Die Jugendorganisationen von Parteien wollen oft unbequem sein, die etablierten Vertreterinnen und Vertreter im eigenen politischen Lager antreiben. Bei der Grünen Jugend, der 1994 gegründeten Jugendorganisation von Bündnis 90/Die Grünen, steckt das Aufmüpfige sogar im eigenen Symbol: Es ist ein Igel mit langen Stacheln und grimmigem Blick.
Eine der beiden Spitzen der Grünen Jugend (GJ) ist seit Oktober 2021 Sarah-Lee Heinrich. Die 20-Jährige aus Nordrhein-Westfalen hat in den vergangenen Wochen mehrfach deutlich gemacht, dass sie sich von den Grünen in der Bundesregierung mit SPD und FDP mehr linkes Profil wünscht, mehr Aufmerksamkeit für soziale Themen und weniger Kompromisse beim Klimaschutz.
watson hat Sarah-Lee Heinrich zum Interview getroffen – kurz vor dem Parteitag, auf dem die beiden grünen Bundestagsabgeordneten Ricarda Lang und Omid Nouripour zu den neuen Parteichefs gewählt werden sollen. Die Neuen treten die Nachfolge von Annalena Baerbock und Robert Habeck an, die laut grünem Parteistatut das Parteiamt aufgeben müssen, weil sie seit Dezember Minister in der neuen Bundesregierung sind.
Wir haben mit GJ-Chefin Sarah-Lee Heinrich über die Erwartungen des grünen Nachwuchses an die designierten neuen Parteichefs gesprochen, über ihre Forderungen an die Ampel-Koalition – und die Frage, ob Kritik an Fleischkonsum oder Autofahren der richtige Weg für engagierte Klimaschützer ist.
watson: Sarah-Lee, Robert Habeck, der scheidende Vorsitzende der Grünen und Klima-Minister, hat am Mittwoch bei der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts gesagt: "Der Kapitalismus ist eine Wirtschaftsform – neben anderen – mit enormen Kraftpotenzialen". Hat er recht?
Sarah-Lee Heinrich: Es ist nicht zu leugnen, dass in der Phase kapitalistischen Wirtschaftens der Wohlstand sehr stark gestiegen ist. Aber es war eben auch ein Anstieg auf Kosten unseres Planeten, ganz oft auf Kosten gerade der arbeitenden Bevölkerung, auf Kosten der Menschen im globalen Süden. Wenn Wirtschaftswachstum entsteht, aber nur wenige Menschen oder wenige Unternehmen davon profitieren und wir gleichzeitig unsere Umwelt und unser Klima zerstören, dann haben wir ein Problem, würde ich sagen.
Die Grüne Jugend will ja auch den Kapitalismus überwinden. In den Grundsätzen auf eurer Website steht, ihr wollt "ein grundlegend anderes Wirtschaftssystem". Wie passt denn so eine Aussage zu dem, was Robert Habeck zum Kapitalismus gesagt hat?
In einer Partei muss man nicht immer dieselbe Position haben. Wir als Grüne Jugend sind auch ein eigenständiger, linker Jugendverband, das macht uns auch aus. Deswegen haben wir nicht immer dieselben Positionen wie die Grüne Partei dazu, ob wir nur auf eine sozial-ökologische Marktwirtschaft schielen sollten, oder ob es grundsätzliche Änderungen an unserem Wirtschaftssystem braucht.
Habeck ist ja nun der mächtigste Grüne in der Bundesregierung: Vor ein paar Monaten hat er noch gesagt, er sei für die Freigabe der Patente auf Impfstoffe. Jetzt vertritt er die Meinung, das helfe nicht bei einer schnelleren Verteilung des Impfstoffs.
Wir sind als Grüne Jugend ganz klar für eine Freigabe der Patente und der Technikinformationen des Impfstoffes. Die Gegner einer Patentfreigabe haben schon am Anfang der Pandemie behauptet, dass es zu lange dauere, Kapazitäten aufzubauen und es sich deshalb nicht lohne. Dann hat die Pandemie aber doch länger gedauert als gedacht. Es ist wichtig, dass sich so viele Menschen wie möglich impfen lassen können. Omikron hat uns das ganz besonders gezeigt: Es bringt uns wenig, wenn hier alle durchgeimpft sind, aber eine neue Variante kommt, die für Impfdurchbrüche sorgt. Das Argument, dass es für die Impfstoffhersteller dann nicht mehr wirtschaftlich ist, lassen wir an der Stelle dann nicht zählen.
