
Die letzten Soldaten steigen in das Transportflugzeug vom Feldlager in Masar-i-Scharif nach Deutschland.Bild: Bundeswehr / Torsten Kraatz
Deutschland
Nach fast 20 Jahren ist der
verlustreichste und teuerste Auslandseinsatz in der Geschichte der
Bundeswehr beendet. Am Dienstag wurden die letzten verbliebenen
deutschen Soldaten aus Afghanistan ausgeflogen, wie die Bundeswehr
mitteilte. Camp Marmal, einst größter Bundeswehr-Stützpunkt außerhalb
Deutschlands, ist geräumt und an die afghanischen Sicherheitskräfte
übergeben.
Die Soldaten wurden mit vier Militärmaschinen aus dem Feldlager
in Masar-i-Scharif im Norden des Landes ausgeflogen. Die letzte
Maschine, eine A400M der Luftwaffe, verließ den afghanischen Luftraum
um 21.24 Uhr. An Bord war der deutsche Kommandeur Ansgar Meyer. Die
Soldaten wurden nach einem Flug über Georgien am Mittwoch in
Deutschland erwartet.
"Nach fast 20 Jahren Einsatz haben heute Nacht die letzten
Soldatinnen und Soldaten unserer Bundeswehr Afghanistan verlassen",
teilte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer mit. "Ein
historisches Kapitel geht zu Ende, ein intensiver Einsatz, der die
Bundeswehr gefordert und geprägt hat, bei dem sich die Bundeswehr im
Kampf bewährt hat. Ein Einsatz, bei dem Angehörige unserer
Streitkräfte an Leib und Seele verletzt wurden, bei dem Menschen ihr
Leben verloren haben, bei dem wir Gefallene zu beklagen hatten", so
die CDU-Politikerin.
Zum 11. September sollen alle internationalen Soldaten abziehen
59 deutsche Soldaten verloren in Afghanistan ihr Leben, 35 bei
Anschlägen oder in Gefechten. Mehr als 12 Milliarden Euro kostete der
Einsatz, der ursprünglich der Friedenssicherung dienen sollte und
dann zum Kampfeinsatz gegen die aufständischen Taliban wurde. Zuletzt
war der Kernauftrag der Nato-Truppe die Ausbildung afghanischer
Streitkräfte.
Kramp-Karrenbauer kündigte am Dienstag auch weitere Hilfe für
Ortskräfte an, die der Bundeswehr in den vergangenen Jahren bei ihrem
Einsatz zum Beispiel als Übersetzer geholfen hatten und nun eine
Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland erhalten können. "Wir wissen,
dass ein Teil derjenigen schon auf dem Weg ist nach Deutschland,
andere wollen die Situation erst noch abwarten", so die Ministerin.
Die Bundeswehr hatte den Abzug zuletzt deutlich vorantreiben
müssen, nachdem die US-Regierung unter Präsident Joe Biden den Abzug
beschleunigt hatte. Die letzten internationalen Soldaten sollen bis
spätestens 11. September Afghanistan verlassen haben, vermutlich
werden sie das aber bereits viele Wochen früher tun.
In Afghanistan gibt es weiterhin Auseinandersetzungen
Vor dem Beginn der Rückverlegung im Mai waren noch 1100 Männer
und Frauen der Bundeswehr in Afghanistan. 750 Seecontainer Material
wurde auf dem Land- und Luftweg nach Deutschland zurückgebracht,
darunter waren rund 120 Fahrzeuge und sechs Hubschrauber.
Zuletzt hatte sich die Sicherheitslage in Afghanistan vor allem
im Norden des Landes zugespitzt. Die militant-islamistischen Taliban
hatten alleine in der Provinz Balch, in der sich Camp Marmal
befindet, im Juni mindestens sechs Bezirke erobert. Auch in der Nacht
zu Mittwoch gab es Berichte über Kämpfe in der Provinz. Unklar blieb
bis zuletzt, ob es zu einem Angriff auf das Feldlager kommen würde.
Die Bundeswehr hatte Verstärkung in das Lager gebracht.
Insgesamt haben die Islamisten seit 1. Mai, dem offiziellen
Beginn des Abzugs der US- und Nato-Truppen, rund 90 der etwa 400
Bezirke des Landes neu erobert. Dabei wurden Hunderte
Sicherheitskräfte der Regierung getötet, verwundet, gefangen genommen
oder zur Aufgabe überredet.
US-General warnt vor Bürgerkrieg
Nach einer Statistik der "New York Times" sind im Juni im Schnitt
täglich 25 Sicherheitskräfte der Regierung ums Leben gekommen.
Tausende Zivilisten haben sich nun nach Aufrufen von politischen
Parteien und Figuren bewaffnet und den Sicherheitskräften
angeschlossen, um den Taliban-Vormarsch zu stoppen.
Vor Beginn des Abzugs drückten die allermeisten Beobachter und
westlichen Diplomaten die Überzeugung aus, dass die jahrelang von der
Nato ausgebildeten afghanischen Sicherheitskräfte stärker seien, als
ihr Ruf. Die raschen Gebietsgewinne der Taliban und zahlreiche
Kapitulationen von Soldaten und Polizisten der Regierung lösen nun
aber zunehmend Sorgen aus.
Der Kommandeur der US- und Nato-Truppen in Afghanistan,
US-General Austin Scott Miller, warnte am Dienstag davor, dass das
Land in einen Bürgerkrieg abdriften könnte. Afghanistan stünden "sehr
harte Zeiten" bevor, sollte sich die gespaltene zivile Führung des
Landes nicht einigen und die nun zu den Waffen gerufenen Milizen
nicht kontrolliert werden.
Nach UN-Daten mussten zwischen Abzugsbeginn Anfang Mai und Mitte
Juni fast 55.000 Menschen innerhalb Afghanistans vor den Kämpfen aus
ihren Dörfern und Städten fliehen, doppelt so viele, wie im
Vorjahreszeitraum. Nachbarländer fürchten zunehmend eine neue
Flüchtlingswelle. Die Friedensgespräche zwischen der Regierung in
Kabul und den Taliban treten weiter auf der Stelle.
(lfr/dpa)
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