SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach.Bild: www.imago-images.de / Florian Gaertner/photothek.de
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"Ich möchte für niemanden ein Vorbild sein": Karl Lauterbach spricht über seinen Umgang mit Cybermobbing
Der SPD-Gesundheitspolitiker ist im Jahr der Corona-Krise zur Zielscheibe für Hass und Gewaltandrohungen geworden. Im watson-Interview spricht Lauterbach darüber, wie er das aushält – und was er jungen Menschen rät, die selbst bedroht werden.
Karl Lauterbach ist seit einem Jahr der häufigste Gast in politischen Talkshows. Er teilt dort und auf seinem Twitter-Account und in Interviews wissenschaftliche Erkenntnisse über das Coronavirus. Lauterbach mahnt und warnt viel: vor zu schnelleren Lockerungen, vor der großen Ansteckungsgefahr durch die Virus-Variante B117. Für manche ist er der ideale Kandidat dafür, an Stelle Jens Spahns Gesundheitsminister zu werden. Andere lassen deshalb an Lauterbach ihren Hass aus: in Mails und Briefen mit Gewaltfantasien, in Morddrohungen per Social-Media-Kommentar.
watson hat mit Karl Lauterbach darüber gesprochen, was Cybermobbing mit ihm macht. Darüber, woher der meiste Hass aus seiner Sicht kommt, wie der Staat darauf reagieren sollte – und was er denjenigen rät, die selbst davon betroffen sind.
watson: Herr Lauterbach, seit Beginn der Pandemie und der Lockdowns haben Sie immer wieder berichtet, dass sie regelmäßig Gewaltandrohungen bis zu Morddrohungen bekommen und auch schon persönlich auf einer Zugfahrt angegriffen wurden. Wie schlimm ist es momentan?
Karl Lauterbach: Zunächst einmal möchte ich sagen: Ich bekomme momentan sehr viel Zuspruch von den Bürgern. Die meisten Bürger sind vernünftig und liebenswürdig. Es ist wirklich beeindruckend, wie viele gewissenhafte, seriöse und uneigennützige Menschen es gibt, denen es nicht nur um den eigenen Schutz geht.
Wird das zu wenig gewürdigt?
Es darf nicht der falsche Eindruck entstehen, dass im Netz nur gemobbt wird. Ich bin gerne online, ich bin froh, dass es eine so große Gemeinde gibt, die Anteil an meiner Arbeit und an der Bundesregierung nimmt.
Aber es gibt da eben auch die andere, die dunkle Seite.
Ja. Hier beobachte ich eine Radikalisierung im Netz, die über das hinausgeht, was wir zu früheren Zeiten wahrgenommen haben. Aus meiner Sicht ist das eine nicht ganz kleine Gruppe von Menschen, die beseelt sind von Niedertracht, Unterstellungen, Hass und Gewaltfantasien. Denen fehlt jede Hemmung.
Wie geht es Ihnen damit?
Es ist bestürzend, zu wissen, dass es diese Menschen gibt, denen es an jeder positiven Charaktereigenschaft und Würde fehlt. Die mich und andere Politiker und Wissenschaftler bedrohen, beleidigen und zu Gewalt aufrufen.
"Man darf diese Kloaken des Hasses im Netz gar nicht öffnen. Es ist furchtbar, was sich da bewegt."
Wie gehen Sie persönlich mit den Botschaften dieser Menschen um?
Wenn man liest, was die schreiben… Man muss wirklich die Disziplin haben, das nicht zu lesen, sonst zieht es einen sehr stark runter. Es hilft nur, das komplett zu blocken. Man darf diese Kloaken des Hasses im Netz gar nicht öffnen. Es ist furchtbar, was sich da bewegt.
Ist die Bereitschaft zur verbalen und körperlichen Gewalt heute besonders hoch – oder wird sie über soziale Medien und viel leichtere Erreichbarkeit von Politikern nur viel stärker sichtbar als früher?
Es ist auf jeden Fall viel mehr geworden. Ich bin sehr netzaffin und habe mich sehr früh mit sozialen Netzwerken beschäftigt. Ich bin als Wissenschaftler quasi mit dem Netz groß geworden. Was wir jetzt erleben, das hatten wir früher nicht. Auch die zunehmende rechtspopulistische Enthemmung trägt dazu bei: Wir haben jetzt in allen europäischen Ländern rechtspopulistische Parteien. In Deutschland spielt die AfD da eine bedeutende Rolle. Der Hass ist eben im Wesentlichen auf diese Gruppe konzentriert.
Die AfD agiert aus Ihrer Sicht als Verstärker?
