Mike Mohring (links) und Bodo Ramelow wollen jetzt doch enger miteinander zusammenarbeiten, als man das vor kurzem noch für möglich hielt.Bild: Getty Images Europe
Deutschland
22.02.2020, 15:0322.02.2020, 15:11
Thüringen bleibt für Überraschungen gut: Nach zähem Ringen
vereinbaren Linke, SPD, Grüne und CDU einen historischen Kompromiss.
Die Thüringer CDU will einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung für begrenzte Zeit zu Mehrheiten verhelfen – trotz eines Kooperationsverbotes mit den Linken. Bei Verhandlungen von Linke, SPD und Grünen mit den Christdemokraten wurde am Freitagabend in Erfurt ein entsprechender Durchbruch erzielt.
- Die vier Parteien einigten sich auf eine neue Ministerpräsidentenwahl am 4. März, bei der die Linke wieder den früheren Regierungschef Bodo Ramelow als Kandidaten aufstellen will.
- Außerdem wurde eine Neuwahl des Parlaments am 25. April 2021 beschlossen. Die Vereinbarung soll den Weg aus der Regierungskrise ebnen, in der Thüringen seit mehr als zwei Wochen steckt.
CDU offenbar bereit, Ramelow ins Amt zu wählen
Die Thüringer Linke-Fraktionschefin Susanne Hennig-Wellsow kündigte
an, dass ihre Fraktion bei einem neuen Anlauf für eine
Ministerpräsidentenwahl erneut Bodo Ramelow ins
Rennen schicken will.
Unklar blieb zunächst, wie genau die Wahl des
Linke-Frontmanns mit absoluter Mehrheit abgesichert werden soll.
Linke, SPD und Grüne kommen in Thüringen nur auf 42 Stimmen und haben
im Parlament damit keine eigene Mehrheit - es fehlen vier Stimmen.
Laut "Spiegel" sollen einige CDU-Abgeordnete im ersten Wahlgang für Ramelow stimmen, sodass dieser auf eine absolute Mehrheit kommt.
Ein Parteitagsbeschluss verbietet der CDU eigentlich jede
Zusammenarbeit mit der AfD und der Linken. Nun aber soll es eine Art
Kooperation geben. Das gefällt der CDU im Bund überhaupt nicht.
Ziemiak gegen Wahl von Ramelow mit CDU-Hilfe
Die Bundes-CDU lehnt nach den Worten von Generalsekretär Paul Ziemiak die Wahl eines linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow in Thüringen mit Hilfe der CDU ab. Wer von der CDU Ramelow wähle, verstoße gegen die Beschlüsse der CDU, sagte Ziemiak am Samstag in Iserlohn.
Paul Ziemiak lehnt die Ramelow-Wahl ab.Bild: reuters
Ziemiak hatte die Wahl eines
Linke-Ministerpräsidenten mit Stimmen von CDU-Abgeordneten schon vor zwei Wochen kategorisch ausgeschlossen. Damals sagte er im ZDF: "Herr
Ramelow hat keine Mehrheit in diesem Parlament, und deswegen wird es
auch keine Unterstützung für Herrn Ramelow von der CDU geben. Da
braucht man sich überhaupt nichts vorzumachen." Der ehemalige
CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz hingegen bezeichnete den nun
vereinbarten Thüringer Kompromiss im "Tagesspiegel" als "vertretbaren
Weg aus der Krise, von deren Fortdauer vor allem die AfD profitiert
hätte".
Auch Spahn lehnt Ramelow-Wahl ab
Gesundheitsminister Jens Spahn meldete sich am Samstag sehr kritisch zu Wort.
In weiteren Tweets schrieb Spahn: "Ja, die CDU trägt Verantwortung – aber eben auch Verantwortung für ihre eigene Zukunft und Glaubwürdigkeit. Und um nichts weniger geht es."
Spahn plädierte für zügige Neuwahlen:
"So schwierig die Lage für unsere Kollegen vor Ort in Thüringen ist: Nachdem die Suche einer überparteilichen Persönlichkeit gescheitert ist, hilft kein weiteres Taktieren. Ich sehe einen Weg nach vorne nur in zügigen Neuwahlen. Da müssen wir dann zusammen mit aller Kraft kämpfen."
