Joko und Klaas sind nicht gerade für ihre Ernsthaftigkeit bekannt. Doch wenn die beiden Comedians tatsächlich mal ernst vor der Kamera werden – dann aus gutem Grund. So auch am Mittwochabend, als sie ihre erspielten 15 Minuten Sendezeit dazu nutzten, um auf die Missstände in Pflegeberufen aufmerksam zu machen. Aus der geplanten Viertelstunde wurden sieben Stunden, in denen sie ungeschönt den Arbeitstag einer Pflegerin der Uniklinik Münster zeigten.
Unter dem Hashtag "#nichtselbstverständlich" ging die Doku viral. Sogar der Konkurrent RTL zieht den Hut vor Prosieben, der in diesem Moment TV-Geschichte schrieb. Schnell zeigten sich zahlreiche Zuschauer und auch Politiker begeistert. Joko und Klaas haben den Nerv der Zeit getroffen und mit ihrer Doku für so viel Furore gesorgt, dass selbst Jens Spahn nicht drumherum kam, ein paar Worte dazu auf seiner wöchentlichen Pressekonferenz zu verlieren: "Es ist gut, dass die Pflege in der Primetime läuft. Wichtig sind eine bessere Bezahlung & bessere Arbeitsbedingungen auf Dauer. Wir werden mit den Pflegeverbänden weiter darüber beraten, wie wir die Arbeitsbedingungen verbessern können", erklärte der Bundesgesundheitsminister.
Doch gerade Politiker ernteten nicht nur Zuspruch für ihre Tweets und Reaktionen – sondern auch zahlreiche Kritik. Sind doch gerade sie in der Verantwortung, an den gezeigten Missständen etwas zu ändern. Deswegen wollte watson wissen, was die Prosieben-Doku bei der Politik ausgelöst hat und welche Forderungen sie aus den gezeigten Szenen für sich und ihre Arbeit ableiten können.
"Bisher kommen die diversen Initiativen der Regierung schlicht nicht an, auch deshalb, weil sie so wenig mit der Praxis abgestimmt sind."
Nicole Westig, Bundestagsabgeordnete der FDP, erklärt gegenüber watson: "Noch nie ist mit so einer Konsequenz und Deutlichkeit der Alltag der Pflege in unsere Gesellschaft transportiert worden. Ebenso konsequent und deutlich muss die Regierung nun Taten folgen lassen."
Weiter kritisiert sie Gesundheitsminister Jens Spahn für seine Äußerung am Donnerstagmorgen: "Wenn die eindrucksvolle ProSieben-Sendung von Joko und Klaas zum 'Pflegenotstand' lediglich weitere Ankündigungen des Gesundheitsministers zur Folge hat, ist der Pflege ähnlich wenig geholfen wie mit dem halbherzigen Corona-Bonus."
Weiter kritisiert Westig: "Die von Spahn vorgelegte Pflegereform etwa enthält einige gute Ansätze zur Verbesserung der Situation, kommt aber mangels Einigung innerhalb der GroKo nicht zum Tragen. Dabei geht es durch die zunehmende Dramatik – allein durch die Pandemie sind 9000 Pflegekräfte aus ihrem Beruf ausgestiegen – auch ums Tempo. Bisher kommen die diversen Initiativen der Regierung schlicht nicht an, auch deshalb, weil sie so wenig mit der Praxis abgestimmt sind."
FDP fordert Bürokratieabbau und Digitalisierung
Westig fordert "konsequenten Bürokratieabbau und Digitalisierung". Dies könne Pflegenden schnell dringend notwendige Entlastung verschaffen, dies "wurde jedoch bislang von der Regierung verschlafen", erklärt die FDP-Abgeordnete weiter. "Dazu muss unbürokratischer Zugang zu Hardware, Software und Schulungen, sowie deren Refinanzierung ermöglicht werden. Die Mittel aus dem Digital-Pakt Schule kommen deshalb eben auch bei den Pflegeschulen kaum an."
