Thüringen hat einen neuen Landesvater.
Allerdings: Nicht der bisherige Linken-Ministerpräsident Bodo Ramelow ist zum Ministerpräsidenten einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung gewählt worden, sondern der FDP-Politiker Thomas Kemmerich – und das mit Stimmen der AfD.
Mit Hilfe einer Partei also, deren Vorsitzender in Thüringen der umstrittene Björn Höcke ist. Der ist Wortführer der AfD-Gruppierung "Der Flügel", die seit Beginn des Jahres vom Verfassungsschutz als "Prüf-" und "Verdachtsfall" eingeschätzt wird. Die Behörde untersucht Teile der AfD hinsichtlich rechtsextremer Verbindungen und Strukturen.
Höcke selbst sucht auf Demonstrationen den Schulterschluss mit Rechtsextremen, tritt für eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" ein, hält die Migrationspolitik für eine "von oben verordnete multikulturelle Revolution" und warnt regelmäßig vor der "Abschaffung des deutschen Volkes".
Kurz: Der frisch gebackene FDP Ministerpräsident Thomas Karl Leonard Kemmerich hat sich von einer Partei wählen lassen, die einen Mann an ihrer Spitze hat, der ganz offiziell als Faschist bezeichnet werden darf und nicht viel von der parlamentarischen Demokratie hält.
Als kleine Erinnerung, von wem sich die FDP in Thüringen hat wählen lassen: Höckes Weltbild in Zitaten:
Gesagt hat er das in seinem jüngsten Interviewbuch "Nie zweimal in denselben Fluss". Übersetzt heißt das: Höckes Demokratie ist auf die autochthonen, also urdeutschen, die "eigenen" Leute begrenzt. Dieser Logik folgend, endet sie bei all jenen, die Höcke nicht für deutsch hält. Auch fordert er in seinem Interviewbuch im Grunde nicht weniger als die Abschaffung der repräsentativen parlamentarischen Demokratie, wenn er den "Parteiengeist" und die "Parteienherrschaft" überwinden will und sich stattdessen nach einer "politische Elite" sehnt, "die unsere Volksgeister wieder weckt". Dafür brauche es "eine starke Persönlichkeit und eine feste Hand an langer Leine."
Gesagt hat das Björn Höcke bei der sogenannten Tagung des "Instituts für Staatspolitik" in Sachsen-Anhalt im November 2015. Auf dem Rittergut Schnellroda des Publizisten und Verlegers Götz Kubitschek treffen sich regelmäßig Gleichgesinnte, um ihre neurechten Ideologien auszutauschen. Und dazu zählen offenbar auch die Fortpflanzungsfantasien des Björn Höcke.
Und für dieses "großangelegte Remigrationsprojekt" bedarf es dann auch einer "wohltemperierten Grausamkeit". Auch das steht in Höckes Buch "Nie zweimal in denselben Fluss". Es stünden harte Zeiten bevor, so Höcke, "denn umso länger ein Patient die drängende Operation verweigert, desto härter werden zwangsläufig die erforderlichen Schnitte werden, wenn sonst nichts mehr hilft".
Gesagt hat das der thüringische AfD-Chef auf einer AfD-Demo in Magdeburg im Oktober 2015. Die Idee einer tausendjährigen Zukunft ist nicht neu. Adolf Hitler versuchte, den Mythos eines tausendjährigen Reichs für seine NS-Propaganda zu nutzen. Das "Dritte Reich" der Nazis sollte einen Ewigkeitscharakter von 1.000 Jahren haben. Eine Form der Erlösungsideologie, die an biblische Vorstellungen anknüpfte. Denn ursprünglich verstanden Christen unter dem "Dritten Reich" oder dem "tausendjährigen Friedensreich" das Reich des Heiligen Geistes.
Die Heimatkarte ist sozusagen der Joker im ideologiepolitischen Kartenspiel Björn Höckes. Gezogen hat er sie bei einer Demonstration in Erfurt. Auch die Formel "1.000 Jahre Deutschland" durfte bei dieser Rede nicht fehlen.
