Solidarität – vom Duden als "unbedingtes Zusammenhalten mit jemandem aufgrund gleicher Anschauungen und Ziele" bezeichnet – war gerade zu Beginn der Corona-Krise eine der großen Stärken der deutschen Gesellschaft. Doch gleiche Anschauungen und Ziele sind, zumindest was das Coronavirus angeht, nicht mehr unbedingt gang und gäbe. Manch einer versteht nicht mehr, warum es immer noch Maßnahmen gibt, andere sind besorgt, dass die immer weiter voranschreitende Lockerung eine zweite Welle provoziert.
Bei "Maybrit Illner"am Donnerstagabend im ZDF ist einer zugeschaltet, der sich bereits in einem zweiten Lockdown befindet. Michael Esken (CDU) ist Bürgermeister in der Stadt Verl im Kreis Gütersloh und mittendrin in den Nachwirkungen des Tönnies-Skandals. Die Stadt Verl hat unter anderem Bauzäune um die Wohnblöcke gezogen, in denen viele der Gast- und Leiharbeiter, die für Clemens Tönnies arbeiteten und arbeiten, gezogen. Das förderte kritische Stimmen zutage, weil die Menschen dort de facto eingesperrt wurden. Michael Esken erzählt, dass das eine ganz schwierige Entscheidung gewesen sei, die seiner Ansicht nach aber notwendig war.
Eine andere Sache ist dann allerdings die Aussage von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet gegenüber den Gast- und Leiharbeitern, die etwa aus Rumänien und Bulgarien nach Deutschland kamen. Zunächst erklärt ein Einspieler, dass Arme und Wenigergebildete häufiger infiziert seien und wirft die Frage auf, ob der Schutz vor dem Virus zu einem Schutz der Mehrheit vor den sozial schwächeren Schichten mutiert. Dazu gehöre eben auch, dass nun einige Menschen den Leih- und Gastarbeitern aus Rumänien oder Bulgaren die Schuld dafür geben, dass das Virus im Kreis Gütersloh ausgebrochen ist.
Ministerpräsident Laschet hatte schon zu Beginn mitten im Tönnies-Skandal im Fernsehen auf die Frage, was der Fall über die Lockerungsstrategie NRWs aussagt, geantwortet: "Das sagt darüber überhaupt nichts aus, weil da Rumänen und Bulgaren eingereist sind und da der Virus herkommt." Zwar versuchte Laschet im Nachgang seine Erklärung zu relativieren, doch seinen Satz aus der Welt räumen konnte er nicht mehr.
Für Jagoda Marinić sei es unfassbar gewesen, dass Laschet versuche, den Rumänen und Bulgaren die Schuld an dem Ausbruch zuzuschieben, sie sieht darin eine "rassistische Konnotation". "Armin Laschet hat sich entkanzlert", zieht die Journalistin ihr persönliches Fazit.
Zuvor waren Corona-Tests ein großes Thema in der Runde. Markus Söder, Bayerns Ministerpräsident, ist aus Nürnberg zugeschaltet. Bayern plant, in großen Massen auf das Coronavirus zu testen. 30.000 Tests am Tag und das Ergebnis soll innerhalb von 24 Stunden da sein. Gesundheitsminister Jens Spahn hatte den Plan kritisiert, er vermittle eine falsche Sicherheit.
Ob Söder die Kritik von Spahn verstanden hat, fragt Moderatorin Illner. "Nein", kontert der CSU-Politiker trocken. "Wir haben als Staat den Bürgern unheimlich viele Auflagen gemacht." Eines der wenigen Dinge, die der Staat anbieten könne, seien eben Tests. Söder erklärt, wie wichtig er großflächige Tests findet.
Söder kriegt Beistand von Virologe Jonas Schmidt-Chanasit. "Ich verstehe die ganze Aufregung darum gar nicht", sagt er. "Herr Söder hat eben hervorragend erklärt, worum es geht." Mehr Testkapazitäten in der Fläche zu schaffen, hält Schmidt-Chanasit für eminent wichtig. "Ich sehe hier ein sehr sinnvolles Vorgehen, sehr zielgerichtet", so der Virologe.
Jagoda Marinić ist da etwas anderer Meinung. Für sie sind die vielen Tests, die in Bayern geplant sind, nicht nur positiv zu sehen. Sie befürchtet genau wie Gesundheitsminister Spahn eine falsche Sicherheit bei den Menschen. Marinić sieht außerdem eine gewisse Selbstbeweihräucherung in Bayern und eine Selbstzufriedenheit, dabei müsse man ihrer Meinung nach viel stärker auf die Risikobereiche schauen, zum Beispiel Alten- und Pflegeheime.
Söder weist die Kritik zurück und führt aus, wie sehr Bayern auf diese Risikobereiche schaue. Als Moderatorin Illner ihn dann unterbricht und einem der anderen Gäste das Wort übertragen will, wird Söder ein wenig patzig. "Frau Illner, Sie wollen die Sendezeit natürlich immer komprimieren", sagt er, während Illner schon redet.
Wenn es um Leben und Tod gehe, dann müsse er den Vorwurf der Journalistin aber schon noch ausräumen dürfen. "Dieser Vorwurf geht ins Leere und ist schade."
Während die Solidarität augenscheinlich schwindet, steigt mancherorts der Hang zum Eigenlob. Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern lobt in einem Großteil ihrer Redebeiträge die niedrigen Infektionszahlen und den tollen Umgang mit der Krise in ihrem Bundesland. Als sie dann auch noch die Urlaubsmöglichkeiten in Mecklenburg-Vorpommern anpreist, sagt sogar Moderatorin Illner: "Und da kommt schon wieder die Werbung für Mecklenburg-Vorpommern." Dabei sollte Eigenlob doch nicht nur in der momentanen Situation eher nebensächlich sein.