Die Situation im westafrikanischen Mali spitzt sich mehr und mehr zu. Wie reagiert die Bundeswehr? Was ist mit den Ortskräften? Droht ein zweites Afghanistan? Und worauf hofft Russland?
Ein Gespräch mit der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP).
Watson: Frau Strack-Zimmermann, internationale Hilfsorganisationen erzählen mir, dass sie sich auf Evakuierungen aus Mali vorbereiten. Weil sie Angst vor einem zweiten Afghanistan haben. Ist das gerechtfertigt?
Marie-Agnes Strack-Zimmermann: Das kann ich natürlich nicht beurteilen. Zumal die malische Bevölkerung den Organisationen wirklich sehr dankbar ist für deren Unterstützung. Wenn die Hilfsorganisationen aber zu der Einschätzung kommen, sie müssten sich auf einen möglichen Abzug vorbereiten, dann ist das am Ende deren Entscheidung. Wichtig ist allerdings, ob die Bundesregierung nun am Einsatz in Mali festhält oder sich zurückzieht – das Land ist von seiner geostrategischen Lage her von großer Relevanz.
Wie meinen Sie das?
Durch Mali läuft ein breites Band des internationalen Terrorismus. Der Terror zieht sich von Libyen kommend quer durch die Sahelzone – also auch durch Niger und Mali. Allein wegen seiner Größe und Bedeutung innerhalb der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS ist Mali eine bedeutende Region und spielt damit auch für unsere Sicherheit in Europa eine Rolle.
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Der deutsche Einsatz ist seit Mitte August unterbrochen. Was, wenn die Sahelzone kippt?
Genau deswegen ist die Bundeswehr gemeinsam mit vielen anderen Staaten im UN-Einsatz MINUSMA. Wenn die Sahelzone kippt, wenn in Mali schwere Unruhen aufflammen, wenn der Druck auf den internationalen Terror, der im Begriff ist, sich dort auszubreiten, nachlässt – dann müssen wir davon ausgehen, dass dies unmittelbar Auswirkungen auf Europa haben wird, weil es dann auch zu großen Fluchtbewegung Richtung Norden kommen kann. Das müssen wir bei allen Entscheidungen im Blick behalten.
Aber Frau Strack-Zimmermann, die Deutschen sind ja teilweise längst versetzt worden. Man hat Sorge, dass wieder Ortskräfte oder andere gefährdete Personen zurückgelassen werden, wie es 2021 in Afghanistan passiert ist.
Einsätze zu vergleichen ist schwierig, aber selbstverständlich, einen solchen überstürzten Abzug wie in Afghanistan darf es nicht wieder geben. Das sind wir den Soldatinnen und Soldaten schuldig, die auch in Mali mit großem Engagement im Einsatz sind.
Deswegen haben wir ja auch einen Afghanistan-Untersuchungsausschuss im Bundestag eingesetzt: Warum hat das Innenministerium unter Horst Seehofer die Ortskräfte nicht rechtzeitig evakuiert, obwohl der Abzug bereits feststand? Warum hat das Entwicklungshilfeministerium unter Gerd Müller den NGOs nicht geholfen? Warum hat Außenminister Heiko Maas nicht rechtzeitig reagiert und die deutsche Botschaft evakuieren lassen?
Und warum begann die Evakuierung so spät, obwohl Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer wusste, dass die Amerikaner eine Evakuierung konkret vorbereiten? Diese Fragen gehören beantwortet, auch wenn keiner der verantwortlichen Ministerinnen und Minister noch im Amt ist.
Und was ist nun der Unterschied zu Mali?
Die Strukturen sind nicht vergleichbar. Die Taliban sind tief verwurzelt im Volk. Eine vergleichbare Volksgruppe gibt es in Mali nicht. Aber in der Tat haben wir es dort mit einer Regierung zu tun, die sich an die Macht geputscht hat. Das entspricht definitiv nicht unserer Vorstellung von Governance, aber dennoch sollten wir nicht allein unsere politischen Maßstäbe ansetzen: Die Lebenswelt und die entsprechenden Strukturen sind nicht vergleichbar mit dem System der Bundesrepublik Deutschland.
Also wollen Sie Fehler der Vergangenheit vermeiden – nämlich, dass wir anderen Ländern unsere Wertevorstellungen aufzwingen?
Natürlich sind unsere Werte unser Maßstab. Dazu gehört auch, dafür Sorge zu tragen, dass dort die Menschenrechte nicht mit Füßen getreten werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass in malischen Dörfern Menschen ermordet werden. Die Provinzregierungen müssen solchen Verbrechen nachgehen. Aber anzunehmen, dass ein Wahlkampf in Mali so ausschaut wie bei uns, ist etwas weltfremd. Deswegen drängen wir auf einen Übergangsprozess. Aber der muss auch umsetzbar sein.
Nochmal: Der Einsatz wurde schon unterbrochen. Wie soll es weitergehen?
Der Einsatz wurde weder ausgesetzt noch unterbrochen. Im Verteidigungsausschuss begleiten wir dieses Mandat aus dem Blickwinkel der Soldatinnen und Soldaten. Deren Sicherheit hat oberste Priorität. Aber wir behalten natürlich auch die gesamte geopolitische Situation im Auge.
Deutschland ist inzwischen, nachdem Frankreich seine Truppen abgezogen hat, der größte Truppensteller und leistet einen wesentlichen Beitrag in diesem UN-Einsatz. Wir klären auf und liefern Daten, auf die alle Nationen, die mit uns vor Ort sind, zugreifen können. Sollten wir also irgendwann der Meinung sein, abzuziehen, steht der ganze Einsatz infrage. Das weiß auch die UN.
