Die US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi ist am Dienstag auf Taiwan gelandet.Bild: www.imago-images.de / IMAGO/Handout
Exklusiv
02.08.2022, 17:4302.08.2022, 19:12
Mit dem Besuch Nancy Pelosis in der Hauptstadt Taiwans steigt die Sorge vor einer militärischen Eskalation in der Region. Die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses befindet sich aktuell auf einer Delegationsreise und hat schon Singapur und Malaysia besucht.
Die Volksrepublik (VR) China hat bereits die erhöhte Kampfbereitschaft der chinesischen Armee angekündigt. Das Pentagon währenddessen soll laut Medienberichten alles genaustens beobachten, um die Sicherheit von Nancy Pelosi, der drittwichtigsten Person der Vereinigten Staaten, zu garantieren.
Sie ist die erste Spitzenpolitikerin seit über 20 Jahren, die die Hauptstadt Taiwans besucht.
Menschen warten mit einem Willkommen-Banner für Nancy Pelosi vor dem Hotel in dem sie übernachten soll.Bild: AP / Chiang Ying-ying
Die Volksrepublik fühlt sich durch den hochrangigen diplomatischen Besuch in Taiwan provoziert. Grund dafür: China erkennt Taiwan nicht als eigenständiges Land an. Staaten, die diplomatische Beziehungen zu China führen, führen diese unter der Prämisse der Ein-China-Politik. Die sieht vor, dass die Staaten anerkennen, dass auch Macau, Hongkong und Taiwan zur Volksrepublik China gehören.
- Lies hier, wie Pelosis Besuch die Spannungen zwischen China und den USA schürt.
Seit Beginn des russischen Angriffskrieges wurde immer wieder mit Sorge in Richtung China und Taiwan geblickt. Gegenüber watson erklären Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, wie sie auf die Reise Pelosis blicken – und wie Deutschland und Europa im Ernstfall reagieren sollten.
Dass die Spannungen zwischen China und Taiwan zunehmen, ist aus Sicht des CDU-Politikers Roderich Kiesewetter wenig überraschend. "Mittel- bzw. langfristig will China Taiwan einnehmen, das ist hinlänglich bekannt", meint der Außenpolitiker gegenüber watson.
Bislang sei der Westen davon ausgegangen, dass das spätestens der Fall sein würde, wenn China in der Lage wäre, Halbleiter von so guter Qualität, Geschwindigkeit und in der Kapazität herzustellen wie Taiwan. Halbleiter werden für die Produktion elektronischer Geräte benötigt. Bisher sei davon ausgegangen worden, dass das erst in den nächsten zehn Jahren der Fall sein dürfte. "In dieser Zeit müssen wir definitiv mit einem Angriff rechnen und sollten uns darauf vorbereiten", sagt Kiesewetter.
Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter.Bild: dpa / Bernd von Jutrczenka
Und weiter:
"Leider haben wir unser Wirtschaftssystem vielfach, aber auch mit China, auf Abhängigkeiten errichtet. Unser Wohlstand fußt auf einem selbst gewählten Abhängigkeits-System: billige Energie aus Russland, billige Rohstoffe und Wertschöpfungsketten aus China, billige Sicherheit durch die USA, das Abwälzen von Sicherheitsfragen auf Bündnissolidarität oder die USA."
China beobachte genau, wie der Westen mit Russland verfahre – und wie die Sanktionen wirkten. Die chinesische Staatsführung könnte, meint Kiesewetter, einen strategischen Vorteil in einem früheren Angriff sehen. Denn der Westen binde viele Kapazitäten in der Bewältigung diverser Krisen.
Sollte es zu einem bewaffneten Konflikt kommen, geht Kiesewetter davon aus, dass die USA sich vor allem auf die Auseinandersetzung mit China konzentrierte. Klar sei, dass China seine Taktik und Strategie nicht von einem Besuch abhängig mache. Die Erfahrungen mit Russland hätten gezeigt, dass Autokratien nur die Sprache der Härte verstünden. Deshalb, meint Kiesewetter, sollten die USA sich nicht von Drohungen Chinas abschrecken lassen.
