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Luisa Neubauer: "Merkel heute noch Klimakanzlerin zu nennen, fände ich zynisch"

BERLIN, GERMANY - MARCH 29: Swedish teenage climate activist Greta Thunberg speaks with German climate activist Luisa Neubauer (L) as they participate in a Fridays for Future march on March 29, 2019 i ...
Luisa Neubauer mit der schwedischen Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg bei einer Fridays-for-Future-Großdemonstration im März 2019. Bild: Getty Images Europe / Carsten Koall
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Luisa Neubauer über die unterschätzte Klimakrise, ihre Macht als Aktivistin und Angela Merkel: "Sie heute noch als Klimakanzlerin zu bezeichnen, fände ich zynisch"

Die Klimaschutzaktivistin spricht im watson-Interview über den neuen CDU-Chef Armin Laschet, den Konflikt zwischen Fridays for Future und den Grünen – und darüber, wie mächtig sie sich nach zwei Jahren Klimademos fühlt.
29.01.2021, 14:05
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Seit ziemlich genau zwei Jahren gehen bei den Demos von Fridays for Future hunderttausende junge Menschen auf die Straße, für strengeren Klimaschutz, gegen die Ausbeutung fossiler Brennstoffe. Der Kampf gegen die Klimakrise ist seither in vielen Ländern der Welt zu einem der wichtigsten politischen Themen geworden: Die EU, China und unter dem neuen Präsidenten Joe Biden auch die USA haben sich der Klimaneutralität verschrieben.

Luisa Neubauer ist das bekannteste Gesicht von Fridays for Future in Deutschland. Die 24-jährige gebürtige Hamburgerin tritt seit 2019 in Talkshows und auf den Bühnen von Großdemonstrationen auf. Bei einer Großdemo Ende September in Berlin gab sie ein Ziel aus: Jede demokratische Partei soll sich vor der Bundestagswahl 2021darauf verpflichten, das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten: maximal 1,5 Grad Erderwärmung, wie es im Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 festgelegt ist.

Watson hat mit Luisa Neubauer gesprochen: darüber, wie sie auf das gerade begonnene Jahr blickt, über den neuen CDU-Chef Armin Laschet und das politische Erbe von Angela Merkel. Wir haben Sie zum Konflikt von Fridays for Future mit den Grünen befragt, zum Klimaplan des neuen US-Präsidenten Joe Biden – und zum gerade veröffentlichten Klima-Risiko-Index der NGO Germanwatch, laut dem Deutschland viel stärker vom Klimawandel betroffen ist als andere reiche Länder.

watson: Luisa, laut dem neuen Klima-Risiko-Index von Germanwatch gehört Deutschland weiter zu den 20 Ländern der Welt, die der Klimawandel am stärksten betrifft. Hat dich das schockiert?

Luisa Neubauer: Wir wissen, dass die Klimakrise die Menschen im globalen Süden viel härter trifft. Das hat dieser Bericht wieder einmal eindeutig gezeigt. Aber die Daten zu Deutschland bieten eine wichtige Perspektive. Man glaubt ja hier oft, dass man sich freimachen kann von den Folgen des Klimawandels. Wie oft habe ich in den letzten zwei Jahren gehört: 'Wir fangen an zu handeln, wenn die Klimakrise da ist.' Bad news, Leute: Die Klimakrise ist da. Und die Frage ist, ob man hinguckt, ob man das anerkennt und handelt.

"Wie viel Klimakrise kann man den Menschen zumuten? 10.000 Tote, das ist nicht zumutbar, das ist politisch nicht zu rechtfertigen."

Aber schockiert dich so ein Report dann überhaupt noch persönlich?

Es ist immer wieder krass, wenn man vor Augen geführt bekommt, welche menschlichen Kosten das alles hat. Dieser Report zeigt: In Deutschland tötet die Klimakrise, das wollen viele immer noch nicht wahrhaben.

Genauer gesagt sind es 10.700 Menschen, die laut dem Klima-Risiko-Index zwischen 2000 und 2019 durch Wetterextreme in Deutschland gestorben sind – das ist immerhin ein Fünftel der Covid-19-Toten hierzulande seit Beginn der Pandemie. Was wäre für dich jetzt die dringendste Lektion, die man daraus ziehen müsste?

