Während die Corona-Krise die Welt weiter Tag für Tag beschäftigt, macht die Klimakrise keine Pause. Ihre möglichen Auswirkungen bleiben sichtbar: Im Großteil von Deutschland ist der Boden weiterhin ungewöhnlich trocken, in Sibirien lässt Rekordhitze Permafrost-Böden auftauen – mit dramatischen Folgen für die Umwelt. Wie kann es klappen, die Corona-Krise zu bewältigen und gleichzeitig die Wirtschaft ökologisch umzubauen? Wir haben darüber mit Anton Hofreiter gesprochen, Fraktionschef der Grünen im Bundestag.
Es ist der zweite Teil unseres Interviews mit Hofreiter. Wir haben ihn gefragt, ob junge Menschen in ein paar Jahrzehnten noch den Wohlstand von heute erwarten können, wie der ökologische Umbau der Gesellschaft sozial gerecht funktionieren kann – und was er einem jungen Kfz-Mechatroniker sagt, der Angst hat, wegen grüner Politik in ein paar Jahren keinen Job mehr zu finden.
watson: Herr Hofreiter, die Corona-Krise hat zum einen die CO2-Emissionen schrumpfen lassen – und zum anderen dafür gesorgt, dass wieder mehr Menschen Busse und Bahnen meiden und Auto fahren. Ist diese Krise ein Rückschlag oder ein Fortschritt für den Klimaschutz?
Anton Hofreiter: Weder noch. Der Umbau unserer Industriegesellschaft ist eine Sache von zehn bis 20 Jahren, nicht von wenigen Tagen.
Wir haben schon Jahre verloren. Insbesondere das stört viele junge Menschen.
Das verstehe ich und da haben Sie recht. Wir müssen endlich aufhören, fossile Brennstoffe zu verfeuern. In der Zukunft muss gelten: Kein Benzin mehr, kein Diesel, kein Heizöl, kein Erdgas, nahezu keine Kohle mehr. Wir brauchen eine Chemieindustrie ohne Erdöl, eine Stahlindustrie ohne Koks. Das ist eine viel größere Dimension als bei früherer Umweltpolitik.
Wie wird sich dieser Umbau auf junge Menschen auswirken? Müssen die heute 20-Jährigen in Zukunft auf vieles verzichten – oder können sie auch in ein paar Jahrzehnten noch in einem ähnlichen Wohlstand wie heute leben?
Ich bin überzeugt, dass wir unseren Wohlstand erhalten können – wenn wir es richtig machen. Ja, es werden sich Dinge grundlegend ändern. Aber ist es wirklich ein Verzicht, wenn wir irgendwann nicht mehr mit dem Auto in alle Innenstädte fahren können und stattdessen mit Bus, Bahn und Rad unterwegs sind? Ich sage: Wir haben dadurch einen gigantischen Gewinn an Lebensqualität. Weil die Luft sauberer wird, weil es sicherer wird, weil es leiser wird, weil es auch mehr Platz für Fahrräder, Cafés und Freisitze von Restaurants gibt. Natürlich wird das Auto weiter eine große Rolle spielen, aber eben nicht mehr in jeder Innenstadt. Industriezweige wie die Chemieindustrie werden radikal anders aussehen. In einem Bereich kann aber auch jeder von uns etwas ändern.
Nämlich?
Beim Fleischkonsum. Wir haben einfach nicht die Fläche, um weiterhin die Menge an Fleisch aufrechtzuerhalten, die wir momentan pro Kopf essen - es sei denn, wir können eines Tages auf technisch hergestelltes Laborfleisch ausweichen. Es sollte wieder das Prinzip gelten: Qualität statt Masse.
Zu welchem Verzicht haben Sie sich persönlich entschlossen, um zum Klimaschutz beizutragen?
Ich weiß gar nicht, ob das ein Verzicht ist, aber ich kaufe Bio-Lebensmittel ein. Vor der Corona-Krise bin ich mit dem Zug gefahren, wann immer es ging, hier in der Stadt fahre ich allermeistens mit dem Fahrrad. Ich habe zu Hause Ökostrom, der ist auch nicht schlechter, nur ein bisschen teurer.
