Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird an der Gedenkveranstaltung teilnehmen.Bild: dpa / Wolfgang Kumm
Deutschland
19.02.2021, 08:1219.02.2021, 08:11
Am Jahrestag des Anschlags von Hanau mit neun
Toten will Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am (heutigen)
Freitag in der Stadt den Angehörigen sein Mitgefühl aussprechen und
ein Zeichen gegen Rassismus und Rechtsextremismus setzen. Zusammen
mit Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU), dem Hanauer
Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) sowie Überlebenden und
Hinterbliebenen nimmt Steinmeier an einer Gedenkveranstaltung Hanau
teil. Bereits am Donnerstagabend hatten knapp 3000 Menschen mit einer
Demonstration durch die Frankfurter Innenstadt an die Opfer des
Anschlags erinnert. In Sprechchören riefen Demonstranten immer wieder
"Hanau war kein Einzelfall".
Der 43-jährige Deutsche Tobias R. hatte am Abend des 19. Februar
2020 neun Menschen mit ausländischen Wurzeln an mehreren Orten in der
Stadt im Rhein-Main-Gebiet erschossen, bevor er mutmaßlich seine
Mutter und schließlich sich selbst tötete. Zuvor hatte er Pamphlete
und Videos mit Verschwörungstheorien und rassistischen Ansichten im
Internet veröffentlicht. Die Tat hatte Entsetzen in ganz Deutschland
ausgelöst. Zahlreiche Organisationen und Personen aus Politik, Kultur
und öffentlichem Leben hatten den Hinterbliebenen ihr Mitgefühl
bekundet und ein konsequentes Handeln gegen Rechts gefordert.
Frank-Walter Steinmeier hatte den Familien der Opfer Briefe geschrieben
Bei der Gedenkveranstaltung sind neben einem kurzen Film, der
sich den Ereignissen des 19. Februar 2020 widmet, auch persönliche
Videoansprachen der Opferfamilien geplant. Symbolisch und in
Erinnerung an jedes der neun Opfer werde eine frei stehende und
beleuchtete Namenssäule auf der Bühne stehen, wie Kaminsky und
Bouffier angekündigt hatten. Zum Ende der Gedenkfeier sollen um 19.02
Uhr alle Kirchenglocken in der Stadt und im Hanauer Umland läuten.
Auch zahlreiche weitere Aktionen und Demonstrationen sind geplant,
darunter eine Kranzniederlegung und ein "Antifaschistischer
Stadtrundgang" des Deutschen Gewerkschaftsbundes Südosthessen,
mehrere Mahnwachen und Friedensgebete in Hanauer Kirchen.
Für die beiden Amtssitze des Bundespräsidenten – Schloss Bellevue
in Berlin und die Villa Hammerschmidt in Bonn – wurde für diesen
Freitag Trauerbeflaggung angeordnet. Im Gedenken an die bei dem
Anschlag Verstorbenen sollen die Flaggen auf halbmast gesetzt werden.
Nach Angaben des Bundespräsidialamts hat Steinmeier zudem an die
Familien der Opfer Anfang dieser Woche persönliche Briefe
geschrieben.
Heiko Mass nannte die AfD "geistige Brandstifter"
Der Bundespräsident war unmittelbar nach dem Anschlag nach Hanau
gekommen, hatte sich dort mit den Angehörigen der Opfer getroffen und
am Abend auf dem Marktplatz zu den Bürgern der Stadt gesprochen. Bei
der zentralen Trauerfeier am 4. März vergangenen Jahres hielt er die
Trauerrede. Für den 23. September hatte Steinmeier alle Angehörigen
der Opfer ins Schloss Bellevue eingeladen. Er traf sich dabei mit
jeder Familie zu einem persönlichen Gespräch. Auch Hessens
Innenminister Peter Beuth (CDU) hat für alle öffentlichen Gebäude und
Dienststellen des Landes für den Freitag eine landesweite
Trauerbeflaggung angeordnet.
Außenminister Heiko Maas rief zu einem verstärkten Kampf gegen
Rechtsextremismus und Rassismus auf und griff die AfD scharf an.
"Lassen wir die rassistische Hetze nicht unwidersprochen in der
Öffentlichkeit und in unseren Parlamenten", sagte der SPD-Politiker
der Deutschen Presse-Agentur. "Die AfD als eine geistige
Brandstifterin ist längst ein Fall für den Verfassungsschutz, und
gleichzeitig müssen wir alles tun, um Rechtspopulisten politisch zu
bekämpfen."
Das Kabinett arbeitete 89 Punkte zum Kampf gegen Rechtsextremismus aus
Niemand könne sagen, man habe Hanau nicht kommen sehen, sagte
Maas. Seit Jahren würden die Zahlen des Verfassungsschutzes für sich
sprechen. Über 33.000 Rechtsextreme lebten in Deutschland, 13.000
davon seien gewaltbereit, Tendenz steigend. "Warum schrillen bei uns
nicht alle Alarmglocken?", fragte der Außenminister.
Grünen-Chef Robert Habeck forderte weiterreichende Konsequenzen
aus dem Anschlag. "Politisch muss mehr geschehen, als es bisher der
Fall ist", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Die
Bundesregierung ist in der Verantwortung, ihre Maßnahmen gegen
Rassismus rasch umzusetzen." Das Kabinett hatte im Dezember einen
89-Punkte-Plan zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus
verabschiedet. Habeck forderte Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften mit
Fokus auf rechtsextreme Straftaten und eine "Task Force
Rechtsextremismus" als Anlaufstelle für von rechter Gewalt bedrohte
Menschen.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek,
forderte eine stärkere Betonung darauf, dass in Hanau Landsleute
angegriffen worden seien. "Das waren Deutsche. Das waren unsere
Landsleute, die angegriffen wurden", sagte Mayzek der "Neuen
Osnabrücker Zeitung" (Freitag). Er verlangte zugleich eine lückenlose
Aufklärung des Terroranschlags. Die Gefahr rassistischer Angriffe sei
nach wie vor groß. Punktuell würden Schutzmaßnahmen erhöht, aber das
sei nicht ausreichend. "Wir brauchen ein noch klareres Bewusstsein in
den Innenministerien, dass rechtsextreme Anschläge, zum Beispiel auf
Muslime, keine abstrakte Gefahr sind, sondern eine
konkrete."
(lfr/dpa)
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