Ihr sagt also, Habeck ist auf dem Holzweg.
Als Grüne Jugend vertreten wir die Position, dass es eine Patentfreigabe für die Impfstoffe braucht.
Beim Grünen-Parteitag werden am Samstag aller Voraussicht nach Ricarda Lang und Omid Nouripour zu den beiden neuen Parteichefs der Grünen gewählt. Wie findest du die beiden?
In Zeiten von sozialer Krise und Klimakrise braucht es eine starke linke Partei, die gemeinsam mit der Zivilgesellschaft und den Bewegungen für echte Veränderungen kämpft. Wir erwarten von der Parteispitze, dass sie nicht zu Regierungssprechern werden, sondern die Eigenständigkeit der Partei betonen.
Traust du das den beiden zu?
Ich habe schon das Gefühl, dass das sowohl im Interesse von Ricarda als auch in dem von Omid ist. Er hat in Interviews gesagt, dass er die Grünen zur führenden Kraft im Mitte-Links-Lager machen will. Daran können wir gern zusammen arbeiten. Es ist aber kein Geheimnis, dass wir als Grüne Jugend ein ganz besonderes Vertrauensverhältnis zu Ricarda Lang haben...
...die von 2017 bis 2019 Bundessprecherin eurer Organisation war.
Ja. Als Parteivorsitzende wird sie eine andere Rolle haben. Aber wir arbeiten unter dem Credo: verschiedene Rollen, gemeinsame Ziele. Deswegen freuen wir uns sehr über ihre Kandidatur.
Omid Nouripour steht euch weniger nah. Er gilt als Realo, steht also politisch deutlich weiter in der Mitte als ihr. Dabei hat er bei der Bundestagswahl als erster Grüner in Hessen ein Direktmandat gewonnen. Wurmt es euch als Grüne Jugend, mit dem Selbstverständnis als linker Jugendorganisation, dass Realos wie er, Winfried Kretschmann, Cem Özdemir oder Robert Habeck in der Bevölkerung die beliebteren Grünen sind?
Ich finde die Erzählung falsch, dass man gemäßigt sein muss, um die Menschen von grüner Politik zu überzeugen. Man muss vor allem Antworten auf die Probleme der Menschen vor Ort finden. Die sind enttäuscht von der Politik, wenn der Bus nicht mehr fährt, wenn das Krankenhaus vor Ort zumacht, die Löhne sinken und die Schulen immer schlechter ausgestattet sind. Das sind alles soziale Fragen. Wir glauben: Wenn wir diese Menschen erreichen wollen, müssen wir soziale Themen in den Mittelpunkt stellen.
Kurz vor dem Parteitag ist aber nicht grüne Sozialpolitik in den Schlagzeilen, sondern die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen die aktuelle Parteispitze, unter anderem gegen Ricarda Lang. Es gibt den Anfangsverdacht der Untreue wegen eines ausgezahlten Corona-Bonus. Wie bewertest du die Angelegenheit?
Es ist gut, dass der Bundesvorstand mit der Staatsanwaltschaft kooperiert, um das aufzuklären. In der Partei ist uns dieser Vorfall seit Monaten bekannt, das kommt nicht überraschend. Ich finde es gut, dass das Geld zurückgezahlt wurde.
Bei manchen entsteht der Eindruck, dass die Grünen an andere oft sehr hohe moralische Ansprüche stellen – sie bei sich selbst aber dann eher nicht gelten lassen.
Die Menschen verbinden mit uns Grünen häufig diese Moralansprüche. Fragen, ob es jetzt ethisch ist, Auto zu fahren oder Fleisch zu essen. Ich persönlich lehne Konsumkritik ab. Ich glaube, Politik ist nicht dafür da, um an die Moral einzelner Personen zu appellieren. Sondern dafür, Strukturen zu ändern.
Wie meinst du das konkret?
Dass wir zum Beispiel dafür sorgen müssen, dass so viele Menschen wie möglich überhaupt die Möglichkeiten haben, sich ökologisch ernähren zu können. Oder dass wir dafür sorgen, dass Menschen vom Auto auf Bus und Bahn umsteigen können, weil es ein verlässliches Nah- und Fernverkehrsangebot gibt. Das ist für mich Politik. Und das müssen wir möglichst vielen Menschen klarmachen.
Was erwartest Du in dieser Hinsicht vom Parteitag?
