Die Stimmung zwischen Teilen der FDP und Satiriker Jan Böhmermann ist nicht gerade gut. Bild: imago images / Christian Spicker / Gartner / watson-montage
Deutschland
Jan Böhmermann hat es Samstag und Sonntag immer wieder in die Twitter-Trends geschafft. Anlass war eine teilweise sehr ausufernde Diskussion, hauptsächlich mit Anhängern und Mitgliedern der FDP. Die liberale Partei wirft dem Satiriker vor, sie mit Rechtsradikalen in eine Reihe zu stellen und ist empört. Wie auf der Plattform üblich, mischen auf beiden Seiten jede Menge Trittbrettfahrer mit.
Doch was war da eigentlich los? Hat Böhmermann die Liberalen mit Rechtsradikalen gleichgesetzt? Oder ging es ihm um etwas anderes? Watson hat sich die Sache genauer angeschaut und bietet dir den Überblick. Eine Twitter-Chronik des Schreckens quasi. Und ein anschauliches Beispiel, was in der Kommunikationskultur so alles falsch läuft.
Donnerstag, 22.58 Uhr
Am Donnerstagabend geht die Sache los. Zunächst ist alles ganz harmlos. Benedikt Brechtken, FDP-Mitglied, antwortet auf einen Tweet von Jan Böhmermann. Auf Böhmermanns Forderung, der nächste Bundeskanzler solle weiblich sein und einen Migrationshintergrund haben, schrieb er "Ivanka Trump?". Böhmermanns Originaltweet, den er als Screenshot beifügte, stammt vom 30. September 2018.
Freitag, 10.19 Uhr
Soweit, so unspektakulär. Doch jetzt nimmt die Sache Fahrt auf. Der rechtsradikale Martin Sellner von der Identitären Bewegung nimmt den uralten Tweet von Böhmermann knapp zwölf Stunden später ebenfalls auf. Er verwendet sogar denselben Screenshot wie Brechtken.
Freitag, 12.44 Uhr
Nun schaltet sich Jan Böhmermann ein. Er hat bemerkt, dass sein über anderthalb Jahre alter Tweet von zwei Accounts aufgegriffen wurde – und kommentiert das Ganze folgendermaßen: "Es dauert im Netz knapp 12 Stunden, bis rechtsextreme Empörungstrigger von der FDP Recklinghausen bis zu den Kernfaschos der Identitären Bewegung durchgereicht werden."
Die Aussage ist also: "Rechtsextreme Empörungstrigger", in diesem Fall der Screenshot eines Tweets, der eine junge Bundeskanzlerin mit Migrationshintergrund einfordert, werden von der FDP bis zur Identitären Bewegung durchgereicht. Das ist, unabhängig von der Wortwahl, zunächst einmal eine faktisch richtige Aussage: Sellner hat den Screenhot des alten Tweets offenbar bei Brechtken gesehen, heruntergeladen und selbst verbreitet.
Freitag, 12.46 Uhr
Brechtken aber fühlt sich ungerecht behandelt – und in die rechte Ecke gestellt. Er erwidert auf Böhmermanns Tweet: "Rechtsextrem ist an mir übrigens gar nichts, ich verachte die AfD." Aus dem zutreffenden Hinweis, dass sein Screenshot von Rechten aufgegriffen und als Empörungstrigger verbreitet wurde, macht Brechtken also plötzlich den Vorwurf, selbst rechtsextrem zu sein.
Seine Antwort wird von Böhmermann jedoch ausgeblendet, wie er durch einen weiteren Screenshot belegt. Das sorgt für weitere liberale Empörung.
Freitag, 13.56 Uhr
Nun reagiert Böhmermann wieder. In einem neuerlichen Tweet erklärt er, auf welchen von ihm beobachteten Mechanismus er hinweisen wollte. Sein Tenor: Liberale und Rechtsextreme regen sich oft über dieselben Sachen auf. So sickere rechtsextremistisches Gedankengut in die Mitte der Gesellschaft.