Gut, jetzt kann man sagen...
Ja, ich weiß, dass ich mir das bei meinem Gehalt auch leisten kann.
Genau, und das ist doch ein ganz wichtiger Punkt beim Klimaschutz. Die einen können sich es gut leisten, zehn oder 20 Euro mehr im Monat für Strom zu bezahlen. Aber manche junge Eltern müssen überlegen, ob sie Ökostrom beziehen oder das Geld lieber in die Schulausrüstung ihrer Kinder stecken. Klimaschutz muss man sich heute leisten können.
Deswegen sagen wir: Wir brauchen eine gerechtere Sozialpolitik. Ich will, dass sich jeder anständiges Essen leisten kann. Diejenigen, die am lautesten die sozialen Fragen beim Klimaschutz stellen, sind oft genug diejenigen, die gegen höhere Mindestlöhne oder eine bessere Grundsicherung zu Felde ziehen. Das ist Heuchelei. Am Ende muss man sich aber auch darüber im Klaren sein: Natürliche Lebensgrundlagen braucht jeder, egal, ob er mehr oder weniger Geld hat. Deshalb sind mir strukturelle Veränderungen noch viel wichtiger als individuelle Entscheidungen. Wir schaffen ja den Kohleausstieg nicht, indem jeder einzelne Haushalt auf Ökostrom umsteigt. Sondern, indem wir es gesetzlich regeln. Man darf es doch keinem vorwerfen, wenn er sich Öko-Lebensmittel schlicht nicht leisten kann. Deswegen halte ich gar nichts davon, die ökologische Frage nur auf den einzelnen Menschen zu schieben. Das ist auch nicht nötig.
Warum?
Wenn ein neues Kraftwerk gebaut wird, ist Ökostrom inzwischen die kostengünstigste Variante. In sonnenreichen Ländern kann man eine Kilowattstunde Sonnenstrom für weniger als einen Cent produzieren. In einer Windkraftanlage in Deutschland ginge das an vielen Standorten für vier bis fünf Cent. Die Technik ist so weit, dass erneuerbare Energien mit die billigsten sind.
Wie wollen Sie es schaffen, dass das bei den Bürgern ankommt?
Zum Beispiel, indem wir die Einnahmen aus dem CO2-Preis nutzen, um dadurch die Strompreise zu senken. Und im ersten Schritt haben wir aus der Opposition heraus auch erreicht, dass die Regierung das auf den Weg bringt.
Der Strompreis ist ja nur ein Faktor für Menschen mit geringerem Einkommen. Was tun Sie noch?
Wir brauchen einen höheren Mindestlohn. Wir brauchen eine völlige Veränderung von Hartz IV mit höheren Regelsätzen. Wir wollen eine stärkere Tarifbindung: Die Tarifverträge sollen allgemeinverbindlich für deutlich mehr Menschen in Jobs ohne Tarifbindung gelten. Wir brauchen eine grundlegende BaföG-Reform. Wir erleben ja nicht nur Klimakrise und Artensterben, wir haben in Deutschland auch ein krasses Ungerechtigkeitsproblem. Und in einer gespaltenen Gesellschaft sind natürlich ökologische Veränderungen viel schwieriger – weil es für die einen relativ egal ist, wenn sie mehr Geld für etwas ausgeben müssen, während für viele andere schon wenige Euro im Monat ein echtes Problem sind.
Die Grünen werden aber eher von den Menschen gewählt, denen ein paar Euro im Monat wenig ausmachen, von den Besserverdienenden, das zeigen ja viele Wahlanalysen. Was sagen Sie denn zum Beispiel einem KfZ-Mechatronik-Azubi, der Ihnen vorhält, dass es in ein paar Jahren vielleicht kaum mehr Jobs für ihn gibt, wenn die Grünen ihre Ideen umsetzen und viel weniger Autos verkauft werden?