Es ist uns wichtig, auf dem Parteitag deutlich zu machen, dass wir Grünen über den Tag hinaus denken. Dass unser Parteiprogramm nicht dasselbe ist wie der Koalitionsvertrag. Wir wollen, dass unsere Partei auch in der Lage ist, öffentlich mit anderen Parteien Konflikte zu führen. Wir Grünen haben da eher viel zu gewinnen.
Warum denkst du das?
Weil wir häufig die Positionen vertreten, die gesellschaftliche Mehrheiten haben.Wenn man sich konsequente Maßnahmen zur Begrenzung von Mietpreisen oder die Bürgerversicherung anschaut, die auch in der jetzigen Regierung nicht gekommen sind. Oder die Aufnahme von Gas und Kernkraft in die EU-Taxonomie, zu der es jetzt Konflikte gibt. Wir erwarten von der neuen Parteispitze, dass sie nicht einfach alles auf sich sitzen lässt. Wir als Grüne Jugend haben viel zu kritisieren am Koalitionsvertrag.
Nämlich?
Weder beim Klimaschutz noch im sozialen Bereich reicht dieser Koalitionsvertrag aus. Wir sehen das jetzt wieder, da die Gaspreise steigen. Menschen sind verunsichert, haben Angst, dass sie wegen Klimaschutzmaßnahmen noch weniger Geld haben und sich ihr Leben verschlechtert – obwohl das in diesem Fall gar nicht stimmt. Von dem Parteitag muss ein Signal ausgehen, dass die Grünen eine starke soziale Partei sind und ihr diese Fragen wichtig sind, gerade jetzt.
Du hast vor der Bundestagswahl in einem Beitrag für das linke Magazin "Jacobin" ausdrücklich vor einer Ampel-Koalition gewarnt und dich für Rot-Rot-Grün ausgesprochen. Du meintest, man würde dann mit einem Koalitionsvertrag dastehen, "der kaum sozialer ausfällt als der eines schwarz grünen Bündnisses." Hat sich deine Prognose bewahrheitet?
Der soziale Bereich im Ampel-Koalitionsvertrag ist absolut unzureichend. Was dort steht, ist weit entfernt vom Nötigen, um die Menschen zu unterstützen und die soziale Spaltung zu bekämpfen. Und das, obwohl es klare Mehrheiten für mehr soziale Gerechtigkeit gibt und obwohl das so ein entscheidendes Thema war.
Was muss aus deiner Sicht in diesem Bereich am dringendsten passieren?
Wir brauchen eine bessere Finanzierungsgrundlage. Beim Pflegebonus hieß es jetzt: Wir haben nicht genug Geld, um das allen Pflegerinnen und Pflegern auszuzahlen. Das Problem ist aber nicht der Bonus – sondern, dass man sich entschieden hat, Wohlhabende nicht stärker an der Finanzierung des Gemeinwesens zu beteiligen.
Dir fehlt eine Vermögensteuer.
Klar gehört eine Vermögenssteuer zu einem gerechten Steuersystem dazu. Genauso wie eine größere Entlastung von niedrigen Einkommen und dafür ein höherer Spitzensteuersatz für große Einkommen. Beides gibt es nicht, weil die FDP das so wollte. Aber jetzt stehen wir eben vor Problemen. Jetzt einen Bonus für alle Pflegerinnen und Pfleger auszuzahlen, wäre eigentlich selbstverständlich. Und da darf es doch nicht das Argument geben: Sorry, kein Geld da! Es geht jetzt um 25 Euro Kinderzuschlag für Familien in Armut– und der SPD-Arbeitsminister sagt, es sollen nur 10 Euro sein. Es kann doch nicht sein, dass für diese Familien jetzt plötzlich kein Geld da ist! Die Mietpreisbremse wirkt nicht und es ist nichts geplant, das daran etwas ändern würde. Wenn man dafür sorgen würde, würde das nicht einmal den Staatshaushalt belasten.
Im Oktober hast du im Youtube-Format "Jung & Naiv" gesagt, es sei der Anspruch der Grünen Jugend, jetzt dafür zu sorgen, dass es ein guter Koalitionsvertrag wird. Habt ihr diesen Anspruch also nicht erfüllt?
Wir sind ja Teil der politischen Linken. Und ehrlich gesagt: Dieser Koalitionsvertrag ist ein sehr gutes Abbild dessen, was man gerade so hinbekommt als politische Linke in Deutschland – und was nicht.
Wie meinst Du das?
