Knapp drei Monate vor der Europawahl prescht Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nach vorn und fordert tiefgreifende Reformen für die Europäische Union.
Deshalb sei es jetzt an der Zeit, zu handeln – denn die Europawahl werde "über die Zukunft unseres Kontinentes entscheiden".
Der französische Präsident macht sich in seinem Gastbeitrag für einen strengeren Schutz der Grenzen stark. Er fordert, den Schengen-Raum neu zu überdenken: "Alle, die ihm angehören wollen, müssen Bedingungen für Verantwortung (strenge Grenzkontrollen) und Solidarität (gemeinsame Asylpolitik mit einheitlichen Regeln für Anerkennung und Ablehnung) erfüllen", schreibt er. Eine Grenze bedeute "Freiheit in Sicherheit". Macron schlägt eine gemeinsame Grenzpolizei und eine europäische Asylbehörde vor: "Ich glaube angesichts der Migration an ein Europa, das sowohl seine Werte als auch seine Grenzen beschützt."
Macron fordert eine Verteidigungspolitik im Einklang mit der Nato und den europäischen Verbündeten eine Erhöhung der Militärausgaben und einen Europäischen Sicherheitsrat unter Einbeziehung Großbritanniens. Überhaupt reicht Macron rund drei Wochen vor einem möglichen Austritt der Briten aus der EU die Hand. Der Brexit sei zwar eine "Sackgasse" und ein Symbol für "die Krise in Europa". Allerdings spricht sich Macron für ein Europa aus, in dem Großbritannien "einen vollwertigen Platz finden wird". In der Vergangenheit hatte sich Macron bei den Austrittsverhandlungen immer hart gegenüber den Briten gezeigt.
Zur Verteidigung der Freiheit in Europa bringt Macron eine europäische Agentur für den Schutz der Demokratie ins Spiel. Mit ihrer Hilfe sollen Wahlen vor Hackerangriffen und Manipulationen geschützt werden. Frankreich selbst hat im vergangenen Jahr ein Gesetzespaket gegen gezielt gestreute Falschinformationen in Wahlkampfzeiten beschlossen, das von der Opposition heftig kritisiert wurde. Außerdem schrieb der 41-jährige Politiker: "Im Sinne dieser Unabhängigkeit sollten wir auch die Finanzierung europäischer politischer Parteien durch fremde Mächte verbieten."
Der ehemalige Investmentbanker spricht sich außerdem für eine Reform der Wettbewerbspolitik in Europa und eine Neuausrichtung der Handelspolitik aus. "Europa ist keine Macht zweiten Ranges", schreibt er und will Unternehmen, die Werte und Interessen wie Umweltstandards, Datenschutz oder das Zahlen von Steuern untergraben, bestrafen oder verbieten. Bei öffentlichen Aufträgen gelte es nach chinesischem oder US-amerikanischen Vorbild europäische Unternehmen zu bevorzugen.
Auch sozialpolitisch macht der einstige Senkrechtstarter Vorschläge: "In Europa, wo die Sozialversicherung erfunden wurde, muss für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (...) eine soziale Grundsicherung eingeführt werden, die ihnen gleiche Bezahlung am gleichen Arbeitsplatz und einen an jedes Land angepassten und jedes Jahr gemeinsam neu verhandelten europaweiten Mindestlohn gewährleistet", schreibt er.
Gleichzeitig müsse die EU sich der Klimakrise stellen. "Werden wir unseren Kindern in die Augen blicken können, wenn wir nicht auch unsere Klimaschuld begleichen?", fragt er. Macron schlägt eine europäische Klimabank vor, die den ökologischen Wandel finanziert. "Alle unsere Institutionen müssen den Schutz des Klimas zum Ziel haben", so der französische Präsident.
All diese Forderungen könnten einen "Neubeginn für Europa" bedeuten, der auf den Säulen von "Freiheit, Schutz, Fortschritt" basiert. "Deshalb sollten wir noch vor Ende dieses Jahres mit den Vertretern der EU-Institutionen und der Staaten eine Europakonferenz ins Leben rufen, um alle für unser politisches Projekt erforderlichen Änderungen vorzuschlagen, ohne Tabus, einschließlich einer Überarbeitung der Verträge", so Macron.
Der Herr des Élyséepalasts kämpft in Frankreich seit Monaten gegen schlechte Umfragewerte. Seit Mitte November haben ihn die Demonstrationen der "Gelbwesten" im Griff, die sich gegen seine Reformpolitik stemmen. Während Macron normalerweise außenpolitisch immer die große internationale Bühne suchte, hielt er sich in den vergangenen Wochen auffallend zurück. Auf seine Teilnahme bei der Münchner Sicherheitskonferenz verzichtete er zugunsten seiner Bürgerdebatte, mit der er die "Gelbwesten"-Krise in den Griff bekommen will.
Auch aus Europa gab es zuletzt immer wieder Gegenwind für den Reformer, der bereits 2017 in seiner Sorbonne-Rede ehrgeizige Pläne für die EU vorgestellt hatte. Mit der populistischen Regierung in Italien lag Macron jüngst im Dauer-Clinch – zeitweise wurde sogar der Botschafter aus Rom abberufen. Und auch mit Deutschland lief es in letzter Zeit nicht immer reibungslos – beim Thema Rüstungsexporte oder der der russisch-deutschen Erdgaspipeline Nord Stream 2 wurden die Differenzen besonders deutlich.
Macron, dessen Partei La République en Marche Umfragen zufolge bei den Europawahlen in Frankreich führt, muss sich nun gegen die populistischen und nationalistischen Kräfte innerhalb der EU stemmen - sein größter Gegenspieler könnte dabei der rechts-nationale ungarische Regierungschef Viktor Orban sein. "Eine nationalistische Abschottung hat nichts anzubieten, sie bedeutet Ablehnung ohne jegliche Perspektive", schreibt Macron in seinem Beitrag. "Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg war Europa so wichtig. Und doch war Europa noch nie in so großer Gefahr."
(pb/dpa)