Historisches Ereignis: Der Union-Jack vor dem EU-Parlament in Brüssel wird eingeholt.Bild: XinHua
EU
Am Brexit-Tag herrscht viel Wehmut und wenig Feierlaune. Doch beide Seiten wollen auch nach vorne schauen und präsentieren sich optimistisch. Wird das was mit der britisch-kontinentaleuropäischen Freundschaft?
31.01.2020, 23:3901.02.2020, 09:48
Trauer, Wut und auch Häme. Der letzte Tag der
britischen EU-Mitgliedschaft nach fast 50 Jahren war am Freitag von
starken Emotionen begleitet. Mehr als dreieinhalb Jahre nach dem
Brexit-Referendum ist Großbritannien ab Samstag kein Mitglied der
Europäischen Union mehr.
In Brüssel und auch in Berlin schwang zum Abschied viel Wehmut mit,
doch auch in London herrschte kaum Feierlaune. Politiker auf beiden
Seiten des Ärmelkanals betonten aber auch Zukunftschancen und die
eigene Stärke.
Im Regierungsviertel in London standen sich Demonstranten beider
Seiten des Brexit-Streits unversöhnlich gegenüber. Gegner des
EU-Austritts, die in einem weitgehend stummen Protestzug vom
Regierungssitz Downing Street in Richtung Parlament zogen, wurden von
Brexit-Befürwortern teils mit wüsten Beschimpfungen und Sprechchören
empfangen. "Verräter" und "Verlierer" gehörten zu den harmloseren
Rufen.
Trauer in Deutschland und Frankreich
Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron nannte den EU-Austritt ein
"historisches Alarmzeichen". "Das ist ein trauriger Tag", sagte
Macron am Freitagabend in einer kurzfristig angesetzten Ansprache an
seine Mitbürger. Er forderte weitere Reformen für die EU – es sei
bisher nicht gelungen, Europa ausreichend zu ändern.
Bundeskanzlerin
Angela Merkel betonte zum Austritt Großbritanniens den Wunsch nach
einer engen Beziehung zu den Briten. "Das ist ein tiefer Einschnitt
für uns alle", sagte sie in ihrem Podcast am Freitag.
"Wir gehen in diese Verhandlungen in dem Geist, dass alte Freunde
einen neuen Anfang suchen", sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula
von der Leyen bei einem gemeinsamen Auftritt mit EU-Ratschef Charles
Michel und Parlamentspräsident David Sassoli.
Bild: picture alliance/Justin Griffiths-Williams/Sputnik/dpa
Mit gutem Willen werde man eine "dauerhafte, positive und sinnvolle
Partnerschaft" aufbauen können, schrieben die drei Präsidenten n
einem Gastbeitrag, der in vielen europäischen Zeitungen erschien.
Aber: "Ohne gleiche Wettbewerbsbedingungen bei Umwelt, Arbeit,
Steuern und staatlichen Beihilfen kann es keinen qualitativ
uneingeschränkten Zugang zum Binnenmarkt geben."
Ein hartes Ringen ist absehbar. Wie der britische Premier Boris
Johnson durchsickern ließ, will er sein Land von der Anbindung an
EU-Regeln möglichst frei machen, selbst wenn dies Handelsschranken
wie Zölle bedeuten könnte. Souveränität sei wichtiger als
reibungsloser Handel, will er nach einem Bericht des "Telegraph"
nächste Woche als Ziel ausgeben. Ein Regierungssprecher bestätigte
auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur, dass Johnson seine
Verhandlungsziele bereits am Montag in einer Rede darlegen will.
Johnson: "Moment der nationalen Erneuerung"
Die drei EU-Präsidenten zeigten sich bei ihrem gemeinsamen Auftritt
auch selbstkritisch – immerhin ist Großbritannien der erste EU-Staat
der Geschichte, der die Staatengemeinschaft verlässt. Als Lehre aus
dem Brexit werde sich die EU mehr um die Unterstützung durch ihre
Bürger bemühen und den Wert des Projekts im Alltag sichtbarer machen,
sagte Michel.
Johnson betonte seinerseits die Chancen des Neuanfangs für sein Land.
"Es ist ein Moment der echten nationalen Erneuerung und des Wandels",
erklärte der Premier vorab aus einer Videobotschaft, die für den
Abend (23 Uhr MEZ) vorgesehen war. Seine Aufgabe sei es nun, das Land
zu einen und voranzubringen.
Die britische Regierung hatte nur Feiern ohne viel Pomp zum Zeitpunkt
der historischen Zäsur um 23 Uhr Ortszeit angesetzt – ohne Geläut von
Big Ben, nur mit britischen Flaggen am Parliament Square und einem
projizierten Countdown am Regierungssitz. Bei einem Empfang in der
Downing Street sollten englischer Schaumwein und britische
Spezialitäten gereicht werden.
Brexitparty ohne Feuerwerk – und ohne Alkohol
Ausgelassener feiern wollte dagegen der Chef der Brexit-Partei, Nigel
Farage. Die Initiative "Leave means Leave" organisierte ein Fest vor
dem Parlament, bei dem Union-Jack-Fahnen geschwenkt und die
Nationalhymne "God save the Queen" abgespielt werden sollte.
Ein
Feuerwerk wurde Farage allerdings untersagt. Alkoholkonsum ist auf
dem Platz grundsätzlich nicht erlaubt. Die EU-Abgeordneten der
Brexit-Partei feierten schon am Morgen ihren "Brexodus" aus Brüssel.
"Heute ist der Tag, an dem Großbritannien nach mehr als 40 Jahren
wieder frei wird", sagte die Abgeordnete Ann Widdecombe.
Brexit-Gegner in Dover hielten dagegen. "We still love EU" ("Wir
lieben die EU noch immer"), schrieben sie auf einem riesigen Banner
in der britischen Hafenstadt. Irlands Premierminister Leo Varadkar
betonte in der "Welt" (Freitag): "Was auch immer geschieht, ich
hoffe, dass die Tür immer offen steht, sollte das Vereinigte
Königreich jemals entscheiden, zurückkehren zu wollen."
Bild: picture alliance / empics
Auch in Nordirland demonstrierten an mehreren Orten Brexit-Gegner. So
forderten vor dem Sitz des nordirischen Regionalparlaments in Belfast
Anhänger der Partei Sinn Fein ein Referendum zur irischen
Wiedervereinigung. Am Abend wollten hingegen Brexit-Befürworter vor
dem Regionalparlament demonstrieren.
Der britische Landesteil grenzt
an den EU-Staat Irland und ist besonders vom EU-Austritt betroffen.
Die Nordiren hatten mehrheitlich gegen den EU-Austritt gestimmt.
(pcl/dpa)
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