Ich wäre mit ihm sehr ehrlich und würde ihm sagen: Ja, es kommt ein ganz, ganz grundlegender Wandel auf die Autoindustrie zu. Aber wenn unsere Pläne nicht umgesetzt werden, dann arbeitet in zehn Jahren gar niemand mehr bei BMW, Volkswagen oder den vielen Zulieferbetrieben. Wenn die Autohersteller dauerhaft an alter Technologie festhalten, sind sie in zehn Jahren pleite. Wenn unsere Pläne umgesetzt werden, kann man hoffentlich einen erheblichen Teil der Jobs retten.
Und was machen die Menschen, deren Jobs nicht gerettet werden?
Denen müssen wir helfen. Wir setzen uns für ein Qualifizierungs-Kurzarbeitergeld ein. Menschen, die in Kurzarbeit müssen, sollen die Zeit besser nützen können, um sich weiterzubilden. Wir brauchen regionale Transformationsfonds, mit denen der wirtschaftliche Umbau in Regionen unterstützt wird, in denen der Wandel sehr stark wirkt. Gerade Automobilzulieferern, bei denen gerade auf dem Land ja unglaublich viele Menschen arbeiten, kann so ein Fonds helfen: In einer Welt mit Elektroautos brauche ich eben keine Zylinderköpfe mehr.
Die Umstellung fällt diesen Unternehmen sicher nicht leicht...
Und ich bezweifle, dass ein mittelständisches Unternehmen, das auf Zylinderköpfe spezialisiert ist, den Umstieg ohne finanzielle Unterstützung schafft. Wenn ein solches Unternehmen einen vernünftigen Zukunftsplan vorlegt, kann es dann Geld vom Staat bekommen – und so auch die Jobs erhalten.
Wenn Sie in diesem Jahr nicht 50 geworden wären, sondern 20 – würden Sie sich dann noch ein Auto kaufen?
Ich habe mir noch nie ein Auto gekauft.
Okay, für die Entscheidung bekommen Sie sicher viel Applaus in München-Haidhausen oder im Prenzlauer Berg in Berlin. Aber auf dem Land in Oberbayern oder Brandenburg ist der Verzicht aufs Auto viel schwieriger...
...deswegen wollen wir erstens die Bahn ausbauen und zweitens Bahnhöfe auf dem Land zu Mobilitätsdrehscheiben machen. Das heißt: Der Zug hält dort mindestens im Stundentakt. Und ich wünsche mir, dass es auf dem Bahnhof dann nicht eingeschlagene Scheiben, einen kaputten Automaten und einen stinkenden Warteraum gibt. Sondern eine Verkaufsstelle, in der ein Mensch sitzt, wo ich etwas zu essen bekomme und mich bei Regen unterstellen kann. An den Bahnhöfen muss der Bus auf den Zug warten, damit die Menschen gleich weiterfahren können. Ich muss dort mein Fahrrad sicher unterstellen können, Und ich brauche dort Ladeplätze für Elektroautos und Pedelecs.
Auch auf dem Land?
Ja, aber auf dem Land wird das Auto weiter eine große Rolle spielen. Deshalb beschäftigen wir Grüne uns ja so intensiv mit der Autoindustrie. Wir wollen, dass wir weiter bei uns Autos Made in Germany herstellen, aber keine schmutzigen Verbrenner, sondern moderne klimafreundliche E-Autos! Wir brauchen also zum einen mehr und besseren öffentlichen Nahverkehr und Fahrradstrecken – und zum anderen eine Antriebswende: Autos dürfen keine klimaschädlichen Stoffe mehr ausstoßen.
Mit diesen Ansichten punkten die Grünen gerade bei jungen Menschen. Auf der anderen Seite gehen viele von ihnen gar nicht wählen. Bei der Bundestagswahl war das bei den Unter-35-Jährigen ein knappes Drittel. Welches Angebot machen die Grünen Nichtwählern?
Wir wollen das Wahlalter auf 16 Jahre senken. Gerade Schüler haben ein großes Bewusstsein für politische Probleme. Aber junge Menschen müssen sich selbst auch klarmachen, dass Politik sie ganz besonders betrifft, weil sie noch besonders viel Lebenszeit vor sich haben. Und unser Angebot an die jungen Menschen ist eine Politik, die denen, die jetzt 16 oder 20 sind, auch in 30 Jahren noch ein vernünftiges Leben ermöglicht.