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sieht einen CDU-gestützten Ministerpräsidenten Ramelow kritisch. Bild: imago images
Kooperationsverbot ade! So rechtfertigt die CDU Thüringen ihren Tabubruch:
Thüringens CDU-Vizechef Mario Voigt sagte: "Für
den Übergang braucht es diese Formen des verbindlichen Miteinanders,
der projektorientierten Zusammenarbeit." Die CDU werde dennoch
eigenständige Initiativen im Parlament starten. "Wir verstehen uns
als konstruktive Opposition", sagte Voigt. Man wolle Kompromisse
gemeinsam suchen und dann zum Erfolg führen, aber nur "für eine
begrenzte Zeit", wie Voigt betonte. Die gemeinsamen Vereinbarungen seien "ein historischer Kompromiss, um die Stabilität einer Minderheitsregierung herzustellen".
Das Verhandlungsteam der Thüringer CDU-Fraktion erklärte nach der
Einigung, dass Rot-Rot-Grün keine Vorhaben umsetzen könne, die
fundamentalen Überzeugungen der CDU widersprächen. "Die
Stabilitätsvereinbarung bedeutet keine Koalition, keine Tolerierung
und keine Duldung von Rot-Rot-Grün, sondern eine zeitlich eng
begrenzte, projektorientierte Zusammenarbeit zum Wohle Thüringens",
hieß es in einer Mitteilung, deren Wortwahl auch vom erheblichen
Konfliktpotenzial des Erfurter Kompromisses für die Union zeugt.
Das Land wird derzeit vom geschäftsführenden Ministerpräsidenten
Thomas Kemmerich ohne Kabinett und Minister regiert. Der
FDP-Politiker Kemmerich war am 5. Februar nicht nur mit den Stimmen
von CDU und FDP, sondern auch mit denen der AfD zum neuen
Regierungschef gewählt worden, was bundesweit für Entrüstung sorgte.
Drei Tage später trat Kemmerich zurück.
Das sagt die Linke zum Kompromiss:
Hennig-Wellsow sprach von einer Minderheitsregierung in Thüringen,
die für einen abgesteckten Zeitraum von einer "konstruktiven
Opposition" unterstützt werden solle. Nachdem ein Haushalt für das
Jahr 2021 beschlossen ist, solle die Neuwahl des Parlaments beantragt
werden, sagte sie.
Ramelow sagte, man habe mit der CDU einen "Stabilitätsmechanismus"
vereinbart. Damit solle unter anderem verhindert werden, dass die AfD
bei Abstimmungen zum Mehrheitsbeschaffer werde.
Ramelow wird nun wohl doch noch Ministerpräsident.Bild: reuters
Weitere Reaktionen aus der Bundespolitik:
Linken-Chefin Katja Kipping sprach auf Twitter von einer Verständigung von historischer Dimension: Die von der CDU praktizierte Äquidistanz zwischen Linke und AfD sei damit "faktisch erledigt". Ein Unvereinbarkeitsbeschluss vom Bundesparteitag der CDU untersagt es den Abgeordneten eigentlich, mit der Linke und der AfD zusammenzuarbeiten.
"Wir sind sicher, dass diese Wahl gelingen wird und Thüringen eine
Regierung bekommt, die von Demokraten getragen wird", sagte
Thüringens Grünen-Fraktionschef Dirk Adams. SPD-Landeschef Wolfgang
Tiefensee erklärte: "Die CDU macht damit den Weg frei, bis Ende des
Jahres als konstruktive Opposition für stabile Verhältnisse im
Parlament und damit in Thüringen zu sorgen."
Um den Termin für eine Neuwahl war bei den Verhandlungen schwer
gerungen worden. Die CDU wollte zügige Neuwahlen vermeiden – wohl
auch, weil sie laut Umfragen in der Wählergunst stark abgesackt ist.
Nach jüngsten Umfragen würden sich die Christdemokraten nach dem für
sie historisch schlechten Wahlergebnis im Herbst 2019 (21.7 Prozent)
noch einmal dramatisch verschlechtern. Dagegen pochten vor allem
Linke und SPD auf eine schnelle Auflösung des Parlaments. Beide
Parteien sind in den Umfragen im Aufwind.
(hau/dpa)
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