Nicht nur das. AfD-Vertreter ermutigen andere Leute, sich so zu äußern. Sie sind aber auch selbst dabei. Der meiste Hass, der mich ins Fadenkreuz schiebt, kommt von Hetzern von rechts. Bei mir sind das mindestens 90 Prozent.
Wie haben diese Drohungen Ihren Alltag verändert?
Meine Arbeit verändert es nicht. Ich arbeite hart und zielstrebig – und versuche, meine Laune nicht allzu stark eintrüben zu lassen. Ich habe bestimmte Sicherheitsvorkehrungen getroffen, über die spreche ich aber nie.
Weil es Ihre Sicherheit gefährden könnte?
Dazu möchte ich einfach gar nichts sagen.
Bei Ihnen ging die Bedrohung schon so weit, dass sie im Februar einen Einsatz als freiwilliger Impfhelfer in ihrer Heimat Leverkusen abgesagt haben. Wie schmerzhaft ist es für Sie, vor den Menschen, die Sie bedrohen, einknicken zu müssen?
Ich wäre ja ausgeladen worden, wenn ich nicht selbst auf meinen Einsatz als Impfarzt verzichtet hätte. Das war schon schmerzhaft.
"Der Staat muss die bedrohten Menschen schützen, damit sie ihren ganz normalen Aktivitäten nachgehen können."
Welche Lehre haben Sie daraus gezogen?
Als Staat können wir es uns nicht leisten, vor diesen Leuten zurückzuweichen. Wir Politiker dürfen niemals unsere Äußerungen davon abhängig machen, wie das den rechten Hetzern gefällt. Ich will mir gar nicht angewöhnen, nachzudenken, ob ich etwas sagen soll – weil das dann zu Druck aus der rechten Szene führen kann.
Sondern?
Wir dürfen mit der rechten Szene nicht umgehen wie mit einem bissigen Hund, den man nicht kontrollieren kann. Der Staat muss die bedrohten Menschen schützen, damit sie ihren ganz normalen Aktivitäten nachgehen können. Deshalb fand ich meine Ausladung in Leverkusen problematisch.
Die Psychologin Elisabeth Raffauf hat im watson-Interview über ihren Umgang mit Cyber-Mobbing gesagt: "Ich finde es richtig, wie Herr Lauterbach reagiert: Er wendet sich an die Öffentlichkeit, zieht den Kopf nicht ein." Fühlen Sie sich als Vorbild?
Nein. Ich mache das intuitiv, alles andere hielte ich persönlich für falsch. Aber ich möchte da für niemanden ein Vorbild sein. Ich verstehe jeden, der anders vorgeht.
Was raten Sie einem jungen Menschen, der zum ersten Mal eine Drohung erhält?
Auf jeden Fall die Sicherheitsbehörden informieren. Anzeige erstatten, wenn es justiziable Inhalte sind. Und sich auf keinen Fall einschüchtern lassen.
Denken Sie manchmal, angesichts des Hasses, der ihnen widerfährt: Ich höre auf mit der Politik?
Nein. Das habe ich noch nie gedacht.
Was gibt Ihnen die Kraft, das nicht zu denken?
Ich bin kein Psychologe – und kann mich erst recht nicht selbst psychologisch untersuchen. Ich weiß nicht, was mir wofür Kraft gibt. Ich arbeite einfach aus Überzeugung weiter und versuche, meinen kleinen Beitrag zu leisten, so gut ich das kann. Für mich ist nur das Gefühl wichtig, das tun zu können.
"Ich provoziere niemanden."
Was müsste politisch getan werden, um Cybermobbing besser zu bekämpfen?
Das Netz müsste besser überwacht werden – damit diejenigen, die im Netz Beleidigungen und Unterstellungen gegen andere verbreiten, belangt werden können. Und zwar mit Strafen, die wirklich gehaltvoll sind. Das halte ich für ganz wichtig, um die politische Kultur in Deutschland zu erhalten.
Warum ist das nicht längst geschehen? Ihre Partei, die SPD, stellt ja schon seit 2013 durchgängig den Justizminister oder die Justizministerin.
Die Bekämpfung von Cybermobbing ist ein wichtiges Anliegen von Justizministerin Christine Lambrecht. Ihre Initiativen dazu sind mir gut bekannt, ich bin damit sehr zufrieden.
Haben Sie eine Botschaft an diejenigen, die meinen, Sie einschüchtern zu können?
Nein. Ich provoziere niemanden. Ich gehe auch nicht zu rechten Demonstrationen. Ich zeige an, was anzuzeigen ist und ignoriere, was ich ignorieren kann. Ich mache meine Arbeit. Selbst für eine Botschaft wäre mir meine Zeit zu wertvoll.
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