Einsamkeit ist in modernen Gesellschaften ein Problem, eine Epidemie. In Deutschland fühlen sich laut Erhebungen des Kompetenznetzwerks Einsamkeit (KNE) 14 Prozent der Bevölkerung immer wieder einsam. Das KNE erforscht Ursachen und Folgen von Einsamkeit.
Und diese Entwicklung ist nicht neu. Lange galt Einsamkeit als Einzelschicksal – mittlerweile erkennen immer mehr politische Entscheider:innen die gesamtgesellschaftliche Aufgabe an. In Deutschland erarbeitet die Bundesregierung unter Federführung von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) eine Einsamkeitsstrategie.
Eine Studie, an der Forscher:innen der Harvard, Stanford und Curtin University und der University of Western Australia mitgewirkt haben, hat nun eine wichtige Ursache für Einsamkeit identifiziert. Die Wissenschaftler:innen fanden heraus, dass die Art und Weise, wie wir mit Gefühlen umgehen, eine gewaltige Auswirkung auf unsere empfundene Einsamkeit haben. Eine Erkenntnis, die dem Individuum helfen könnte, mit der eigenen Einsamkeit umzugehen.
Nicht nur in Deutschland ist Einsamkeit ein Problem für die Gesellschaft – auch viele andere Industrienationen kämpfen damit. Watson hat sich umgeschaut und fünf Ideen zusammengetragen, wie das Ausland mit dem Problem Einsamkeit umgeht.
"Einsamkeit ist die traurigste Realität des modernen Lebens", erklärte die frühere britische Premierministerin Theresa May – und gründete deshalb 2018 ein Einsamkeitsministerium. Tracey Crouch wurde die weltweit erste Einsamkeitsministerin und hat sich für einen ganzheitlichen Ansatz starkgemacht. Die Idee: Überparteilich und im Austausch mit Wohltätigkeitsorganisationen soll der Vereinsamung gerade Älterer entgegengewirkt werden.
Auch in Japan gibt es seit 2021 ein Einsamkeitsministerium. Dort werden alle Zuständigkeiten und Angebote gebündelt, damit die Betroffenen leichter an Informationen kommen können. Ziel sei es auch, eine Gesellschaft zu schaffen, in der offen über Einsamkeit gesprochen werden könne.
Seit dem Sommer 2023 gibt es auch in Deutschland die erste Stelle für eine:n offizielle:n Einsamkeitsbeauftragte:n. Und zwar im Berliner Bezirk Reinickendorf. "Neben einer sensiblen Aufklärung und Kommunikation, müssen administrative Strukturen geschaffen werden. Das packen wir mit dieser bezirklichen Beauftragten-Stelle nun an", erklärt Bürgermeisterin Emine Demirbüken-Wegner (CDU). Ein Beispiel habe sie sich an Japan und England genommen.
Konkret solle es nicht nur darum gehen, Einsamkeit zu bekämpfen, sondern ihr auch vorzubeugen. So soll etwa erörtert werden, wo in Reinickendorf Betroffene anzutreffen sind, welche Angebote es in der nahen Umgebung gibt und welche Kräfte noch gebündelt werden müssen. Das längerfristige Ziel sind auch Informationsmaterialien in verschiedenen Sprachen.
Die Niederlande haben eine andere Herangehensweise. Hier gibt es mittlerweile sogenannte Klets-Kassa; also Plauderkassen. Seit 2019 gibt es die geselligen Kassen, so berichtet es Radio Bremen. An diesen Kassen haben die Kund:innen die Möglichkeit, sich Zeit für einen Schnack zu nehmen, ohne dass von hinten gedrängelt wird. Bereits 2022 hatte es im Königreich rund 40 Filialen mit einem solchen Angebot gegeben.
Die Idee sei aufgekommen, weil aufgefallen sei, dass viele Senior:innen nur einmal in der Woche mit jemandem ins Gespräch kämen – nämlich an der Kasse im Supermarkt. Durch das neue Konzept können sich die Kassierer:innen mehr Zeit für die Kundschaft nehmen. Auch in Deutschland sind mittlerweile erste Plauderkassen – oder wie sie in Bayern genannt werden, Ratschkassen – eröffnet worden.
