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USA-Experte zum Sturm auf das Kapitol: "Sicherlich keine spontane Aktion"

dpatopbilder - 06.01.2021, USA, Washington: Unterst
Anhänger des abgewählten US-Präsidenten Trump verschafften sich am Mittwochnachmittag (Ortszeit) Zugang zum Parlamentsgebäude.Bild: AP / Manuel Balce Ceneta
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USA-Experte zum Sturm auf das Kapitol: "Sicherlich keine spontane Aktion"

07.01.2021, 10:5908.01.2021, 17:23
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Es waren Szenen wie aus einem Bürgerkrieg. Ein wütender Mob versammelt sich am Mittwochabend vor dem Kapitol, dem Sitz der Parlamentskammern, in Washington D.C. Es kommt zu Ausschreitungen, Rauch steigt auf. Die Polizei setzt Knüppel und Tränengas ein. Dann dringen Trump-Anhänger in das Gebäude ein, zertrümmern Fensterscheiben und spazieren triumphierend durch die Gänge des Parlamentsgebäudes. Ihr Ziel: die offizielle Ausrufung des neuen, rechtmäßig gewählten Präsidenten Joe Biden zu stören.

Vier Menschen sterben – 52 Festnahmen

Dass ein abgewählter Präsident selbst Unruhen anzettelt, ist in der jüngeren Geschichte der USA ein Novum. Die Szenen zeigen, wie gespalten und radikalisiert das Land ist. Am Ende sind vier Menschen tot. Eine Frau, die von der Polizei im Gebäude angeschossen wurde, starb später im Krankenhaus. Drei weitere Personen starben im Umfeld des Kapitols an "unterschiedlichen medizinischen Notfällen", wie die Polizei mitteilte. Mindestens 14 Polizisten wurden verletzt – 52 Demonstranten festgenommen.

USA-Experte Jäger:

"Trump tat so, als würde er selbst an der Spitze mitmarschieren."

Aber wie konnte es überhaupt so weit kommen? Warum wurde das Kapitol nicht besser geschützt? Und welche Schuld trägt Donald Trump an der Eskalation? Watson hat über die Ereignisse mit dem USA-Experten Thomas Jäger gesprochen, Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln.

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Trump-Anhänger stürmten am Mittwochabend das Kapitol in Washington D.C.Bild: www.imago-images.de / Miguel Juarez Lugo

Vor den Ausschreitungen habe Donald Trump seine Anhänger bei einer Rede zum Marsch auf das Kapitol aufgerufen, erklärt Jäger. Er ist sich sicher: "Das war sicherlich keine spontane Aktion, denn sie sollte die republikanischen Abgeordneten und Senatoren, die bereit waren das 'gefälschte Wahlergebnis' zu akzeptieren, unter Druck setzen." Natürlich habe es keine Wahlfälschung gegeben, betont Jäger, "aber das dringt in die Parallelwelt der Trumpanhänger nicht mehr ein. Deshalb waren sie enorm motiviert."

Trump habe zudem in den letzten vier Jahren immer behauptet, an der Spitze einer Bewegung zu stehen. Gestern habe er dann gezeigt, dass er diese Bewegung auf die Straße bringen kann. "Als er zum Marsch auf das Kapitol aufrief, tat er zudem noch so, als würde er selbst an der Spitze mitmarschieren." Das habe er zwar unterlassen, "doch den Zorn seiner Anhänger, die geballte Wut auf die aus ihrer Sicht korrupten Verhältnisse, hatte er zu diesem Zeitpunkt schon heftig angefacht", analysiert Jäger.

Jäger: Ausschreitungen waren "Anschlag auf das Parlament"

Überrascht zeigte sich Jäger allerdings von der Tatsache, dass Sicherheitskräfte das Kapitol nicht besser geschützt haben, "obwohl mit gewalttätigen Ausschreitungen an diesem Tag gerechnet wurde." Jäger schlussfolgert: "Aus diesem Versäumnis ergab sich die Gelegenheit, einen Anschlag auf das Parlament zu führen, das in den Augen von Trumps Anhängern soeben dabei war, eine gefälschte Wahl zu zertifizieren."