Der chinesische Präsident Xi Jinping mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin.Bild: Pool Sputnik Government / Alexei Druzhinin
Er sagt: "Letztlich wird der Besuch für das Verhalten Chinas unerheblich sein, deshalb sollte Nancy Pelosi Haltung zeigen und nach Taiwan reisen."
Deutschland und Europa hätten währenddessen eigene Aufgaben:
"Wir als Deutschland und Europäische Union sollten unsere Wertschöpfungsketten härten, mehr resiliente Strukturen schaffen und unsere Bevölkerung auf einen langen systemischen Wettbewerb, der durchaus Gewaltanwendung von China beinhalten kann, einstellen, eine fordernde politische Führungsaufgabe!"
Ähnlich schätzt auch Kiesewetters Parteikollegin Katja Leikert die Lage ein. Sie sagt:
"Chinas immer stärker werdenden Drohgebärden gegen das freiheitliche Taiwan sollten uns große Sorgen bereiten. Eine mögliche Invasion durch China hätte verheerende Folgen - wirtschaftlich, sicherheitspolitisch und natürlich für die Menschen in Taiwan selbst."
Europa müsse deutlich machen, dass ein chinesischer Angriff auf Taiwan klare Konsequenzen nach sich ziehen würde. Natürlich stelle ein Besuch Pelosis eine Provokation gegenüber China dar, das dürfe aber kein Grund sein, eine solche Reise abzusagen, erklärt die CDU-Politikerin.
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzdende der Union, Katja Leikert.Bild: IMAGO / Christian Spicker
Leikert meint:
"Unsere Parlamentarier haben das freie Recht, Beziehungen zu Taiwan zu pflegen und es gibt genug europäische Abgeordnete, nicht zuletzt aus Deutschland, die regelmäßig dort hinreisen."
Der Generalsekretär der FDP, Bijan Djir-Sarai, nennt die Drohung Chinas, auf einen diplomatischen Besuch mit militärischen Konsequenzen zu reagieren, inakzeptabel.
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai.Bild: imago images / imago images
Er sagt:
"Chinas Gebaren zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, dass sich weltweit Demokratien, wie Taiwan eine ist, zusammenschließen und ihre Werte gemeinsam vertreten. Langfristiges Ziel muss sein, dass sich die Volksrepublik China und Taiwan im friedlichen Dialog darauf verständigen, den Bürgerinnen und Bürgern Taiwans die freie Entscheidung über ihre politische Zukunft zu ermöglichen."
Der Frieden in der Region müsse gewahrt bleiben – sollte sich China aber zu einem militärischen Angriff auf Taiwan entscheiden, müsse der Westen schnell und geschlossen reagieren. Und zwar mit harten wirtschaftlichen sowie personenbezogene Sanktionen gegen China.
Die FDP-Politikerin Anikó Merten.Bild: IMAGO / Future Image
Djir-Sarais Parteifreundin Anikó Merten stellt klar, dass es Demokratien auch unter Achtung der Ein-China-Politik gestattet sein müsse, sich bilateral auszutauschen. Der Besuch Pelosis stelle daher keine Missachtung der Volksrepublik China dar. "Eine Eskalation des Konflikts hätte schwerwiegende Folgen weit über den südostasiatischen Raum hinaus", sagt Merten.
Der Linken-Politiker Gregor Gysi hingegen hält die Reise von Nancy Pelosi für einen Fehler.
Der Linken-Politiker Gregor Gysi.Bild: www.imago-images.de / imago images
Er sagt:
"Auch die USA haben die Ein-China-Politik anerkannt und akzeptiert. In territorialen Fragen ist die chinesische Führung unnachgiebig. Wenn ein Staat diplomatische Beziehungen zu Taiwan unterhält, gibt es bekanntlich keine diplomatischen Beziehungen zu China. Im Interesse der Menschen in Taiwan sollte jede Provokation der westlichen Staaten unterbleiben."
China lasse Taiwan in Ruhe, solange es keine Gefährdung für die Ein-China-Politik sehe.
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