Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier während der Aufzeichnung der Fernsehansprache zur aktuellen Lage in der Corona-Pandemie im Schloss Bellevue.Bild: dpa / Sandra Steins
Deutschland
03.04.2021, 08:2103.04.2021, 11:55
Ostern mit Corona - das zweite Jahr in Folge: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zu einem
gemeinsamen Kraftakt gegen die dritte Welle der Corona-Pandemie
aufgerufen. "Raufen wir uns alle zusammen, liebe Landsleute! Holen
wir raus, was in uns steckt", sagte er in einer Fernsehansprache zu
Ostern, die am Samstagabend ausgestrahlt wird.
"Empören wir uns nicht nur über die anderen oder über die da oben. Zeigen wir doch nicht ständig, was nicht geht, sondern dass es geht, wenn alle ihren Teil tun."
Steinmeier räumte eine "Krise des Vertrauens" ein und Fehler beim Testen, Impfen und der Digitalisierung. "Nach 13 Monaten helfen Durchhalteparolen nicht weiter. All die Appelle zu Geduld und Vernunft und Disziplin werden stumpf in diesen zermürbenden Zeiten." Eindringlich warnte das Staatsoberhaupt vor politischem Streit als Selbstzweck. Bund und Länder, Parteien oder Koalitionen und Umfragen dürften nun nicht die Hauptrolle spielen. "Wir brauchen Klarheit und Entschiedenheit, wir brauchen verständliche und pragmatische Regelungen, damit die Menschen Orientierung haben, damit dieses Land wieder das aus sich herausholen kann, was in ihm steckt."
Steinmeier kritisiert "Hang zum Alles-regeln-Wollen" in Deutschland
Die Pandemie halte Deutschland den Spiegel vor, sagte Steinmeier und nannte einen "Hang zum Alles-regeln-Wollen, unsere Angst vorm Risiko, das Hin-und-Herschieben von Verantwortung". Es werde aufzuarbeiten sein, wie dies geändert und wie die Institutionen krisentauglicher gemacht werden könnten. Mitten in der dritten Pandemiewelle brauche es nun "alle Kraft von allen Seiten, um sie zu brechen".
Der Bundespräsident stellte die Menschen auf "herbe Einschränkungen" in den nächsten Wochen ein. So wie die Pandemie den Bürgern viel abverlange, so dürften diese auch viel von der Politik verlangen. Die Erwartung an die Regierenden sei klar: "Rauft euch zusammen!"
Steinmeier mit Impf-Aufruf
Vertrauen beruhe in einer Demokratie "auf einer sehr fragilen Übereinkunft zwischen den Bürgern und ihrem Staat. Du, Staat, tust Deinen Teil; ich Bürger tue meinen", mahnte der Bundespräsident. Am Ende aber sei "Vertrauen in der Demokratie nichts anderes als dies: uns selbst vertrauen". Dafür gebe es jeden Grund, sagte Steinmeier etwa mit Blick auf die in Rekordzeit entwickelten Impfstoffe. Er vertraue allen in Deutschland zugelassenen Impfstoffen, betonte Steinmeier vor dem Hintergrund seiner Impfung mit dem Vakzin von Astrazeneca am Donnerstag. Das Impfen sei der wichtigste Schritt auf dem Weg aus der Pandemie - "machen Sie mit!", appellierte er.
Steinmeier bei seiner eigenen Impfung mit Astrazeneca.Bild: dpa / Steffen Kugler
Der Weg aus der Pandemie sei länger als erhofft, räumte Steinmeier ein. Viele Nachbarstaaten treffe es noch deutlich härter, andere seien weiter als Deutschland, keiner sei am Ziel. "Bilanz sollten wir erst am Ende ziehen."
"Warum muss es in Deutschland eigentlich immer der Superlativ sein - himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt?"