Skizziert hat Björn Höcke seine Vision einer wiederzuentdeckenden Männlichkeit während einer Kundgebung im thüringischen Erfurt im November 2015. Wie weit diese männliche "Wehrhaftigkeit" gehen soll und darf, sagte Höcke nicht.
Die Gefahr einer "fremden Völkerschaft" beschwor Björn Höcke in seiner mittlerweile berüchtigten Rede vom 17. Januar 2017 im Ballhaus Watzke in Dresden herauf.
Die AfD sei die letzte evolutionäre, "die letzte friedliche Chance für unser Vaterland", sagte der AfD-Politiker damals. Es seien die alten Kräfte, so Höcke, "die unser liebes deutsches Vaterland auf[lösen] wie ein Stück Seife unter einem lauwarmen Wasserstrahl".
Ebenfalls Teil der Dresdner Rede ist Höckes Idee eines "vollständigen Sieges" – natürlich durch die AfD.
Die Thematisierung der Bombardierung Dresdens während des Zweiten Weltkriegs ist der Klassiker, wenn es darum geht, rechtsextremes Potential abzuschöpfen. Aus Tätern werden dann Opfer; die Verbrechen der Nazis, die der Bombardierung vorausgegangen waren, werden als Ursache einfach aus der Gleichung gestrichen. Was bleibt, sind böswillige Siegermächte, die willkürlich Deutschland bombardieren. In Höckes Erzählung wollten diese die Deutschen "mit Stumpf und Stiel vernichten".
Mit "Denkmal der Schande" meinte Björn Höcke das Holocaust-Mahnmal in Berlin, das an die industrielle Massenvernichtung der jüdischen Bevölkerung durch die Nationalsozialisten erinnert.
Höcke will sich offenbar nicht mehr erinnern. Mehr noch, er fühle sich nicht wohl dabei. "Anstatt unsere Schüler in den Schulen mit dieser Geschichte in Berührung zu bringen," beschwert sich Höcke in seiner Rede, "wird die Geschichte, die deutsche Geschichte, mies und lächerlich gemacht. So kann es und darf es nicht weitergehen!"
In Höckes Welt ist es da nur konsequent, wenn er in seiner Rede eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" fordert. Oder anders formuliert: Björn Hocke relativiert den Holocaust und gibt sich als lupenreiner Geschichtsrevisionist zu erkennen.
Gesagt hat er das am 18. Juli 2019 beim sogenannten "Kyffhäuser Treffen" im thüringischen Eichsfeld. Ein Treffen, das unter dem Motto "Der Osten steht auf" stand. Ende Oktober sind Landtagswahlen in Thüringen.
Von Maulkörben, die laut Höcke in Deutschland offenbar verteilt werden, scheint Höcke selbst allerdings nicht betroffen. Im Gegenteil: Die Maulkorbdemokratie lässt sogar wirre DDR-Vergleiche zu. "Ja, liebe Freunde," dozierte Höcke vor einem begeisterten Publikum, "es fühlt sich heute wieder so an wie damals in der DDR."
Zur Erinnerung: Björn Höcke ist Geschichtslehrer – und kommt aus Westdeutschland.
Für Höcke ist der Deutsche vom Aussterben bedroht. In Städten sei der Deutsche längst in der Minderheit, warnte er. Wenn Höcke den Björn-Höcke-Deutschen meinte, dann dürfte diese Feststellung wohl zutreffen. Bezogen auf Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft ist die Höcke-Aussage nicht belegbar.
Am 14.07.2019 warnte er in einer Wahlkampfrede vor der Stadthalle in Cottbus vor der "Abschaffung des deutschen Volkes". Es ist die große Erzählung in neurechten Kreisen. Den "großen Austausch" nennen sie das. Die Deutschen würden Stück für Stück durch Muslime unterwandert, so die Legende. Die Unterwanderung Deutschlands, "verordnet" von multikulturellen Linken, ist eine Art zweite Dolchstoßlegende light, die sich besorgte Bürger und Rechtsextreme da am Lagerfeuer erzählen.
Auch in seinem Buch "Nie zweimal in denselben Fluss" warnt er vor dem vermeintlich "bevorstehenden Volkstod durch den Bevölkerungsaustausch".
(ts)