Dritter Versuch, dritte Ablehnung: Nach dem jüngsten Nein im britischen Parlament zum Brexit-Vertrag von Premierministerin Theresa May wächst die Sorge vor einem ungeordneten EU-Austritt des Landes.
"Uns läuft die Zeit davon, um einen ungeordneten Brexit zu verhindern", warnte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) am Freitag. Eine Sprecherin der EU-Kommission sagte in Brüssel, ein chaotischer Austritt Großbritanniens am 12. April sei "jetzt ein wahrscheinliches Szenario". Wirtschaftsvertreter klagten über anhaltende Unsicherheit.
Ausgerechnet am Tag des ursprünglich geplanten EU-Austritts Großbritanniens stimmten 344 Abgeordnete gegen den von May ausgehandelten Brexit-Vertrag, 286 dafür. Die Ablehnung werde "schwere" Folgen haben, sagte May anschließend und warnte vor einem harten Brexit am 12. April. "Diese Regierung wird weiter einen geordneten Brexit vorantreiben, den das Ergebnis des Referendums fordert."
Ein britischer Antrag auf einen längeren Verbleib in der EU wäre mit einer Teilnahme an den Europawahlen Ende Mai verbunden. Dies hat May bislang abgelehnt. EU-Ratspräsident Tusk kündigte einen Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs am 10. April an.
Eine Sprecherin der EU-Kommission sagte in Brüssel, die EU sei im Fall eines harten Brexits "unter keinen Umständen" bereit, Großbritannien ähnliche Vorteile wie im Austrittsabkommen zu bieten oder "Mini-Deals" in bestimmten Bereichen. Die EU sei "vollständig vorbereitet" auf einen ungeordneten Austritt am 12. April um Mitternacht.
Die Briten müssten vor diesem Termin "eine Entscheidung treffen, wie es weitergehen soll", mahnte Bundesaußenminister Maas. "Ansonsten ist es der No-Deal-Brexit, so hart das auch wäre."
Auch das französische Präsidialamt erklärte, die britische Regierung müsse "in den kommenden Tagen dringend einen Alternativplan vorlegen". "Sollte dies nicht passieren, dann ist das wahrscheinlichste Ergebnis, dass Großbritannien die EU ohne Vertrag verlässt."
Der Präsident des deutschen Industrieverbandes BDI drängte die britische Politik "schnellstmöglich" den Brexit Prozess abzuschließen. "Diese unklare Lage trübt die Stimmung ein, vergrault Investoren, kostet Wachstum und Arbeitsplätze", sagte BDI-Chef Dieter Kempf den Zeitungen der Funke Mediengruppe und warnte vor den Folgen für deutsche Unternehmen.
Auf britischer Seite machte der Chef des Unternehmerverbands Institute of Directors seinem Ärger Luft: "Wir haben bald keine Worte mehr dafür, wie sehr die Geschäftsleute es satt haben, in diesem energiezehrenden Schwebezustand gefangen zu sein", sagte Edwin Morgan.
Vor dem Parlament in London machten tausende Brexit-Anhänger ihrem Ärger über den noch nicht vollzogenen EU-Austritt Luft. "Stoppt den Brexit-Betrug", "Gebt uns unser Königreich zurück" und "Befreit Großbritannien jetzt", stand auf Plakaten.
Nach monatelangem Chaos um den Brexit ist die Autorität von Premierministerin May schwer beschädigt. Ihre Tage als Regierungschefin scheinen gezählt. Mit ihrem Rücktrittsangebot im Gegenzug für eine Zustimmung des Parlaments gab sie inoffiziell den Startschuss für das Rennen um ihre Nachfolge an der Spitze ihrer konservativen Tory-Partei. Schon länger gibt es Forderungen nach vorgezogenen Neuwahlen.
Ein Sprecher der Premierministerin befeuerte Spekulationen, die Regierung könnte den Austrittsvertrag ein viertes Mal dem Parlament vorlegen: Er verwies darauf, dass die Differenz zwischen Ja- und Nein-Stimmen zum Brexit-Vertrag im Januar noch bei 230, Anfang des Monats bei 149 und nun bei 58 Stimmen gelegen habe.
Unter den jüngsten Befürwortern des Vorschlags war auch der ehemalige Außenminister Boris Johnson – einer von Mays schärfsten Kritikern und möglicher Nachfolger.
Das britische Unterhaus hatte bereits im Januar und am 12. März den Austrittsvertrag abgelehnt. Die Abgeordneten stimmten zwar bereits mehrfach gegen einen harten Brexit, konnten sich aber bisher nicht auf Alternativen zu Mays Austrittsvertrag einigen. Am Montag und am Mittwoch sind nun weitere Abstimmungen geplant.
(as/afp)