Die SPD-Politikerin Sawsan Chebli ist bereits häufig mit sexistischen Äußerungen konfrontiert worden. "Als Frau in der Politik wirst Du ständig auf Dein Äußeres reduziert", erklärt sie gegenüber watson. Inhalte und Positionen von Frauen kämen für viele erst an zweiter Stelle.
Chebli hat einen palästinensischen Migrationshintergrund. "Bei dem Hass gegen mich gehen Sexismus und Rassismus häufig Hand in Hand", sagt sie. Es gehe dabei darum, Frauen einzuschüchtern, damit sie sich letztlich aus dem Diskurs zurückziehen. "Das ist ein gefährliches Muster", sagt Chebli.
Sie berichtet noch einmal von ihrer härtesten Erfahrung: "Ein krasses Beispiel war ein Kommentar in der gedruckten Ausgabe von 'Tichys Einblick'. Das war im Kontext meiner Bewerbung um ein Bundestagsmandat. Da stand: 'Was spricht für Sawsan? Befreundete Journalistinnen haben bislang nur den G-Punkt als Pluspunkt feststellen können in der Spezialdemokratischen Partei der alten Männer.' Das war heftig."
Für Chebli ist klar: "Es muss sich etwas ändern." Und sie warnt: "Demokratien sterben aus, wenn sie auf Dauer Frauen ausschließen und klein halten." Um das zu verhindern, müsse man etwas an den "institutionalisierten Strukturen" ändern. "Denn Sexismus hat Struktur. Es sind über Jahrhunderte verfestigte Strukturen, die wir Stück für Stück aufbrechen müssen."
Mehr Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt, mehr Frauen in Führungspositionen, stärkere Unterstützung von Eltern für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, mehr Anerkennung für Care-Arbeit – das sind die Stellschrauben, die Chebli vorsieht. Außerdem müssten Frauen untereinander stärker zusammenhalten und sich besser vernetzen – unabhängig von Sympathie.
Den Kampf gegen Sexismus sieht Chebli aber nicht nur in der Verantwortung der Frauen. Sie sagt:
Über #MeToo sei sie damals immer tiefer in die feministische Welt eingetaucht, meint Chebli. Heute sei sie Teil diverser Frauennetzwerke, die sich mit Sexismus im Alltag und in der Arbeitswelt auseinandersetzen, aber auch mit Themen wie Intersektionalität. "Diese Netzwerke zum gemeinsamen Austausch sind so wichtig und essenziell, um handlungsfähig zu werden."
Die Förderung von gleichen Chancen sei eins der Hauptanliegen jeder sozialdemokratischen Politik. Mit den beiden Gesetzen zu Gleichstellung von Frauen in Führungspositionen habe die Partei bereits erste verbindliche Vorgaben für Unternehmen in Deutschland erreicht. Chebli meint damit die verbindliche Frauenquote für börsennotierte Unternehmen, die seit diesem Jahr in Kraft ist.
"Als Nächstes brauchen wir Parität im Bundestag. Frauen und ihre Perspektiven müssen endlich zu gleichen Teilen in der Politik vertreten sein", sagt sie. Damit sollen zumindest mal Frauen in der Arbeitswelt gleichgestellt werden.
Was sexistische Übergriffe konkret angeht, sagt Chebli, "da bieten sich niedrigschwellige Angebote vor Ort eher an". Innerhalb der SPD gebe es einige Gliederungen mit sogenannten Awareness-Teams oder Vertrauenspersonen für Sexismus und Diskriminierung.
Chebli lobt zudem die Jungesozialisten. "Die Jusos beispielsweise praktizieren das schon länger und bringen ihre Erfahrungen ein. In Berlin haben sie sogar eine Anti-Sexismus-Kommission errichtet." Neben dem Einsatz konkreter Ansprechpersonen gehe es hierbei auch immer um eine Sensibilisierung der gesamten Partei für das Thema. "Prävention und Empowerment sind hierbei genauso wichtig, wie die Nachverfolgung und Ächtung sexistischer Übergriffe, die die SPD klar verurteilt", so Chebli.
Es sind nicht die offensichtlichen Angriffe, die Isabel Cademartori erlebt. Es sind die kleinen. Die unscheinbaren, subtilen. Und diese Äußerungen irritieren sie, sagt die 33-jährige SPD-Bundestagskandidatin. „Man bekommt gelegentlich ungefragt Feedback zur Kleidung", sagt sie. "Meistens von älteren Frauen." Sexismus steckt eben nicht nur in männlichen Köpfen fest. Sie wisse, dass das gut gemeint sei, "aber es sollte vorrangig um die politischen Inhalte gehen".