Der Klimadiskurs dreht sich nach wie vor ausschließlich um die Frage: Wie viel Klimaschutz können wir den Menschen und der Wirtschaft zumuten? Die große Frage ist aber eigentlich: Wie viel Klimakrise kann man den Menschen zumuten? Und 10.000 Tote, das ist nicht zumutbar, das ist politisch nicht zu rechtfertigen. Wir brauchen da einen drastischen Wandel. Im Idealfall entwickeln wir ein Moralverständnis für Menschen auf der ganzen Welt, die von unserem Handeln beeinflusst werden. Das fällt aber vielen schwer. Insofern wäre es schon mal gut, sich bewusst zu machen, was hier vor Ort passiert.

Die Initiatorin der Berliner Demonstration Luisa Neubauer waehrend der Fridays for Future Demonstration am 15.03.2019 in Berlin, Deutschland. Auf der ganzen Welt demonstrieren heute Sch??ler mit einem ...
Luisa Neubauer auf einer Fridays-for-Future-Demonstration im März 2019. Bild: www.imago-images.de / ['Markus Heine', 'via www.imago-images.de']

Seit Anfang 2019, seit Fridays for Future auf der Straße ist, ist der Klimaschutz zu einem bestimmenden Thema in der internationalen Politik geworden, um das kaum jemand mehr herumkommt. Wie mächtig fühlst du dich?

Naja, Macht ist eher nicht die Kategorie, in der ich denke.

Aber Macht ist die Voraussetzung dafür, etwas zu ändern.

Sagen wir es so: Wir merken, wie mächtig soziale Bewegungen werden können. Damit sich Machtverhältnisse verschieben, weg von den Industrien, die fossile Energien vertreiben, sind diese Bewegungen unverzichtbar. Das sollte Menschen auf der Welt ermutigen, weiterzumachen und nicht klein beizugeben.

Zufrieden bist du aber offensichtlich nicht.

Nein. Wir erleben, dass sich der Diskurs verschiebt. Aber wir sind angetreten, um politischen Wandel zu erwirken. Es mangelt nicht an schönen Worten, aber an Taten. Und zwar drastisch.

Gibt es etwas, auf das du nach diesen zwei Jahren besonders stolz bist?

Auch Stolz ist keine besonders gute Kategorie, finde ich.

Dann anders gefragt: Womit bist du besonders zufrieden?

Dass Menschen aus allen Bereichen der Gesellschaft, aus allen Regionen, aus den unwahrscheinlichsten Ecken der Republik anfragen, sich einzumischen und einzusetzen. Dass sie bestimmte Dinge nicht mehr hinnehmen, Widerstand leisten, sich einbringen.

"Verzweiflung ist nicht so mein Modus. Aber ich habe Momente von großer Trauer und Sorge."
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Abriss des Dorfes Lützerath bei Erkelenz in Nordrhein-Westfalen durch den Energiekonzern RWE. Der Ort soll dem Braunkohle-Tagebau Garzweiler II weichen.Bild: www.imago-images.de / Jochen Tack

Und was macht dir am meisten zu schaffen?

Wir sind nicht schnell genug. Die ökologische Zerstörung wird weiter vorangetrieben. Wir sind überhaupt nicht auf dem Weg, damit aufzuhören. Der Wille der Politik dazu fehlt nach wie vor. Man wird zwar immer besser darin, Klimaschutzversprechen zu machen. Aber auch darin, kleine Schlupflöcher zu finden.

Verzweifelst du daran manchmal?

Verzweiflung ist nicht so mein Modus. Aber ich habe Momente von großer Trauer und Sorge.

Wann zum Beispiel?

Wenn ich mir überlege, dass viele der Tier- und Pflanzenarten, die noch existieren, während wir beide miteinander sprechen, schon nicht mehr leben werden, wenn andere Menschen dieses Interview lesen. Wir machen gerade einen ökologischen Schatz kaputt, den wir eigentlich zum Überleben brauchen. Dann ist da die Vehemenz, mit der ökologische Zerstörung gerechtfertigt wird. Die Arroganz, mit der man meint, sich über Ökosysteme erheben und Lebensgrundlagen zerstören zu können. Da sind die Dörfer, die in Deutschland immer noch für den Braunkohleabbau abgebaggert werden. Das ist schon richtig, richtig traurig.