Außerdem betont Jäger: "Der Sturm auf das Kapitol ist einerseits ein Anschlag auf die demokratischen Verfahren, eine Schändung der demokratischen Symbole, hat aber auch einen tragischen Zug deshalb, weil es nie eine Aussicht auf Erfolg gab." Zu keinem Zeitpunkt sei die amerikanische Demokratie deswegen gefährdet gewesen, aber sie nehme wegen der tiefen gesellschaftlichen Spaltung schon länger Schaden.

US-Kongress bestätigt Bidens Wahlsieg – Trump könnte schon vorzeitig abgesetzt werden

Mittlerweile hat der US-Kongress den Sieg des Demokraten Joe Biden bei der Präsidentschaftswahl vom 3. November formell bestätigt. Biden sei mit den Stimmen von 306 Wahlleuten zum Nachfolger von Donald Trump bestimmt worden, sagte US-Vizepräsident Mike Pence am Donnerstagmorgen vor den Mitgliedern des Senats und des Repräsentantenhauses.

Trump ist regulär noch bis zum 20. Januar im Amt. Doch nach den Ausschreitungen wird nun über mögliche Konsequenzen diskutiert. Hochrangige Mitarbeiter der scheidenden US-Regierung haben laut übereinstimmenden Medienberichten über eine mögliche Absetzung von Präsident Donald Trump durch sein eigenes Kabinett beraten.

Als Voraussetzung wird in dem "25th Amendment" genannt, dass der Präsident "unfähig" ist, "die Pflichten und Vollmachten seines Amtes auszuüben". CNN zitierte anonyme republikanische Führungspolitiker mit den Worten, Trump sei "außer Kontrolle". Wie weit fortgeschritten die Gespräche der Regierungsmitarbeiter sind und ob das Kabinett selbst sich bereits damit befasst hat, ist noch unklar.

Unterdessen machen Spitzenpolitiker auf der ganzen Welt Trump für die Ausschreitungen verantwortlich. Ex-Präsident Barack Obama beschrieb die Eskalation als "Moment großer Ehrlosigkeit" und "Schande für unsere Nation". Ein amtierender Präsident, der grundlos Lügen über das Ergebnis einer rechtmäßigen Wahl verbreite, habe die Gewalt angezettelt, erklärte Obama.

Deutsche Politiker geben Trump Mitschuld

Auch deutsche Politiker äußern sich kritisch zur Rolle Trumps bei den Protesten in Washington D.C. Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte: "Donald Trump hat die Verantwortung für das, was dort geschehen ist. Das kann er nicht wegreden".

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Kanzlerin Angela Merkel haben Trump ebenfalls mitverantwortlich für die Gewalt gemacht. Steinmeier warf Trump am Donnerstag vor, den "bewaffneten Mob" aufgestachelt zu haben, der das Kapitol gestürmt hat. Merkel sagte, die Bilder aus Washington hätten sie "wütend und auch traurig gemacht". Trump habe seine Niederlage bei der Präsidentenwahl am 3. November bedauerlicherweise nicht eingestanden. "Das hat natürlich die Atmosphäre bereitet, in der dann auch solche Ereignisse, solche gewalttätigen Ereignisse möglich sind."

USA: Wie funktioniert der Kongress?

Im November wählen die USA nicht nur alle vier Jahre eine:n neue:n Präsident:in, sondern auch einen Teil des Kongresses. Oft steht dieser in den Schlagzeilen, weil er beispielsweise bestimmte Gesetze blockiert. Auch reisen immer wieder ausländische Staatsoberhäupter an, um vor dem US-Kongress zu sprechen.

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