Cademartori kandidiert in Mannheim für den Einzug in den Bundestag. Sie spricht dort auf Bühnen, geht von Haus zu Haus, streitet mit anderen Kandidaten und Kandidatinnen auf Podiumsdiskussionen. "Inzwischen habe ich mir eine Art Uniform zugelegt", sagt sie. Kleidung, die funktioniere, die keine große Aufmerksamkeit auf sich ziehe. "Auch bei Männern wird auf Äußerlichkeiten geguckt, aber bei Frauen wird noch einmal genauer hingeschaut."
Die 33-Jährige steht noch relativ am Anfang ihrer politischen Karriere. Sie ist Stadträtin in Mannheim, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion im Gemeinderat und Sprecherin für Stadtentwicklung und Mobilität. Sie studierte Betriebswirtschaftslehre und machte ihren Master in Wirtschaftspädagogik, ist in einer Gewerkschaft aktiv und engagiert sich in vielen Initiativen. Cademartori nennt sich selbst "Mut.Macherin".
Doch es sind eben oft diese kleinen Dinge, die auch sie beschäftigen. Nicht nur die Kleidung ist ein Knackpunkt in Cademartoris politischer Welt. Auch ihr Gesichtsausdruck. "Wenn ich mich konzentriere, dann vergesse ich oft, was um mich herum passiert, dann bekomme ich gesagt, ich wirke unfreundlich und arrogant." Nach dem Motto: Lach' doch mal? "Ja", sagt sie. Und lacht. Auch hier habe sie den Eindruck, es werde mit zweierlei Maß gemessen. Sie arbeite nun daran, trainiere ihren Ausdruck.
Doch insgesamt, sagt Cademartori, habe sie das Gefühl, überraschend wenig Sexismus zu erleben. "Wir haben hier in Mannheim aber auch eine besondere Situation. Wir haben drei aussichtsreiche junge Kandidatinnen, der CDU-Kandidat Roland Hörner hat durch den Masken-Skandal durch Nikolas Löbel diesmal eher weniger Chancen." Löbel war einmal der Mannheimer Direktkandidat im Bundestag. Weil er in der Hochphase der Pandemie 2020 Masken an medizinische Einrichtungen vermittelt hatte und dafür horrende Summen kassierte, trat er zurück.
Das Attribut "junge Frau" sei also kein Alleinstellungsmerkmal in ihrem Wahlkreis. Und so hätten sexistische Äußerungen auch weniger Schlagkraft. "Man hat ja kaum eine andere Möglichkeit zu Wahl", sagt Cademartori. "Das spricht auch für die These: Je mehr Frauen in der Politik sind, umso mehr wird das Thema normalisiert."
Cademartori hat aber Hoffnung. Sie glaubt an die junge Generation. "Ich denke, es wird besser werden. "Es gibt in dieser Sache einen Generationenunterschied. Jüngere sind sensibilisiert, sie wissen, dass es nicht okay ist, ungefragt Styling-Tipps zu geben."
Für Ana-Maria Trăsnea – die im Osten Berlins für die SPD für den Bundestag kandidiert – vergeht kein Tag ohne Sexismus. Man müsse aber unterscheiden zwischen Social Media und Terminen vor Ort. "Bei Social Media vergeht kein Tag, an dem ein Mann nicht sein Glück versucht – das geht von Dating Anfragen bis hin zu Bilder mit Genitalien, die mir unaufgefordert geschickt werden", sagt sie.
An den Infoständen zur Wahl hielten sich sexistische Bemerkungen in Grenzen. Trăsnea ist dann aber auch immer mit anderen Menschen vor Ort, also nie allein.
Dass sie nicht ernst genommen wird, oder Menschen glauben, sie belehren zu müssen, gebe es auch, erzählt sie. "Es kann auch vorkommen, dass mir auf einer Podiumsdiskussion ein Konkurrent einer anderen Partei den Tipp gibt, ich solle nicht so nervös sein, ich mache das ja schon ganz super."
Trăsnea sagt, sie arbeite sehr hart dafür, dass Sexismus überwunden wird. Gegenüber watson sagt sie:
Die SPD positioniere sich klar gegen Sexismus. Trăsnea spricht von einer Anti-Sexismuskommission, die es auf Landes- und Bundesparteitagen gebe. Aber sie sagt auch: "In den Strukturen der Partei kann es trotzdem passieren. Die größte Hilfe ist die breite Solidarität von anderen Frauen und Männern in der Partei, unabhängig der Position."
Schutzräume seien aber auch wichtig, "deshalb sind die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen sowie die Arbeitsgruppen für queere Menschen und Migrant:innen Ansprechstellen innerhalb der Partei, die im Fall von Diskriminierung helfen können".