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Deutschland
29.08.2019, 14:4704.09.2019, 08:31
Tom Niedraus* (Protokoll: Max Biederbeck)<br>
Wenn ich meinem Vater von den Spielplatz-Erlebnissen meines Sohns berichte oder von meinem kürzlichen Umzug nach Hamburg, antwortet er mit Textnachrichten wie "Die Migranten sind schuld" oder "Die Gerichte sind Sklaven der Politik". Solche wütenden Zeilen bestimmen heutzutage sein Denken. Sie tauchen in so gut wie jedem unserer persönlichen Gespräche auf, auch wenn es gerade eigentlich um etwas ganz anderes geht. Für meinen Vater (Anfang 60) erzählen sie wichtige Wahrheiten. Für mich (Anfang 30) sind sie unterschwellige Forderungen: Ich soll endlich kapieren, was falsch läuft und auf die "richtige Seite" wechseln.
Wenn Sachsen am Sonntag wählt, wird mein Vater sein Kreuz bei der AfD setzen. Die Politik dieser rechtsextremen Alternative im Osten trübt das Verhältnis zwischen meinen Eltern und mir. Sie entfremdet mich auch von meiner alten Heimatstadt Dresden.
Und ich mache mir Sorgen, weil besagte "richtige Seite" kein gutes Ende für meine Eltern bedeuten kann. Die Geschichte über das Verhältnis zwischen meinem Vater und mir ist auch eine Geschichte über Radikalisierung.
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Alles begann mit Russlands Angriff auf die Ukraine
Meine Eltern sind die Generation des Umbruchs. Sie waren noch gänzlich Teil der DDR, in der Schule erzog man sie zu "neuen Menschen", sie erhielten eine Berufsausbildung, leisteten Wehrdienst. Es war ein erfolgreiches Leben in einem erfolglosen Staat, inklusive sozialem Aufstieg durch die eigene "Platte". Dann kam die Wende.
Plötzlich schien niemand mehr die Erfolgsbiografien meiner Eltern zu respektieren. Die beiden entwickelten wie auch so viele Andere deshalb enorme Vorurteile über die "Wessis" – jene Fremdgewordenen, die nach der Wiedervereinigung Wirtschaft und Politik in Ostdeutschland nach ihrem Ermessen zu bestimmen schienen. Das Ergebnis: Frust über die Neuen.
Das war nie meine Wahrheit, aber Streit gab es deshalb selten. Zwischen meinem Vater und mir gab es aber immer eine Art Grundkonsens, obwohl wir sehr verschieden waren – ich die freche Labertasche und er der ruhige Planer. Er hatte damals noch nichts gegen Ausländer. In den 90ern wählte er mal die FDP, mal die Linkspartei.
Aber dann schickte Russland 2014 seine "Grünen Männchen" in die Ukraine, und beim Abendbrot entbrannte erstmals ein Streit.
Mein Vater hatte sich im Internet über den Konflikt informiert und war auf Websites voll mit russischer Propaganda gestoßen. Länder wie die Ukraine und Polen hatten dort plötzlich keine eigenständige Perspektive mehr. Putins Anspruch auf die Krim-Halbinsel war jetzt auch für meinen Vater historisch begründet und logisch. Ich hielt dagegen, aber kam zum ersten Mal in meinem Leben nicht mehr durch zu ihm. Mein Vater wollte nicht verstehen: Für ihn sollte der sowieso vorbelastete Westen der Täter sein und nicht Russland. Ich versuchte damals noch, Verständnis aufzubringen, hatte eben immer die prorussische Prägung meines Vaters aus DDR-Zeiten im Hinterkopf.
Dann zog ihn "das Volk" in seinen Bann
Dann kam Pegida in Dresden. Mitten in den Protesten und "Wir sind das Volk"-Rufen liefen auch Menschen mit, die wild ihre Russlandfahnen schwenkten. Erst drückte mein Vater in Unterhaltungen vorsichtig Sympathien für sie aus. Bei einem Besuch erzählte er meiner Frau und mir dann, dass er selbst mitgelaufen sei. "Weil Angela Merkel falsche Politik macht", sagte er.
Wir waren sprachlos: Die AfD ist seit ihrer Entstehung nach rechts gewandert, Pegida in Dresden war nie woanders. Mein Vater musste wissen, auf was er sich da einlässt. Uns war auch völlig schleierhaft, warum er plötzlich Angela Merkel als neues Feindbild ausgemacht hatte und ohne einen kritischen Gedanken in die Pegida-Kakophonie einstieg.
Meine Frau regte sich so sehr auf, dass ich schlichten musste, um eine familiäre Katastrophe zu verhindern. Plötzlich war ich Gefangener zwischen den extrem rechten Ansichten meines Vaters und der grünlinken Meinung meiner Frau. In den folgenden Jahren würde dieser Streit bei so ziemlich jedem Familienbesuch aufbrechen: Ich sehe die Dinge wie meine Frau, aber ich kann meinen Vater auch nicht aufgeben. Also muss ich versuchen, einen Ausgleich zu finden. Meiner Mutter geht es ähnlich, sie versucht zu moderieren und ergreift einmal Partei für meine Frau und mich und dann wieder für meinen Vater.
