zum 10.
August. Es gebe noch viele offene Fragen, auch an das Kanzleramt, die
in einer weiteren Sondersitzung geklärt werden sollten. Es gehöre zur
politischen Kultur in Deutschland, der Regierung Gelegenheit zur
Antwort zu geben. Bayaz sagte aber auch:
"Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Untersuchungsausschuss kommt, ist wahrscheinlich höher als die, dass er nicht kommt."
Die wirklich spannenden Fragen seien unbeantwortet geblieben,
bilanzierte Linken-Fraktionsvize Fabio De Masi: "Warum wurde trotz
vieler Sonderprüfungen nicht erkannt, dass die Wirecard Bank mithilfe
unbesicherter Kreditvergabe aus dem Konzern heraus gesteuert wurde",
fragte der Linken-Politiker. Dies sei eine von mehreren Fragen, auf
die der Finanzminister Antworten schuldig geblieben sei. Es brauche
daher nun eine vollständige Akteneinsicht. "Der
Untersuchungsausschuss ist weiterhin nötig, zumal sich das Kanzleramt
weiterhin wegduckt", betonte De Masi.
Rückendeckung für Scholz aus SPD und CDU
Die SPD-Finanzexpertin Cansel Kiziltepe nahm Scholz in Schutz:
"Der Finanzminister hat die Karten auf den Tisch gelegt. Die
Verantwortlichen haben im Rahmen der geltenden Gesetze ihre Arbeit
gemacht." Vielmehr habe der Wirecard-Skandal Qualitätsprobleme im
System der Wirtschaftsprüfung offen gelegt. "Das
Wirtschaftsministerium muss diese Mängel in Angriff nehmen. Es kann
nicht darauf vertrauen, dass das gegenwärtige System ausreicht."
Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) machte deutlich, er sehe
keine Fehler bei der Aufsicht über die Wirtschaftsprüfer. Altmaier
sagte nach der Sondersitzung, die Abschlussprüferaufsichtsstelle
habe, soweit er das nachvollziehen könne, sehr früh und zu jedem
Zeitpunkt die notwendigen und die richtigen Schritte
ergriffen.
(om/dpa)
In der SPD tobt derzeit die K-Frage, die Diskussion über den nächsten Kanzlerkandidaten. Kanzler Olaf Scholz zeigt sich entschlossen, erneut anzutreten. Doch die Umfragen sprechen eine andere Sprache, zumindest zum aktuellen Zeitpunkt.