Um gerade Bettlägerige und Menschen, die wegen ihrer Erkrankungen nicht mehr am Sozialleben teilnehmen können, zu unterstützen, gibt es in Tokio nun ein Robotercafé. Das Besondere: Die Roboter werden nicht von einer KI gesteuert, sondern von Piloten – bettlägerigen Piloten. Sie können die Bedienroboter von ihrem Bett aus steuern und so weiter am Leben teilnehmen.
Die Idee dahinter ist, Menschen, die sonst von der Gesellschaft ausgeschlossen wären, so einen Zugang zu ermöglichen. Als Pilot des Roboters können sie mit den Gästen des Restaurants interagieren, sich unterhalten. Das Konzept soll ein Gemeinschaftsgefühl schaffen, gerade nach den Zeiten der Pandemie, in denen Einsamkeit ein noch größeres Problem geworden ist.
Auch Spanien hat ein Problem mit Einsamkeit. Bei einer Erhebung aus dem Jahr 2015 kam heraus, dass etwa 70 Prozent derer, die allein leben, einsam sind. Das berichtet die spanisch-deutsche Zeitung "Wochenblatt". In Galicien, eine der Regionen, in denen die Bevölkerung am ältesten ist, will das Projekt "Familie Alberta" die Einsamkeit bekämpfen.
In den Räumlichkeiten eines alten Klosters treffen sich dort alleinstehende Menschen, die sich der "Familie" angeschlossen haben. Sie essen dort gemeinsam und verbringen Zeit zusammen. Geleitet wird das Projekt größtenteils in Eigenregie – und auch die Kosten teilen die "Familienmitglieder" untereinander auf. Die Idee kam vom galicischen Franziskanerorden.
Durch die "Familie Alberta" sollte eine Ersatzfamilie für Menschen geschaffen werden, die sich einsam fühlen. Jede:r sei willkommen, unabhängig von der Konfession, dem Wohnort oder sonstigen Verpflichtungen. Vielmehr soll durch die Diversität auch eine familiäre Atmosphäre geschaffen werden.
Um mehr Menschen auf das Projekt aufmerksam zu machen, seien Helfer:innen von Tür zu Tür gegangen, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und sie einzuladen, Teil der Familie zu werden. Das "Wochenblatt" zitiert Franziskanermönch Lista: "Eine Einsamkeit plus eine Einsamkeit ergibt Gesellschaft – die Lösung für das Problem liegt in der Person, die es erleiden muss, selbst."
Einsamkeit lässt sich in einer digitalisierten Welt auf verschiedenen Wegen angehen. Praktische Helferlein, auch hier: Apps, KI und VR. So gibt es in Miami (USA) beispielsweise ein Pilotprojekt, um Senior:innen vor der Einsamkeit zu retten. Mithilfe einer VR-Brille wurden die Oldies in den Urlaub geschickt. VR Genie nennt sich das Projekt, das "Einsamkeit und soziale Isolation" älterer Menschen, die allein oder in Pflegeheimen leben, bekämpfen soll.
Ziel des Projektes ist es, eine "umfassende Traumbibliothek" aufzubauen, anschließend sollen Miamis Pflegeheime mit VR-Helmen ausgestattet werden, berichtet die "Kleine Zeitung". Es gehe nicht darum, dass die Menschen der Wirklichkeit entfliehen, vielmehr wolle man sie wieder mit der Welt zusammenbringen, zitiert die Zeitung die Initiatorin des Projektes. Studien hätten bewiesen, dass VR Menschen bei Depressionen und Einsamkeit helfen könne.
Aber nicht nur VR-Brillen können helfen. Das Kompetenznetzwerk Einsamkeit hat auf seiner Website Apps zusammengetragen, die Menschen dabei ebenfalls unterstützen können, weniger einsam zu sein.
So gibt es beispielsweise mit "Gemeinsamerleben" und "meet5" zwei Apps, mit denen man Gleichgesinnte für Aktivitäten finden kann. "Helpcity" unterdessen soll anonyme Hilfe bieten, wenn einsame Menschen mit jemandem sprechen möchten, der in einer ähnlichen Situation ist wie sie selbst.