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Digital
26.09.2019, 04:1926.09.2019, 06:41
Die Grünen-Politikerin Renate Künast muss hinnehmen, dass man sie auf Facebook eine "Drecksfotze" nennt. Das entschied das Berliner Landgericht in der vergangenen Woche. Das Urteil sorgte für Aufsehen – am Mittwochabend war Künast beim ZDF-Dauertalker Markus Lanz zu Gast.
- Künast will gegen den Beschluss Revision einlegen. Bei Lanz zeigte sich die Grünen-Politikerin fassungslos über das Urteil: "Jeder Schüler, der das ein-, zweimal sagt, der fliegt von der Schule."
- Die Politikerin hatte erreichen wollen, dass Facebook die personenbezogenen Daten von 22 Nutzern herausgeben darf, die Künast aufs Übelste beleidigt hatten – dabei fielen auch die Begriffe "Drecksfotze", "Geisteskranke" und "Dreckschwein".
- Künast wollte zivilrechtliche Schritte gegen die Nutzer einleiten. Laut dem Berliner Gericht handelte es sich aber um zulässige Meinungsäußerungen.
Künast wird regelmäßig zur Zielscheibe von rechter Hetze. Unterstützung bekam sie am Mittwochabend vom Anwalt Christian Schertz: "Man macht mit solchen Entscheidungen die Tür auf für noch schlimmere Delikte – bis hin zu Gewalt, die wir auch schon haben." Schertz erinnerte an das mutmaßlich rechtsextreme Attentat auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke in diesem Sommer.
Christin Schertz schlug sich am Mittwochabend auf die Setie von Renate Künast.zdf-screenshot
Für Schertz, der sich als Anwalt von Prominenten einen Namen gemacht hat, ist klar: "Wir haben es nicht nur in der digitalen Welt, wir haben es auch auf der Straße, dass diese ganze Sprachkultur verroht ist."
Der Kontext der Entscheidung des Berliner Landgerichts ist kompliziert:
Alles begann mit einem Zwischenruf von Künast aus dem Jahr 1986 im Berliner Abgeordnetenhaus im Zusammenhang mit der damaligen Pädophilie-Debatte bei den Grünen. Die NRW-Grünen forderten damals, dass der einvernehmliche Geschlechtsverkehr zwischen Kindern und Erwachsenen nicht bestraft werden solle. Das griff ein CDU-Abgeordneter auf und unterstellte den Grünen, jeglichen Geschlechtsverkehr zwischen Erwachsenen und Kindern legalisieren zu wollen. Künast rief dazwischen: "Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist!" Künast selber unterstützte die Position der NRW-Grünen damals nicht, ihr Anwalt betonte, sie habe die Position der Parteikollegen damals lediglich richtig stellen wollen.
29 Jahre später griff die Zeitung "Welt" den damaligen Vorfall auf und stellte die Frage: "Klingt das nicht, als wäre Sex mit Kindern ohne Gewalt okay?" Diesen Artikel aus dem Jahr 2015 nahm sich dann ein einflussreicher rechter Netzaktivist zur Vorlage, veröffentlichte den Artikel auf Facebook – und verfasste dazu eine ganz eigene Ergänzung: "Komma, wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist Sex mit Kindern doch ganz ok. Ist mal gut jetzt."
Diese Entfremdung des Künast-Zitats sorgte für Wut bei den Anhängern des Netzaktivisten. In den Kommentaren auf Facebook kam es zu einer Reihe von Äußerungen, die Grundlage des Beschlusses des Berliner Landgerichts waren. Das Berliner Landgericht begründete seinen Beschluss auch damit, dass die Öffentlichkeit Künasts Einwurf als Zustimmung zu dem Beschluss der NRW-Grünen wahrgenommen habe – unabhängig davon, wie dieser eigentlich gemeint gewesen sei. "Von einer Schmähung kann nicht ausgegangen werden, wenn die Äußerung in dem Kontext einer Sachauseinandersetzung steht."
Künast warnte bei Lanz davor, dass sich rechtsextreme Hetze in Deutschland digital ähnlich massiv verbreiten könne wie im vom Brexit zerrissenen Großbritannien oder in den USA. Die Grünen-Politikerin sagte: "Das ist mehr als Hass, das ist Zersetzung. Die wollen demokratische Strukturen abschaffen."
Auch für den ZDF-Moderator Lanz war klar: "Wir haben verlernt, vernünftig miteinander zu diskutieren. Es gibt nur noch Ideologie."
(pb/mit dpa)
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Ab jetzt AfD-Osten? So ein Quatsch!
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Anmerkung der Redaktion inklusive Richtigstellung: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir behauptet, der hier formulierte Urteilsspruch würde eine Frau betreffen, die sich gegenüber Medien als Betroffene zum MeToo-Skandal bei der Linken geäußert hatte. Das war inhaltlich falsch. Wir bedauern den Fehler und haben die entsprechenden Passagen korrigiert bzw. entfernt. Richtig ist: Verurteilt wurde eine Frau, die sich als Reaktion auf die damaligen Medienberichte auf Social Media zu dem Fall äußerte.