Die gesellschaftspolitischen Erfolge sind deswegen da, weil man lange dafür gekämpft und Mehrheiten mobilisiert hat. Was im Koalitionsvertrag zum Klimaschutz steht, reicht nicht. Aber das, was drin steht – etwa die vor dem Braunkohleabbau geretteten Dörfer oder der Kohleausstieg bis 2030 – wurde von der Klimabewegung erkämpft. Und im Sozialbereich muss man ehrlicherweise sagen: Wir sind nicht weit genug, eine starke soziale Bewegung von unten aufzubauen, die einen solchen Druck schaffen kann. Wir wollen als Grüne Jugend daran mitwirken, dass der nächste Konflikt um die sozialen Fragen gewonnen wird.
Von dieser Enttäuschung, die du beschreibst, hört man von vielen linken Grünen. Dieser Frust ist Anfang Dezember heftig ausgebrochen, als klar wurde, dass der Parteilinke Anton Hofreiter nicht Minister wird. Wie groß ist für dich dieser Schmerz?
Natürlich ist es schmerzhaft, an die vielen Menschen zu denken, die in Deutschland in Armut und finanzieller Unsicherheit leben und für die sich keine Besserung abzeichnet. Ich freue mich über die Erhöhung des Mindestlohns, aber es hätte viel mehr passieren müssen. Die Frage, die wir uns jetzt stellen, ist: Was können wir tun, um diesen Gegendruck aufzubauen? Um dafür zu sorgen, dass wir in vier Jahren eine linke Mehrheit haben? Was können wir tun, um den nächsten Konflikt in der Regierung zu gewinnen?
Die Konflikte in der Ampel-Koalition seht nicht nur ihr, sondern auch die Jungen Liberalen, die FDP-Jugendorganisation. Auf deren Bundeskongress hat die neue gewählte Bundeschefin Franziska Brandmann eine Ansage in eure Richtung gemacht. Auf den Spruch deines Co-Vorsitzenden Timon Dzenius "Jetzt wird vergesellschaftet" hat sie geantwortet "Jetzt wird vergemarktwirtschaftet". Was antwortest du ihr?
Wenn sich die Fahrt ins Dorf für das Busunternehmen nicht mehr lohnt, möchte ich trotzdem, dass er dorthin fährt. Weil auch die Menschen im Dorf ein Recht darauf haben, von A nach B zu kommen. Und klar: Es lohnt sich für Unternehmen, die Mieten höher zu setzen, gerade in den großen Städten. Aber dadurch kommen Menschen kaum noch über die Runden. Und um zu verhindern, dass unsere Grundbedürfnisse Profitzwängen unterliegen, gehören manche Bereiche in die öffentliche Hand. Der Markt regelt da gar nichts.
Wie passen eigentlich zwei so unterschiedliche Jugendorganisationen wie ihr und die Jungen Liberalen in eine Koalition?
Wie passen die Grünen und die FDP zusammen? Nur, weil es jetzt eine Regierung aus drei Parteien gibt, müssen deren Jugendorganisationen doch jetzt nicht ständig ein Jubellied auf die Koalition singen. Die Wahlergebnisse bei jungen Menschen haben uns ja gezeigt, dass junge Leute keine homogene Masse sind.
Du meinst die Tatsache, dass die Grünen und die FDP fast gleichauf bei den Jung- und Erstwählern waren.
Ja, genau. Aber deswegen werde ich nicht so tun, als hätte ich dieselben Standpunkte wie die Jungen Liberalen. Ja, bei manchen gesellschaftspolitischen Themen stimmt das. Aber wenn es um Soziales, um Arbeit, Klimapolitik, Wirtschaft und Finanzen geht, sind unsere Positionen eben sehr unterschiedlich.
Und du wünschst dir, diese Konflikte zwischen den Regierungsparteien offener auszutragen?
Natürlich. Es ist doch das Schlimmste, wenn bei Menschen der Eindruck entsteht, dass alle Politiker aller Parteien dasselbe wollen. Als linke Jugendorganisation wollen wir eben die Interessen von jungen Beschäftigten, von Schülerinnen und Schülern und von Studierenden, gerade aus Arbeiter- und Arbeiterinnenfamilien, vertreten. Wir wollen, dass unsere Mutterpartei auch die Interessen von Pflegerinnen und Pflegern, Industriearbeiterinnen und Industriearbeitern, Alleinerziehende und vielen mehr vertritt. Und die FDP vertritt eben andere Interessen.