Freitag, 14.28 Uhr
Aber damit, dass Liberale und Rechtsextreme oft auf die gleichen Feindbilder eindreschen (Gleichstellung, Antidiskriminierung, Klimaschutz) mögen sich Brechtken und seine Unterstützer nicht befassen. Stattdessen empören sie sich weiter darüber, dass Böhmermann Liberale vermeintlich als rechtsextrem bezeichnet hat.
Die Bundesvorsitzende Ria Schröder etwa twittert über die "Unterstellung, es gäbe irgendeinen Zusammenhang zwischen (Jungen) Liberalen und der Identitären Bewegung", die sie als "bösartigen Versuch der Diskreditierung" zurückweist.
Freitag, 15.45 Uhr
Böhmermanns Unterstützer versuchen daraufhin, mit Zahlen nachzuweisen, dass es doch einen Zusammenhang gäbe. Ein Datenanalyst erklärt, 17,6 Prozent der Follower von Brechtken folgten auch Sellner. In einem zweiten Tweet betont er, Jan Böhmermann habe versäumt, klarzustellen, dass es nicht bedeute, dass Brechtken rechtsradikal sei: "Es bedeute, dass die Rechten versuchten, "Freunde" in der "Mitte" zu finden und zu "Scharnieren" ihrer Ideologie zu machen."
Samstag, 10.10 Uhr
Anstatt sich mit dem nun mehrfach wiederholten Kern der Aussage – Rechte nutzen Liberale und Konservative und deren Abneigung gegen vermeintlich linke Themen, um in die Mitte der Gesellschaft vorzustoßen – zu beschäftigen, befasst sich Brechtken lieber damit, dass es einen noch nicht zum Rechtsradikalen macht, wenn man Follower aus dem Milieu der Identitären hat. Was allerdings auch niemand behauptet hatte, jedenfalls nicht Jan Böhmermann.
Dabei gebe es durchaus Gründe, sich mit Böhmermanns Ausgangsthese mal näher zu befassen – auch anhand von Brechtkens Account, dessen Stilblüten ein User in einem Tweet recht anschaulich zusammenfasst:
Samstag, 23.09 Uhr
Mittlerweile ist die Sache bis zur FDP-Spitze durchgedrungen. Genauer: bis zum Team der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Partei, Nicola Beer. Dort gibt man sich ebenfalls empört – und verweist darauf, man sei von Jan Böhmermann blockiert.
Ein Großteil der Blase um Brechtken und Co. stürzt sich nun auf den Vorwurf, jemanden auf Twitter zu blockieren. vertrage sich nicht mit einem offenen Weltbild.
Sonntag, 12.57 Uhr
Nun fühlt sich Böhmermann bemüßigt, dazu Stellung zu beziehen. Er erklärt, er habe lediglich neun Accounts blockiert, nur zwei davon aus inhaltlichen Gründen.
Keine Diskussion, nirgendwo
Soweit die Chronik. Man sieht: Über Böhmermanns ursprüngliche Aussage, dass Liberale und Rechtsextreme teilweise dieselben Feindbilder bedienten und letztere erstere gerne nutzten, um ihre Positionen bis in die Mitte der Gesellschaft zu verbreiten, wurde kaum gesprochen.
Dabei hatte schon die Debatte um die #Umweltsau und die Aufregung um das harmlose Kinderchor-Video des WDR hatten gezeigt, dass Rechtsradikale Liberale und Konservative als Steigbügelhalter nutzen, um ihre Themen auf die Agenda zu bringen. Gelernt haben wir dabei anscheinend wenig.
Für den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) muss letzte Woche im Bundestag wohl eine große Enttäuschung gewesen sein. Er hatte sich auf eine Debatte mit seinem Erzfeind und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eingestellt. Dieser fehlte aber spontan aufgrund eines Defekts an einem Regierungsflugzeug und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) musste für ihn einspringen.