"Die politische Kultur ändert sich", sagt Anna Peters. Sie hat also Hoffnung. Die Bundessprecherin der Nachwuchsorganisation der Grünen (Grüne Jugend) kennt sexistische Äußerungen aus ihrem Wahlkampf und aus ihrer gesamten politischen Laufbahn nur zu gut. Doch sie sagt auch: Weil Frauen nun häufiger über Sexismus sprächen und solche Äußerungen oder auch Handlungen nicht einfach mehr hinnähmen, werde sich dieses Problem irgendwann lösen lassen. Dass darüber gesprochen wird, "zeigt die Missstände an und ist der erste Schritt", sagt sie.
Kürzlich wurde Peters in dem Hochschulmagazin der "Zeit", "Zeit Campus", zu diesem Thema zitiert. Dort spricht sie von Vergewaltigungsfantasien, die ihr zugeschickt werden. Sie habe sich, bevor sie ein Amt bei der Grünen Jugend aufgenommen hat, viele Gedanken darüber gemacht, ob sie wirklich als Frau in der Öffentlichkeit stehen wolle. "Will ich mich diesem Hass wirklich aussetzen? Das war die größte Frage für mich", heißt es in dem Medium. Sie habe das Gefühl, dass der Sexismus seitdem noch zugenommen habe, vor allem im Netz.
Gegenüber watson hatte sie solche Nachrichten in einem Interview auch schon konkretisiert: "Ich weiß nicht, wie viele Nachrichten ich schon bekommen habe, in denen stand: 'Lass mal ficken.'" Sie sei nicht dafür da, Vergewaltigungsfantasien zu bedienen, hatte sie gesagt. "Und ich bin auch nicht hier als Lustobjekt. Ich bin hier, um Politik zu machen."
Peters ist 25 Jahre alt. Auf ihrem Twitter-Account beschreibt sie sich so: "Bundessprecherin der @gruene_jugend. Kämpft dort gegen Patriarchat, Faschismus und die Klimakrise." Seit 2012 ist sie Mitglied der Grünen Jugend, seit 2015 auch bei den Grünen. Sie sitzt im Bundesvorstand der Grünen-Nachwuchsorganisation, ist Bundessprecherin.
Junge Frauen, schreibt sie auf watson-Anfrage, würden in der Politik einfach anders behandelt. "Sei es auf Podien oder in Interviews, wo mit jungen Frauen anders umgegangen wird – beispielsweise von der politischen Gegenseite."
Die Politik müsse Antworten finden. "Was sich politisch ändern muss: Wir brauchen Gesetze, die es nicht mehr Plattformen wie Twitter und Co. selbst überlassen, wann oder warum ein Kommentar gelöscht wird, sondern die Politik muss strengere Regeln beschließen, die das besser einordnen." Es dürfe niemals privaten Plattformen überlassen werden, wie mit dem politischen Diskurs umgegangen werde.
Antworten, wenn auch kleinteilige, würden die Grünen und die Grüne Jugend liefern. Sie schreibt:
All diese Maßnahmen seien einzelne Instrumente. Erst in der Summe könnten sie es auf verschiedene Art und Weise schaffen, (jungen) Frauen, dabei zu helfen, mit all dem erlebten Sexismus und der Geschlechterungerechtigkeit umzugehen und diesen den Kampf anzusagen.
Emilia Fester steigt gleich ein in das Gespräch. Es braucht keine Frage. "Milla", wie sich nennt, hört das Thema "Sexismus in der Politik" und spricht am Telefon sofort über die Grünen-Chefin Annalena Baerbock.
Fester ist 23 Jahre alt. Sie kandidiert in Hamburg für die Grünen, will in den Bundestag einziehen. Ihre Bewerbung um Platz 3 der Landesliste überschrieb sie mit "Jung. Grün. Feministisch. Klimagerecht. Milla." Sie steht auf Platz 3. Ihre Chance auf einen Sitz in Berlin ist groß. Momentan sitzen für Hamburg zwei Grüne im Bundestag. Bei der Bundestagswahl 2017 hatte die Partei dort 13,9 Prozent der Stimmen geholt. Laut einer Umfrage von Trend Research liegt sie in der Hansestadt momentan bei 18 Prozent.
"Frauen werden in der Politik komplett anders behandelt als Männer", sagt sie. Das habe man bei Baerbock sehr gut sehen können. Fester sagt, die aus ihrer Sicht angeblichen Defizite Baerbocks seien mit den Fehlern männlicher Politiker gleichgesetzt worden, die in milliardenschwere Skandale verwickelt seien – sie meint vor allem den Steuerbetrugsskandal Cum-Ex, in dem SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz vorgeworfen wird, unterschlagenes Steuergeld anfangs von einer Bank nicht zurückgefordert zu haben.
Mit angeblichen Defiziten meint Fester die Fehler, die Annalena Baerbock während ihres Wahlkampfes gemacht hat. Da gab es Probleme mit einem aufgehübschten Lebenslauf, da gab es vergessene Steuerzahlungen und Meldungen über Nebeneinkünfte. Ihr Buch "Jetzt. Wie wir unser Land erneuern" wurde von einem sogenannten Plagiatsjäger förmlich zerpflückt.
Aber nun zu Fester selbst. Hat sie Sexismus in ihrer politischen Laufbahn erlebt? "Ja, durchaus", sagt sie. Darüber muss sie gar nicht nachdenken. "Als junge Frau wird dir ständig an den Kopf geworfen, dass du angeblich nicht geeignet bist für den Job."
Sexismus sei, sagt Fester, zudem auch intersektional. Es gehe um Hautfarbe, um Religion, um das Geschlecht und das Alter. Bei Frauen werde auf solche Dinge sehr viel mehr geachtet als bei Männern.
Männer würden kaum bis gar nicht mit etwaigen Äußerungen konfrontiert. Ein Beispiel: Unter einen Artikel im "Hamburger Abendblatt" habe ein Mann geschrieben: "Wenigstens sieht sie gut aus." Andere Qualifikationen brauche man nicht. "Das ist diffamierend", sagt Fester. Und: "Ich glaube nicht, dass Philipp Amthor von der CDU auch solche Kommentare bekommt wie wir junge Frauen – und er ist nur ein paar Jahre älter als ich."
Dass prominente Frauen in der Politik nicht häufiger über dieses Thema sprechen, macht Fester stutzig. watson hatte bei der Recherche zu diesem Thema sehr viele Absagen von hochrangigen Politikerinnen bekommen. Mal aus Zeitgründen, aber oft auch mit der Begründung, man wolle nicht ständig mit diesem Thema in Verbindung gebracht werden.
Doch auch, wenn es Fester stutzig macht – sie kann es irgendwie verstehen. "Man möchte vielleicht nicht ständig in dieser Opferrolle sein. Als Opfer fühlt man sich meist hilflos." Dennoch wirbt sie dafür, den Mund aufzumachen. "Redet darüber! Werdet feministisch! Kämpft für eure Rechte! Für eine weiblichere Politik!"