AfD-Landeschef Höcke gratuliert FDP-Ministerpräsident Kemmerich zum Sieg. Bild: imago images / Karina Hessland
Deutschland
05.02.2020, 14:4905.02.2020, 16:07
Kernschmelze in Thüringen: Der bisherige Linken-Ministerpräsident Bodo Ramelow ist nicht, wie erwartet, zum Ministerpräsidenten einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung gewählt worden. Stattdessen konnte sich der FDP-Politiker Thomas Kemmerich im letzten Wahlgang durchsetzen – mit Stimmen aus der AfD.
Thüringens CDU-Chef Mike Mohring wies den Vorwurf zurück, seine Partei habe durch die Wahl des von der AfD unterstützten FDP-Politikers einen Tabubruch begangen. "Wir haben uns entschieden, den Kandidaten der bürgerlichen Mitte zu unterstützen", sagte Mohring. "Wir sind nicht verantwortlich für die Kandidaturen anderer Parteien." Von Kemmerich erwarte er nun eine "klare Abgrenzung zur AfD".
Die Landes-SPD warf den Liberalen nach Kemmerichs Wahl mit Stimmen der AfD eine "Missachtung des Wählerwillens" vor. Er sei "geschockt, dass die FDP sich hergibt, Spielchen mit der AfD zu machen", sagte der bisherige Landesinnenminister Georg Maier (SPD).
Von der Wahl in Erfurt gingen Schockwellen in die Berliner Bundespolitik aus.
Die Reaktionen aus Berlin:
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sprach von einem "historischen Tiefpunkt der deutschen Nachkriegsgeschichte". Dies gelte "nicht nur für Thüringen, sondern für ganz Deutschland". Die FDP habe sich von der AfD, die mit ihrem Thüringer Landes- und Fraktionschef Björn Höcke "einen waschechten Faschisten in den eigenen Reihen hat, an die Macht wählen" lassen.
SPD-Vizechef Kevin Kühnert etwa sprach auf Twitter von einem "Tabubruch", der nun für immer mit CDU und FDP verbunden sein werde.
Auch Linken-Bundeschef Bernd Riexinger sah in der Wahl Kemmerichs einen Tabubruch. "Wie weit sind wir gekommen, dass die FDP einen Ministerpräsidenten Kemmerich wählen lässt mit den Stimmen des Faschisten Höcke und der AfD? Das ist ein Tabubruch, der weitreichende Folgen haben wird", schrieb Riexinger in einer ersten Reaktion bei Twitter.
Die Parteispitze der SPD, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, zeigten sich schockiert und fanden deutliche Worte für das Wahlergebnis aus Erfurt. Walter-Borjans sprach von einem "unverzeihlichen Dammbruch", Esken nannte die Wahl "abgekartet" und forderte eine Korrektur. Die SPD habe "dringende Fragen an die CDU" und werde diese in einen Koalitionsausschuss klären.
Grünen-Bundestagsabgeordnete Katrin Göring-Eckardt sah in der Wahl einen bewussten "Verstoß gegen die Grundwerte unseres Landes". Mit Feinden der Demokratie lasse sich keine Zukunft für Thüringen gestalten.
Ihre Parteikollegin, die stellvertretende Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang, dachte in ihrer ersten Reaktion vor allem an Geflüchtete, Migranten und People of Colour. Sie könne sich nicht vorstellen, "wie sich das gerade anfühlen muss".
Auch aus den eigenen Reihen musste sich Kemmerich am Mittwoch scharfe Kritik anhören. Die FDP-Bundestagsabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann nannte die Wahl mit Stimmen aus der AfD "inakzeptabel und unerträglich".
FDP-Vize Wolfgang Kubicki war anderer Meinung. Er sieht in der Wahl von Kemmerich einen großen Erfolg für den Kandidaten seiner Partei. Kubicki sagte am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur: "Es ist ein großartiger Erfolg für Thomas Kemmerich. Ein Kandidat der demokratischen Mitte hat gesiegt. Offensichtlich war für die Mehrheit der Abgeordneten im Thüringer Landtag die Aussicht auf fünf weitere Jahre (Bodo) Ramelow nicht verlockend."
Offenbar mit Blick auf die Wahl Kemmerichs auch durch die AfD sagte der FDP-Politiker: "Was die Verfassung vorsieht, sollte nicht diskreditiert werden."
Reaktionen auf Social Media:
Satiriker Jan Böhmermann, der sich noch am Wochenende mit der FDP einen Schlagabtausch geliefert hatte, twitterte: "Und es ist auch noch die Höcke-AfD. Ausgewiesene Faschisten und Antidemokraten."
SPD-Influencerin Lilly Blaudszun zeigte sich am Mittwochmittag fassungslos. "Ein Liberaler, dessen Partei fünf Prozent bei der Landtagswahl bekommen hat, wurde von Nazis zum Ministerpräsidenten gewählt?"
Der Satriker und Ex-Youtuber Oğuz Yılmaz griff kurz nach der Ergebnisverkündung das Bonmot des FPD-Chefs Christian Lindner auf, nach dem es besser sei, "nicht zu regieren, als falsch zu regieren". So hatte nach der Bundestagswahl 2017 die Begründung der Liberalen für den Abbruch der Koalitionsgespräche gelautet.
"Fridays for Future"-Frontfrau Luisa Neubauer drückte ihr Entsetzen aus. Überrascht habe sie das Ergebnis aber nicht. "Tragischerweise".
Der Ex-Schalker Hans Sarpei, befand: "Ein trauriger Tag für Deutschland". Zum ersten mal sei dem Krieg hätten Nazis einem Ministerpräsidenten ins Amt geholfen.
(pcl)
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