Es brauche weiterhin eine moderne Pflegeausbildung, die technologisch anspruchsvoll sei und Auszubildende als Lernende wertschätze, anstatt sie "wie Hilfskräfte einzusetzen", sowie zukunftsweisende Arbeitsmodelle, die familienfreundlich seien und gleichzeitig Karrierechancen bieten würden. "Dann gewinnt dieser vielseitige und anspruchsvolle Beruf auch mehr Attraktivität für diejenigen, die ihn ausüben und die, die ihn künftig erlernen wollen", so Westig gegenüber watson.
Linke sieht CDU in der Verantwortung
Auch die Linke-Bundestagsabgeordnete Pia Zimmermann erklärt gegenüber watson: "Seit mehr als fünfzehn Jahren verschlimmern sich in der Pflege Arbeitsbelastung und Personalmangel. Seit mehr als fünfzehn Jahren sind die beiden Lösungen dafür klar: Erstens deutliche und dauerhafte Erhöhung der Gehälter, um mehr Pflegekräfte zu gewinnen. Hierfür werden allgemeinverbindliche Tarifverträge gebraucht. Das hat die Caritas gerade hinterrücks verhindert. Mehr und besser bezahltes Pflegepersonal muss zweitens auch solide finanziert werden. Werden die bislang privat Versicherten in ein solidarisches System eingebunden, in dem alle Einkunftsarten bei den Beiträgen berücksichtigt werden, auch Kapital-, Zins- und Mieteinnahmen, ist das ohne weiteres finanzierbar."
"Mehr und besser bezahltes Pflegepersonal muss auch solide finanziert werden."
Es bleibe zu hoffen, dass "der öffentliche Druck die CDU endlich zum Einlenken zwingt", so Zimmermann weiter. "Wir brauchen eine Revolution der Pflegefinanzierung und eine Solidarische Pflegevollversicherung. Außerdem muss die Caritas ihre Ablehnung eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags zurücknehmen. Dafür war die Sendung von Joko und Klaas ein guter Beitrag."
Pflegenotstand nicht erst in Corona-Pandemie entstanden
"Mit dem #nichtselbstverstaendlich und der gestrigen Sendung zum Pflegenotstand, leisten Joko und Klaas einen wichtigen Beitrag, den Alltag von Pflegekräften in unserer Gesellschaft im wörtlichen Sinne sichtbarer zu machen", erklärt Kordula Schulz-Asche, Sprecherin für Pflegepolitik der grünen Bundestagsfraktion. Das sei unheimlich wichtig, denn die Situation in der Pflege spitze sich immer weiter zu und sei für das Personal vor Ort kaum noch zu bewältigen."Dabei steuern wir nicht erst seit der Corona-Pandemie auf einen Pflegefachkräftemangel zu", so die Grünen-Abgeordnete weiter. Das Problem ist seit Jahren bekannt und wurde viel zu lange von der Bundesregierung ignoriert. Auch heute noch greifen Initiativen viel zu kurz und sind nicht ausreichend, um tatsächlich nachhaltig etwas zu verändern.
"Pflege betrifft uns alle früher oder später."
"Dabei führt uns die Pandemie einmal mehr schonungslos vor Augen, was wir jetzt ganz dringend in der Pflege brauchen: eine Personalbemessung, die sich am Bedarf der Patientinnen und Patienten orientiert, eine attraktive Ausbildung mit Aufstiegsmöglichkeiten, Mitbestimmung in den wichtigen Entscheidungsgremien des Gesundheitswesens sowie eine Vergütung, die die unglaublich hohe Verantwortung abbildet, die Pflegekräfte jeden Tag für das Wohlbefinden und die gesundheitliche Versorgung von Menschen tragen", so Schulz-Asche. "Pflege betrifft uns alle früher oder später. Daher müssen wir sie jetzt stärken und ein nachhaltiges Bewusstsein in den Köpfen der Menschen dafür schaffen, was Pflegekräfte jeden Tag leisten – und das hat uns Meike Ista letzte Nacht eindrücklich gezeigt!"
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