Man ist da ja auch mit der malischen Regierung im Gespräch ...
Selbstverständlich. Und die Vertreter der UN natürlich auch. Nichtsdestotrotz, die Unzuverlässigkeit und Schikanen der malischen Regierung uns gegenüber sind inakzeptabel.
Sie meinen damit, dass die Militärregierung in Mali den Einsatz der Bundesregierung behindert hatte.
Es kam immer wieder zu Problemen, was die Überfluggenehmigungen betrifft und die Ein- und Ausreise von Truppenkontingenten. Aus Sicherheitsgründen konnten unsere Soldatinnen und Soldaten daher zeitweilig nicht das Camp verlassen, um auf Patrouille zu gehen. Momentan läuft es besser. Aber zufriedenstellend ist das trotzdem nicht. Über dieses Mandat hinaus haben wir aber auch noch ein europäisches Mandat EUTM. Bei diesem haben wir die Ausbildung der malischen Armee beendet, da es nicht mehr wirkungsvoll war.
Soldat:innen äußern hinter vorgehaltener Hand die Angst, dass sich genau diese ausgebildeten Sicherheitskräfte künftig Dschihadisten anschließen könnten.
Darüber braucht man nicht hinter vorgehaltener Hand zu sprechen. Es gibt immer das Risiko, dass von uns ausgebildete Soldaten sich nicht für ihre Bevölkerung einsetzen. Wir müssen trotzdem darauf vertrauen, dass das Militär am Ende gegen den Terror kämpft und nicht Teil davon wird. Am Ende des Einsatzes heißt das Ziel, dass die malischen Kräfte ihr Land selbst schützen können. Wir können und wollen ja nicht Jahrzehnte dort bleiben.
Das Ziel ist also noch immer, dass Mali auf eigenen Beinen stehen kann?
Das Militär kann immer nur eine Zeit lang präsent sein und für Ruhe sorgen. Gleichzeitig müssen Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit ihre Arbeit machen. Wenn ausschließlich Militär im Einsatz ist, wird das auf Dauer nichts nützen. Wir prüfen momentan das UN-Mandat. Wir schauen, was wir noch zu leisten in der Lage sind. Oberste Priorität hat, wie bereits gesagt, die Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten und der Polizistinnen und Polizisten und der Hilfsorganisationen. Aber mal ebenso schnell raus, wäre zu kurz gesprungen.
Warum?
In dem Augenblick, in dem sich westliche Truppenkontingente komplett zurückziehen, füllen russische Soldaten das entstandene Vakuum. So bereits geschehen nach dem Abzug der Franzosen.
Die russischen Söldner der Gruppe Wagner.
Auch. Und sie sind dort nicht, um Frieden zu stiften oder Mali zu stabilisieren. Russland hat Interesse, dass Terror und Migrationsströme Europa erreichen, um unter anderem auch Deutschland zu destabilisieren.
Nun gibt es ja zwei Stränge, an denen wir Bürger:innen Ihre Arbeit messen, Frau Strack-Zimmermann. Die strukturelle, also politische Arbeit. Aber eben auch die menschliche ...
... die besonders wichtig ist!
Eben! Hat die Bundesregierung denn jetzt konkrete Vorbereitungen getroffen, um Menschen rauszuholen? Für den Fall, dass sich dort der Terror weiter ausbreitet?
Der Verteidigungsausschuss hat die Namen bei den Ministerien angefordert, die damit betraut sind, damit wir genau wissen, wie viele Unterstützungskräfte es dort gibt und was sie für Aufgaben übernommen haben. Allerdings hat die malische Regierung bisher kein Problem damit, dass sie uns unterstützen.
Sie wollen also die Bürokratie schon jetzt auf den Weg bringen. Etwas, das man 2021 bei afghanischen Ortskräften versäumt hatte.
Die Ampel hat im Koalitionsvertrag vereinbart, dass das, was die CDU-, CSU- und SPD-geführten Ministerien versäumt haben, nicht wieder passieren darf. Es muss ganz klar sein: Wer unterstützt die Bundeswehr? Etwa Kultur- oder Sprachvermittler. Und: Wer gehört zu den Personengruppen, die gegebenenfalls bei einem Abzug der Bundeswehr aus Sicherheitsgründen auch das Land verlassen sollten?
Was ist mit dem Bürokratiemonster, das es 2021 gegeben hat? Verschleppte Visa-Anträge etwa. Oder Beweispflichten, als Menschen, die Beweise bewusst vernichtet haben, um nicht auf Todeslisten der Terroristen zu landen.
Das Bürokratiemonster hatte einen Namen: Horst Seehofer. Er hat vor der Bundestagswahl das Thema Ortskräfte nicht einmal in den Mund nehmen wollen. Das war ein bewusstes Verhindern. Im April 2021 war schon klar, dass wir aus Afghanistan rausgehen. Da haben viele Verantwortliche bis ins Kanzleramt ihren Teil zu diesem Chaos beigetragen.
SPD-Außenminister Heiko Maas, Horst Seehofer oder Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer zum Beispiel.
Und auch, wie gesagt, der damalige Minister für Entwicklungszusammenarbeit Gerd Müller, der von den NGOs monatelang gebeten wurde, sie zu unterstützen, Afghanistan zu verlassen. Wenn NGOs, die hart im Nehmen sind, sich so äußern, sollte man das sehr ernst nehmen.
Warum gerade dann?
Sie sind ganz nah bei der Bevölkerung. Sie wollen etwas Positives für die Menschen dort bewirken und etwas zum wirklich Besseren wenden. Wenn sie ein Land verlassen wollen, sollte man die Ohren spitzen.