2021 hat für den Klimaschutz mit einer ziemlich guten Nachricht begonnen: Die USA sind an Tag eins der Präsidentschaft Joe Bidens dem Pariser Klimaschutzabkommen wieder beigetreten – und haben die Keystone-Erdölpipeline gestoppt. Wie sehr hat dich das gefreut?

Das macht mich schon auf eine gewisse Art zuversichtlich. Aber machen wir uns nichts vor: Die großen Veränderungen, die Biden nicht per Verfügung anstoßen kann, die stehen noch an.

Zu diesen großen Veränderungen gehört Bidens Klimaschutzplan. Den sehen sogar Aktivisten wie die vom Sunrise Movement positiv. Siehst du Bidens Präsidentschaft auch so optimistisch?

Biden weiß, dass er in der Pflicht steht bei denen, die so massiv für seine Wahl geworben haben. Das Sunrise Movement ist keine Wischiwaschi-Veranstaltung, die geben nicht so schnell nach und lassen sich nicht kaufen. Biden steht also unter ziemlichem Druck, den Klimaschutzaktivisten gerecht zu werden.

Das Pariser Klimaschutzabkommen
Das Pariser Klimaabkommen ist das bisher wichtigste globale Abkommen zum Klimaschutz. Alle Staaten der Welt haben es Ende 2015 auf der Klimakonferenz in Paris beschlossen, seit Ende 2016 ist es in Kraft. Die Staaten, die das Abkommen im eigenen Land ratifiziert haben, verpflichten sich dazu, die Weltwirtschaft so umzubauen, dass die globale menschengemachte Klimaerwärmung gestoppt wird.
Das wichtigste Ziel des Abkommens: Die Erderwärmung soll im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter möglichst niedrig gehalten werden – mindestens unter zwei Grad Celsius, am besten unter 1,5 Grad Celsius. Damit das gelingt, sollen in den nächsten Jahrzehnten drastisch weniger Kohlendioxid (abgekürzt CO2) und andere klimaschädliche Gase in die Atmosphäre gelangen.
(se)
"Angela Merkel heute noch als Klimakanzlerin zu bezeichnen, fände ich zynisch."

Angela Merkel galt ja auch als Klimakanzlerin, 2007 ließ sie sich vor dem schmelzenden Polareis in Grönland ablichten. Was ist davon geblieben?

Deutschland ist sehr weit weg davon entfernt, die Ziele des Pariser Klimaabkommens einzuhalten. In Sektoren wie dem Verkehr gibt es keine positiven Veränderungen. Der Kohleausstieg in Deutschland kommt zu spät und zu ungerecht. Die Industrien sind nicht auf die Dekarbonisierung vorbereitet. Angela Merkel heute noch als Klimakanzlerin zu bezeichnen, fände ich zynisch.

Die CDU hat mit Armin Laschet einen neuen Chef. Fridays for Future sieht ihn sehr kritisch, vor allem wegen seiner Haltung zum Braunkohleabbau in Nordrhein-Westfalen. Was müsste Laschet tun, um dich zu überzeugen?

Konservativer Klimaschutz, das heißt bis heute weniger Klimaschutz. Armin Laschet könnte da einen großen Shift schaffen, wenn er es schafft, einen christdemokratischen Klimaschutzplan zu entwickeln, der nicht mit dem Pariser Abkommen bricht oder die Realität der Klimakrise verklärt. Das ist eine spannende Herausforderung. Das müsste er leisten, dann würden ihm alle Türen offenstehen.

Statt Laschet könnte am Ende Markus Söder Kanzlerkandidat der Union werden – der seit gut zwei Jahren gefühlt jeden zweiten Baum umarmt, dem er begegnet. Wäre er die bessere Wahl für den Klimaschutz?