Was muss passieren, damit du am Ende dieser Legislatur sagst: Die Ampel-Koalition war eine gute Regierung?
Die Ampel muss sowohl in den Klimafragen als auch in den sozialen Fragen nachlegen. Es ist ehrlich, wenn Robert Habeck sagt, dass wir einen sehr großen Rückstand bei den Klima-Maßnahmen haben. Es wird jetzt sehr schwierig, aber die Ampel hat keine andere Wahl, als diese Ziele zu erreichen. Man hat sich dazu entschieden, im Koalitionsvertrag auf bestimmte Maßnahmen zu verzichten: das Tempolimit zum Beispiel. Das hätte einfach mal zwei Millionen Tonnen CO2 eingespart. Klar muss man jetzt erklären, wie man diese zwei Millionen Tonnen stattdessen einspart.
Okay, das Tempolimit kannst du verschmerzen. Aber wann wäre für dich die Schmerzgrenze erreicht, bei der du deiner Partei sagen würdest: Lasst es gut sein, geht raus aus der Koalition?
Wir erwarten jetzt von der Ampel, dass sie ihrer Verantwortung gerecht wird, sowohl die Klimakrise zu bekämpfen, als auch gegen die soziale Spaltung vorzugehen. Es reicht nicht, Menschen, die Wohngeld beziehen, 135 Euro Heizkostenzuschlag zu zahlen. Das hilft vielleicht einem Zehntel aller Menschen, die von steigenden Heizkosten betroffen sind! Menschen, die in Hartz IV leben, brauchen Lösungen, um mit der gestiegenen Inflation klarzukommen. Die Ampel muss einen Rettungsschirm aufspannen – und zwar jetzt. Das steht nicht im Koalitionsvertrag, aber das ist mir egal. Und das ist den Menschen, denen es gerade schlecht geht, auch egal.
Sarah-Lee, neben der sozialen Frage ist der Kampf gegen Rassismus eines der Themen, die dich am stärksten beschäftigen. Es gab vor wenigen Tagen einen Vorfall im "Dschungelcamp": Die Teilnehmerin Janina Youseffian hat eine Konkurrentin rassistisch beleidigt – und musste die Show kurz darauf verlassen. Ist es aus deiner Sicht ein gutes Zeichen, wenn Menschen inzwischen so schnell die Konsequenz für rassistisches Verhalten tragen müssen?
Ehrlicherweise habe ich den Vorfall nicht mitbekommen. Aber es ist auf jeden Fall wichtig, dass der Umgang mit Rassismus auch außerhalb des linken, akademischen Milieus diskutiert wird. Und wir, die wir uns in diesem Milieu bewegen, müssen uns fragen, was wir dazu beitragen können. Ich würde zum Beispiel sagen, dass ewige Sprachdebatten nicht immer das Richtige sind. Wenn ich zu Hause bei meiner Familie bin, halte ich denen auch keinen Vortrag über Critical Whiteness.
Oder über das Gendern.
Wir müssen uns überlegen, wie wir diese Themen so ansprechen, dass mehr Menschen einen Zugang dazu finden. Es ist ja fast schon ironisch: Menschen, die in Deutschland migrantisiert sind, leben ja tendenziell selbst öfter in prekären Verhältnissen, haben die schlechteren Wohnungen, die schlechteren Jobs. Und sie sind selbst von diesen Debatten ausgeschlossen. Wir müssen Antirassismus sehr viel näher ran an die Menschen bringen – und sie mit Solidarität verbinden. Eine migrantische Reinigungskraft und eine nicht-migrantische Reinigungskraft haben ja ganz viel gemein.
Jetzt klingst du ein bisschen wie Sahra Wagenknecht, die hochumstrittene ehemalige Linken-Fraktionschefin.
Das ist lustig. Aber das Ding ist: Ihre Positionen in Fragen von Corona und Migration teile ich überhaupt nicht. Einige Probleme der politischen Linken, die sie adressiert, sehe ich aber auch.
Aber?
Oft überspannt Sahra Wagenknecht den Bogen dermaßen oder geht so unsolidarisch mit Debatten um, dass Menschen denken: Sahra Wagenknecht ist schlimm, deswegen müssen wir das genaue Gegenteil machen. Aber es ist auch mein persönlicher Anspruch, Antirassismus und soziale Fragen gemeinsam zu denken.
Würdest du dich mit Sahra Wagenknecht auf ein Podium setzen?
Ja, klar.