Ratspräsidentin der EU: Angela Merkel am Mittwoch im Europaparlament.Bild: AA / Dursun Aydemir
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Am Ende wurde Angela Merkel persönlich. Als
Musikliebhaberin, sagte die Kanzlerin am Mittwoch im Europaparlament,
höre sie die 9. Symphonie von Ludwig van Beethoven – die Europahymne – immer wieder neu. So sei es auch mit Europa: "Es lässt sich immer
wieder neu entdecken, und es beeindruckt mich immer noch", sagte
Merkel. "Welche Botschaft könnte passender sein als diese, dass
dieses Europa zu Großem fähig ist, wenn wir einander beistehen und
zusammenhalten."
Europa ist Merkels neues Herzensprojekt
"Leidenschaft", "Vision", "Hoffnung": Für Merkel war es eine
ungewöhnliche Rede, die sie vor den EU-Abgeordneten zu Beginn der
deutschen EU-Ratspräsidentschaft hielt. Sie sprach über das
inzwischen schon mehrfach präsentierte Programm für die nächsten
sechs Monate – den Kampf gegen die dramatischen wirtschaftlichen
Folgen der Pandemie, den Abschluss des Brexits, Klimaschutz,
Digitalisierung. Aber eben bisweilen in ungewohnter Tonart.
Insgesamt wirkt die CDU-Politikerin dieser Tage, als hätte sie
nach fast 15 Jahren Kanzlerschaft nun wirklich Europa als
Herzensangelegenheit entdeckt. "Ich glaube an Europa", rief sie den
Abgeordneten zu. "Ich bin überzeugt von Europa – nicht nur als Erbe
der Vergangenheit, sondern als Hoffnung und Vision für die Zukunft."
Eindringlich pochte sie auf den Erhalt der Grundrechte wie
Redefreiheit, Gleichberechtigung und religiöse Vielfalt in der EU.
"Die Grundrechte, das ist das erste, was mir in der
Ratspräsidentschaft am Herzen liegt", sagte Merkel. Sie seien das
Fundament, auf dem Europa ruhe. Während der Corona-Pandemie seien sie
zum Teil eingeschränkt worden, aber: "Eine Pandemie darf nie Vorwand
sein, um demokratische Prinzipien auszuhebeln."
Seitenhiebe gegen Trump und Orban?
Das ging wohl auch an die Adresse des ungarischen
Ministerpräsidenten Viktor Orban, wie Merkel Mitglied der
Europäischen Volkspartei. Den Namen nannte Merkel hier aber
ebensowenig wie bei der Spitze, die sich mutmaßlich gegen
US-Präsident Donald Trump gerichtet haben dürfte. "Mit Lüge und
Desinformation lässt sich die Pandemie nicht bekämpfen, so wenig wie
mit Hass und Hetze", sagte Merkel. "Dem faktenleugnenden Populismus
werden seine Grenzen aufgezeigt." In einer Demokratie brauche es
Wahrheit und Transparenz.
Ausdrücklich umwarb Merkel die direkt gewählten Abgeordneten als
Vermittler der europäischen Sache – und auch ganz konkret für die
erste und vielleicht schwierigste Aufgabe der deutschen
Präsidentschaft: eine Einigung auf das geplante Konjunktur- und
Investitionsprogramm zur wirtschaftlichen Erholung nach der
Corona-Krise. "Ich bin davon überzeugt, dass jeder in dieser Krise
zur außergewöhnlichen Solidarität bereit ist", sagte Merkel.
"Deutschland ist es."
Werbung für Zuschüsse durch gemeinsame Schulden
Sie hatte zusammen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel
Macron ein Volumen von 500 Milliarden Euro vorgeschlagen, die als
Zuschüsse an die EU-Staaten gehen sollen. EU-Kommissionschefin Ursula
von der Leyen sattelte noch 250 Milliarden Euro als Kredite drauf,
also 750 Milliarden. Alles finanziert über gemeinsame Schulden über
Jahrzehnte. Ende nächster Woche soll ein EU-Gipfel darüber befinden.
"Wir dürfen keine Zeit verlieren, darunter würden nur die
Schwächsten leiden", sagte Merkel. Sie hoffe sehr, dass eine Einigung
noch im Sommer gelinge. "Das wird noch viel Kompromissbereitschaft
von allen Seiten erfordern – auch von Ihnen", sagte Merkel den
Parlamentariern. Denn das Europaparlament muss am Ende zustimmen.
Von der Leyen stützt Merkel – und nimmt Empfänger in die Pflicht
Von der Leyen stieß in ihrer kurzen Rede im Plenum ins gleiche
Horn, aber mit anderen Zwischentönen. Sie betonte auffallend, dass
die Empfänger der Hilfen dafür Bedingungen erfüllen müssten, nämlich
Reformen angehen. "Jeder Mitgliedstaat ohne Ausnahme muss seine
Hausaufgaben machen", sagte von der Leyen.
Der Hinweis sollte offenbar die sogenannten Sparsamen Vier
beruhigen – Österreich, die Niederlande, Schweden und Dänemark -, die
immer noch große Bedenken gegen das Milliardenprogramm haben. Merkel
und von der Leyen spielten mit verteilten Rollen, aber doch in großer
Einigkeit: das deutsche Gespann an der Spitze der EU.
Auf die großen Fraktionen im Europaparlament können sie sich bei
dem Corona-Hilfsprogramm stützen, auch wenn von Liberalen, Grünen und
Linken auch kritische Anmerkungen kamen. Eine volle Breitseite gegen
Merkel feuerte indes AfD-Chef Jörg Meuthen ab. "Ignoranz, Infamie,
Ideologie", warf der Europaabgeordnete der Kanzlerin vor, zählte sie
zu den "Totengräbern" der europäischen Idee, zu den Verfechtern eines
"sozialistisch motivierten Staatspaternalismus".
Spätestens da fand Merkel zu alter Sachlichkeit zurück. Den
"Absolutheitsanspruch bestimmter Meinungen" halte sie für falsch,
konterte sie Meuthen trocken. "Da werden wir zu keinen Lösungen
kommen."
(vdv/dpa)
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