Links- statt Rechtsruck: Die Parlamentswahl in Frankreich brachte unerwartete Ergebnisse. Präsident Emmanuel Macron wollte mit der vorgezogenen Wahl die Machtbasis seines Mitte-Lagers stärken, doch das Kalkül ging nicht auf. Ein massiver Rechtsruck blieb zwar aus. Stattdessen gewann das linke Lager bei der zweiten Wahl überraschend, doch die Rechtsnationalen erzielten ebenfalls deutliche Zugewinne.
Der Präsident steht nun geschwächt vor einem politisch gelähmten Frankreich. Die Ernennung eines neuen Premiers könnte sich bis nach der Sommerpause hinziehen, doch am 18. Juli tritt das neu gewählte Parlament zur ersten Sitzung zusammen.
Macron hält Premierminister Gabriel Attal samt der bisherigen Regierung vorläufig im Amt. Doch wie geht es nun weiter? Und was bedeutet das Wahlergebnis für den eigentlich erwarteten Rechtsruck? Jacob Ross, Frankreich-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), gibt bei watson einen Einblick.
Dieses Wahlergebnis in Frankreich hatten selbst Expert:innen nicht erwartet, wie Ross hervorhebt: "Das Ergebnis kam sehr überraschend. Die Höhe des Wahlsiegs der NFP, aber auch, dass Macrons Partei und ihre Verbündeten den zweiten Platz erringen konnten, hatte so niemand auf dem Zettel."
Nach der Wahl erklangen Freudenschreie, als die ersten Prognosen veröffentlicht wurden. Tausende Menschen haben in Paris den Erfolg des linken Wahlbündnisses Neue Volksfront (Nouveau Front Populaire, NFP) gegen die Rechtspopulisten von Marine Le Pen bei der Parlamentswahl in Frankreich gefeiert. Denn Umfragen hatten den Sieg der rechtspopulistischen RN von Le Pen vorhergesagt.
Trotz geringerer Ergebnisse hat eine Rekordzahl von Französ:innen für die Partei gestimmt. Ross betont, dass langfristig der Erfolg für rechtspopulistische wie europaskeptische Partei weitergehen werde. "Langfristig setzt sich der positive Trend für das RN fort", resümiert der Experte.
Denn auch wenn das RN nicht stärkste Kraft wurde, ist die Partei von Marine Le Pen stärker als je zuvor in der Nationalversammlung vertreten. Dies könnte langfristig zu einer größeren politischen Rolle führen, besonders im Hinblick auf die Präsidentschaftswahl 2027.
Zunächst einmal ist das Bündnis NFP die stärkste Kraft in der Nationalversammlung. Es fordert nun die Ernennung eines Premierministers aus ihren Reihen. Es obliegt dem Präsidenten Macron, den Premierminister zu bestimmen. Noch ist allerdings unklar, ob er dem Vorschlag folgen wird. Trotz des Wahlerfolgs fehlen den Linken zur absoluten Mehrheit viele Sitze, was die Regierungsbildung erschwert. Eine Koalition mit den Mitte-Kräften scheint ebenfalls unwahrscheinlich.
Ross beschreibt die derzeitige Situation als äußerst unsicher: Macrons Premier Attal "hat unmittelbar seinen Rücktritt angeboten, den Macron für den Moment abgelehnt hat. Da noch völlig unklar ist, wer ihm folgt, werden Attal und seine Minister die Regierungsgeschäfte wohl noch einige Tage oder Wochen kommissarisch führen." Eine Koalition zwischen Macrons Partei und den Parteien des NFP scheint für den Experten am wahrscheinlichsten. Eine Zusammenarbeit mit den gemäßigten Linksparteien wird als unwahrscheinlich eingeschätzt.
Im Linksbündnis haben sich Grüne, Sozialisten, Kommunisten und die Linkspartei zusammengeschlossen. Doch nach der Wahl vor zwei Jahren kam es zu heftigen Streitigkeiten, besonders aufgrund des propalästinensischen Kurses der Linkspartei und des Auftretens von Jean-Luc Mélenchon. Wesentlich ausgeglichenere Führungspersonen wie Raphaël Glucksmann und Marine Tondelier könnten künftig eine wichtige Rolle spielen.
Das Linksbündnis hat bisher weder eine Führungsfrage geklärt noch ein gemeinsames Programm vorgelegt. Dennoch steht fest, dass das Bündnis proeuropäisch eingestellt ist und die Ukraine im Kampf gegen den russischen Angriffskrieg unterstützt.
Ein politischer Stillstand in Frankreich könnte jedoch die Zusammenarbeit mit Deutschland und der EU erschweren.
"Gelingt es keinem Parteienbündnis, eine Mehrheit zu organisieren, könnte eine technokratische Übergangsregierung übernehmen", sagt Ross. Diese agiere dann vermutlich bis zur nächsten Auflösung der Nationalversammlung, beziehungsweise der Präsidentschaftswahl.
(Mit Material der dpa)