Es ist ein nie da gewesener Schritt im Kampf gegen die Corona-Krise – und leider kein Aprilscherz. Über Ostern wird in Deutschland für fünf Tage in nicht gekannter Weise das öffentliche Leben weitestgehend ausgebremst. Was im Beschluss von Bund und Ländern von Dienstag noch beinahe wohlklingend als "Erweiterte Ruhezeit zu Ostern" genannt wird, dürfte in der Praxis den bisher schärfsten Corona-Lockdown im Land mit sich bringen. Vom 1. bis 5. April soll letztlich alles still stehen, was nicht von absolut existenzieller Bedeutung ist. Auch mögliche Lockerungen sollen auf die Zeit nach Ostern verschoben werden.
"Angesichts der ernsten Infektionsdynamik wollen Bund und Länder die Ostertage nutzen, um durch eine mehrtägige, sehr weitgehende Reduzierung aller Kontakte das exponentielle Wachstum der 3. Welle zu durchbrechen", heißt es in dem von Bund und Ländern gefundenen Kompromiss. Dafür sollen die Werktage am 1. und am 3. April zu sogenannten "Ruhetagen" werden, an denen etwa auch Unternehmen wie an Feiertagen geschlossen bleiben. Einzige Ausnahme: Lebensmittelgeschäfte dürfen am 3. April öffnen. Sogar Gottesdienste sollen nicht in Präsenz stattfinden – wobei das nur als Appell formuliert ist.
Bis sich Bund und Länder in der Nacht auf Dienstag nach den rund zwölfstündigen Verhandlungen auf einen Kompromiss einigen konnten, wurde hart gerungen. Zwischenzeitlich drohte die Runde gar ohne eine Einigung auseinanderzugehen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht von "außergewöhnlichen Entscheidungen", betont aber: die Ruhetage würden die dritte Welle wohl auch nur "ein Stück weit überwinden".
Es gehe darum, Zeit zu gewinnen, bis die Impfungen vorankommen, sagt Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), und auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erklärt, es sei nicht einfach nur die Verlängerung eines Lockdowns, vielmehr gehe es nun darum, "eine völlig neue Pandemie" zu bekämpfen. Der Oster-Lockdown werde Geschwindigkeit aus der Pandemie nehmen, "das wird uns sehr sehr helfen", damit dann nach Ostern bei entsprechenden Zahlen wieder über Lockerungen nachgedacht werden könne.
Dass die "schwere Geburt", wie Söder und Müller den Kompromiss bezeichnen, überhaupt noch von Erfolg gekrönt ist, war nicht immer absehbar.
Als fünf Ministerpräsidenten am Abend erklären, ihren Bürgern trotz der dritten Corona-Welle samt Virusvarianten "kontaktlosen Urlaub" im eigenen Bundesland erlauben zu wollen, zieht Merkel auf einmal ihre ganz persönliche Corona-Notbremse: Sollten Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz weiter darauf bestehen, werde sie den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz nicht mittragen.
Danach ist Pause. Für mehrere Stunden muss die Sitzung unterbrochen werden, in kleinen Runden geht es schrittweise vorwärts. Einen Abbruch kann sich niemand leisten. Am Ende ziehen die Länder zurück.
Es ist nicht das erste Mal, dass Merkel in einer Konferenz mit den Ländern auf Konfrontation geht. Im Oktober wählte sie etwa im Streit um eine Maskenpflicht in Hotspots ebenfalls drastische Worte: "Die Ansagen von uns sind nicht hart genug, um das Unheil von uns abzuwenden. Es reicht einfach nicht, was wir hier machen."
Auch das Argument der SPD-Seite, der "kontaktlose Urlaub" sei wegen der vielen deutschen Touristen auf Mallorca gerechtfertigt, lässt Merkel nicht gelten. Sie sei auch nicht begeistert über die Reisen auf die spanische Urlaubsinsel, aber dies sei eben auch keine Rechtfertigung für einen anderen falschen Schritt, macht sie deutlich. Zuvor hatte unter anderem Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) erläutert, dass es kaum möglich sei, die Reisen nach Mallorca zu stoppen. Um dennoch die Sicherheit zu steigern, wird eine Testpflicht für Reiserückkehrer beschlossen.