Wie ernsthaft Herr Söder seine Klimaschutzzusagen meint, ist überhaupt nicht abzusehen. Auch die innigste Umarmung einer Buche kehrt die ökologische Zerstörung nicht um, die auch die CSU gerade mitträgt. Wie in Bayern die CSU gerade mit absurden Abstandsregeln für Windräder systematisch den Ausbau der erneuerbaren Energien ausbremst, wie sie die Flächenversiegelung in fast räuberischem Ausmaß vorantreibt, all das lässt nicht unbedingt darauf schließen, dass da der ökologische Funke übergesprungen ist. Aber vielleicht überrascht uns Herr Söder.

Du selbst bist Mitglied bei den Grünen. Wie stark würde es den Klimaschutz in Deutschland voranbringen, wenn eine Grüne oder ein Grüner die nächste Bundesregierung anführen würde?

Wenn man sich anschaut, was die in ihrem neuen Grundsatzprogramm aufgeschrieben haben – also ein klares Bekenntnis zum 1,5-Grad-Ziel – muss man sagen: Das hat keine andere Partei. Angenommen, sie würden es umsetzen können und sich in einer Koalition nicht etwa zu einem 2-Grad-Ziel überreden lassen, dann wäre viel möglich. Aber wir sehen eben, dass es, wenn die Grünen mal regieren, eben auch nicht immer ganz einfach ist. Wir haben uns mit ihnen ja auch schon ziemlich angelegt...

...in Hessen zum Beispiel, wo die Grünen in der Landesregierung am Ende den Autobahnbau durch den Dannenröder Forst mitgetragen haben. Ist ja spannend, dass du von den Grünen immer nur in der dritten Person redest. Wie stark identifizierst du dich eigentlich selbst noch mit der Partei?

Ich habe dort keine Funktion. Und ich finde es grundsätzlich schon gut, sich in demokratischen Parteien zu engagieren, dazu ermutige ich andere Menschen. Aber wir sind als Fridays for Future ja überparteilich, so bin ich das auch.

Jakob Blasel und andere prominente Fridays-for-Future-Aktivisten kandidieren jetzt für den Bundestag. Warum hast du dich dagegen entschieden?

Ich kenne keinen guten Grund, der mich überzeugen würde. Es fehlt ja nicht an ökologischen Stimmen, die ins Parlament wollen. Aber es braucht auch in Zukunft Leute, die aus der Zivilgesellschaft Druck machen.

"Es gibt ja einen direkten Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Pandemien und der Tatsache, dass der Mensch den Lebensraum vieler Wildtiere immer weiter zerstört. Dieser Zusammenhang wird aber immer noch negiert."

Du glaubst also, dass du persönlich mit Protest auf der Straße mehr erreichen kannst als im Bundestag?

Ich denke arbeitsteilig. Es braucht dringend gute, informierte ökologische Stimmen in den Parlamenten, in allen Parteien, so funktioniert Demokratie. Gleichzeitig ist ja der Grund dafür, dass wir beide gerade ein Interview führen, nicht, dass ein engagierter Ökologe im Parlament saß. Es waren zehntausende, hunderttausende Menschen auf der Gesellschaft, die gesagt haben, wir wollen etwas verändern. Und das braucht es weiterhin.

Gibt es für dich eine Schmerzgrenze, ab der du sagen würdest: Ich verlasse die Grünen?

Nein, das finde ich nicht hilfreich.

Was müsste 2021 passieren, damit du an Silvester sagst: Das war ein gutes Jahr für den Klimaschutz?

Zum einen müsste der wirtschaftliche Wiederaufbau nach Corona klimagerecht gestaltet werden. Zum anderen müsste sich die Politik ehrlich die Frage stellen, wie man die Gefahr einer nächsten Pandemie lindert. Es gibt ja einen direkten Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Pandemien und der Tatsache, dass der Mensch den Lebensraum vieler Wildtiere immer weiter zerstört. Dieser Zusammenhang wird aber immer noch negiert. Wenn beides, der klimagerechte Wiederaufbau der Wirtschaft und eine ökologische Pandemie-Prävention, zusammengebracht wird, dann könnten wir am Ende des Jahres feststellen: Cool, wir haben es am Ende ganz gut auf die Reihe gebracht. Aber das wird anstrengend, die To-do-Liste ist lang.

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