Seit 2015 treibt die AfD meinen Vater vor sich her
Es blieb nicht bei Russland. 2015 entdeckte die AfD die Flüchtenden für sich und drehte sich vor allem im Osten heftig ins rechtsextreme Spektrum hinein. Für Menschen wie meinen Vater liefert sie seitdem immer neue Antworten auf das vermeintliche Versagen der Regierung. Alle angefüttert mit eigenen Fakten. Manche dieser "Beweise" stimmen, manche sind aufgeblasen, andere schlicht Lügen oder Verdrehungen. Gemeinsam haben diese "Beweise" nur: Sie sollen eine Stimmung der Wut und des Frusts bei Menschen wie meinem Vater aufrechterhalten. Auf die Flüchtenden folgte der Islam, folgte die Gender-Bedrohung, folgte der linksgrün-manipulierte Mainstream, folgte jüngst etwa die völlig irrsinnige Debatte um Schweinefleisch in zwei Leipziger Kindergärten.
Die "Alternativen" lösten die Linkspartei im Osten auf diese Weise in Windeseile ab. Die AfD besetzte den Frust besser als die Linken mit ihrer SED-Vergangenheit und ihren komplizierten Versprechen eines "sozialistischen Internationalismus".
Das Wut-Ökosystem ist für meinen Vater leichter zu verdauen, die AfD hat seinen Frust besser verstanden als die Linkspartei. Unter diesem Einfluss mutierte er Stück für Stück zu einem jener Rechtsaußen-Schwätzer, die auf ihren Hintern sitzen und erklären, was ihnen alles nicht passt. Er verwandelte sich in ein Klischee, über das in Fernseh-Beiträgen und Talkshows tausendfach gesprochen wird. Auf einmal redete auch mein Vater immerzu über Ausländer und den Islam und schien gleichzeitig blind geworden zu sein für die echten Probleme Dresdens, zu denen eben auch die ausufernde Gewalt durch Neonazis gehört. Ich konnte ihm bei all dem nicht folgen.
Wir geben uns nicht auf, deswegen endet der Streit nie
Irgendwann spannte sich mein Verhältnis zu ihm so sehr an, dass wir entschieden, die Politik außen vorzulassen. Eine Notlösung, die nicht ansatzweise funktioniert hat, denn die Themen stehen immer im Raum: Bei jedem Besuch, wenn im Hintergrund die Nachrichten im Radio laufen. Oder wenn mein Vater wieder einen seiner Wut-Artikel im Internet findet. Dann versuche ich doch wieder, ihn zurückzuholen aus dem Frust.
Auch er hat mich als Sohn noch nicht aufgegeben und kann deshalb nicht aufhören. Gleichzeitig scheint mein Vater meinen Widerspruch als Bestätigung zu brauchen. Für ihn gehöre ich längst zu den "Verblendeten" und zu den "Verwestlichten". Er ist wie ein pubertierender Teenager, der sich an seinen viel zu vernünftigen Eltern reibt. Verdrehte Welt.
Ich schätze, die AfD ist froh darüber, wenn wir so streiten. Die Partei ist darauf angewiesen, dass sich Menschen wie mein Vater in separierten Gruppen aufgehoben fühlen, in denen sie nicht aktiv handeln müssen. In denen sie sich trotzdem mit ihrem Frust aber in der Mehrheit und im Recht sehen können. Solche Gruppen sind für mich der Motor des AfD-Erfolgs. Unverständnis sogar in der eigenen Familie stärkt dieses "Wir gegen den Rest"-Gefühl nur noch.
Lassen sich die Schäden noch reparieren?
Längst hat meine Frau keine Lust mehr, nach Dresden zu fahren. Ich selbst ertappe mich oft dabei, es auch nicht mehr zu wollen. Als ein pöbelnder Mob in Freital, Heidenau und Chemnitz durch die Straßen marodierte, sagte mein Vater im Anschluss daran Sätze, die ich ihm nie zugetraut hätte: Er verharmloste die Gewalt, die an diesen Orten eindeutig gegen Ausländer stattgefunden hat.
Dabei würde er selbst nie mit Neonazis auf die Straße gehen, oder sich an solchen Hetzjagden beteiligen. Davon bin ich überzeugt.
Dass mein eigener Vater aber mittlerweile zu solchen Verharmlosungen fähig ist, kann und will ich nicht verstehen.
Das Schlimme daran: Der ruhige Planer von einst kann wohl nie wieder richtig zurückkommen von seinen Extrempositionen. Selbst wenn die AfD regieren sollte, wird ihm das überhaupt keine Befriedigung verschaffen – wie sollte es?
Das Ermächtigungs-Gefühl, das er gerade mit Gleichgesinnten durchlebt, bietet keine echten Lösungen für seinen Frust. Irgendwann wird er entweder wieder in seine alte Apathie verfallen, oder er sucht sich ein neues Ziel für seine Verbitterung. Für mich ist das traurig, weil mein Vater immer jemand war, mit dem man von der Fahrradtour bis zu wichtigen Gesprächen alles unternehmen konnte.
Ich kann mir aber nicht vorstellen, wie wir wieder zu solch einem Verhältnis kommen können. Toxische Ideen entwickeln sich über eine lange Zeit. Der Gedanken-Knoten im Kopf meines Vaters wird sich ohne Weiteres nicht sinnvoll entwirren lassen. Das wird mir noch lange zu denken geben.
(*Namen geändert, Protokoll: Max Biederbeck)