Apropos Mallorca: Mitten in die unterbrochene Sitzung hin gibt es zwei Meldungen von der Insel, die auf großes Interesse stoßen: So sagen die deutschen Fluggesellschaften zu, dass sie die Rückkehrer nun selbst auf Corona testen wollen. Und zum anderen sollen wegen wieder steigender Corona-Zahlen die erst vor kurzem geöffneten Innenräume von Cafés, Restaurants und Kneipen schließen.
Der Zwist um die kontaktlosen Ferien ist aber bei weitem nicht der einzige Streitpunkt an diesem Tag. Schon Stunden vorher hatten sich die Länder ihrerseits erfolgreich gegen einen Plan Merkels gestemmt, wonach über die Ostertage auch Verwandtenbesuche im größeren Rahmen möglich zu machen. Auch hier kommt das Argument, dies sei in der Pandemie ein falsches Signal - aber eben von den Ministerpräsidenten.
Schon alleine die Bandbreite der diskutierten Maßnahmen zeigt, wie diffus die Infektionslage in diesen emotional aufgeladenen Wochen gesehen wird – diskutierte die Runde anfangs über Lockerungen an Ostern für größere Verwandtenbesuche, beschloss sie schließlich besagten Blitz-Lockdown.
Mit dem neuen Kurs ohne Osterlockerungen und gegen den Tourismus gehen Bund und Länder durchaus ein Risiko ein, wenn auch weniger aus pandemischen Gründen. In der gegenwärtigen Corona-Müdigkeit der Bevölkerung wäre es durchaus ein psychologisch wichtiges Signal gewesen, um die wachsende Unzufriedenheit der Menschen zu bremsen.
Zur Erinnerung: Als vor Weihnachten wegen der steigenden Zahlen die Lockerungen bei den Kontakten über die Festtage kritisiert wurden, sagte Söder, es gehe um eine "Balance zwischen Empathie und Rationalität", immerhin sei Weihnachten das wichtigste Fest des Jahres. Damals gab es aber weder Schnell- noch Laientests.
Doch statt einer frohen Osterkunde setzen Bund und Länder an diesen kalten Märztagen auf eine andere Botschaft: Der Lockdown muss bis Mitte April verlängert werden, in Hotspots muss die Notbremse konsequenter als bisher angewandt werden. Die Unzufriedenheit mit dem Krisenmanagement dürfte so weiter wachsen. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur zeigten sich 34 Prozent "sehr unzufrieden" und 31 Prozent "eher unzufrieden" mit dem Agieren der Regierung.
Dass Bund und Länder dennoch im Bundestagswahljahr diesen Weg gehen, kann man auch als stringente Linie sehen. Und als Ausdruck ihrer Not, denn auch das reiche Deutschland kann sich keinen Dauer-Lockdown leisten. Wie teuer die Krise den Staat kommt, zeigt eine Eilmeldung, die am Nachmittag mitten in die Konferenz hereinplatzt: Wegen der Corona-Krise will Finanzminister Olaf Scholz (SPD) auch 2022 noch einmal neue Schulden in Höhe von rund 81.5 Milliarden Euro aufnehmen.
Keine Frage, die Menschen werden ihre Entscheidung bei der Bundestagswahl am 26. September kaum mit Einzelentscheidungen von Bund und Ländern begründen. Doch in den Hinterköpfen der Politiker nimmt die am 26. September anstehende Bundestagswahl einen immer größeren Platz ein. Nur so lässt sich die aufgeheizte Stimmung in der Verhandlung und das Gezerre um jeden Punkt zwischen SPD und Union erklären. Sowohl die SPD als auch die Union brauchen aber neuen Rückenwind, wollen sie gegen die Grünen erfolgreich sein.
Das dürfte nicht nur SPD-Kanzlerkandidat Scholz, sondern auch die für die Unions-Kanzlerkandidatur gehandelten Top-Bewerber unter Druck bringen – CDU-Chef Armin Laschet und Söder. Einen Stimmungsumschwung kann es aber wohl erst geben, wenn die schleppenden Corona-Impfungen Wirkung zeigen. Auch das betrifft besonders die Union. Und sie muss nach der Wahl auch noch ohne Krisenkanzlerin Merkel auskommen.
(om/dpa)