Der Bundespräsident versuchte auch, den Menschen zu Ostern Hoffnung zu machen. Vor einigen Monaten nach der ersten Corona-Welle habe man sich schon "mit Genugtuung als Pandemieweltmeister" sehen wollen. "Heute überbieten wir uns geradezu in Schwarzmalerei." Er frage sich: "Warum muss es in Deutschland eigentlich immer der Superlativ sein - himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt?" Die Wahrheit sei: Man sei nicht Pandemieweltmeister, aber auch nicht Totalversager. "Wir zweifeln viel, aber wir können auch viel. Und aufs Können, nicht aufs Zweifeln, kommt es jetzt an." Der Bundespräsident appellierte: "Haben wir doch Vertrauen in uns, und geben wir acht aufeinander!"
Der Kampf gegen das Corona-Virus überschattet nun bereits das zweite
Jahr in Folge das Osterfest. Wegen der Pandemie sind in Berlin und
Hamburg seit Freitagabend nächtliche Ausgangsbeschränkungen in Kraft.
Die neuen Regeln gelten in Deutschlands größten beiden Städten
zwischen 21.00 und 5.00 Uhr. In der Hauptstadt dürfen sich Menschen
während dieser Zeit nur noch allein oder zu zweit im Freien
aufhalten. In Hamburg dürfen sie Häuser und Wohnungen nicht mehr ohne
triftigen Grund verlassen. Bei Verstößen droht Bußgeld. In der ersten
Nacht nach Inkrafttreten schienen die Ausgangsbeschränkungen
weitgehend eingehalten zu werden, wie es aus Hamburg und Berlin hieß.
60 Prozent planen nicht einmal einen Tagesausflug an ostern
Zudem haben Bund und Länder die mehr als 83 Millionen Einwohner
Deutschlands aufgerufen, "auf nicht zwingend notwendige Reisen im
Inland und auch ins Ausland zu verzichten". Das zwischenzeitliche
Vorhaben einer fünftägigen "Osterruhe" ließen Bundeskanzlerin Angela
Merkel (CDU) und die Länder-Regierungschefs jedoch wieder fallen.
Trotzdem wollen sich viele Bürger zurückhalten. Nach einer Umfrage
des Meinungsforschungsinstituts YouGov für die Deutsche
Presse-Agentur planen 60 Prozent am langen Oster-Wochenende noch
nicht einmal einen Tagesausflug.
Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans warb dafür, der Bevölkerung
Perspektiven zu bieten. "Wir werden die Menschen allein mit dem
Schwingen der Lockdown-Keule in dieser Phase der Pandemie nicht mehr
mitnehmen können", sagte der CDU-Politiker der "Rheinischen Post"
(Samstag). Das Saarland will am Dienstag in einem "Modellversuch" mit
Öffnungsschritten beginnen: Theater, Kinos, Fitnessstudios und die
Außengastronomie sollen wieder aufmachen. Voraussetzung für einen
Besuch ist ein negativer Schnelltest.
Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas
Sternberg, verteidigte die Ostergottesdienste in den Kirchen. "Es
fliegen gerade Hunderte Flugzeuge nach Mallorca, in denen Leute dicht
nebeneinandersitzen", sagte Sternberg der "Neuen Osnabrücker Zeitung"
(Samstag). "Gleichzeitig sind die katholischen und evangelischen
Gottesdienste keine Hotspots. Da verstehe ich nicht, warum sie mit
strengen Regeln und großen Abständen nicht möglich sein sollen."
Auf das Bundesverfassungsgericht kommt nach Einschätzung seines
Präsidenten Stephan Harbarth durch Corona erhebliche Mehrarbeit zu.
"Diese Pandemie ist in allen freiheitlichen Ordnungen ein Stresstest
für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, auch in Deutschland", sagte
Harbarth den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Das Thema werde die
Gerichte vermutlich "auf Jahre hinaus" beschäftigen. Harbarth äußerte
auch die Erwartung, dass die Festlegung der Impfreihenfolge per
Ministerverordnung ein Fall fürs Bundesverfassungsgericht wird.
(hau/dpa)
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