"Werden nicht über dieses Stöckchen springen": Was Ministerpräsidenten, Kanzlerin und Bundesminister zum Vorschlag einer früheren Impfung von Politikern sagen
Die Impfstoffe sind der Silberstreif am Horizont. Regierungsvertreter aus Bund und Ländern sagen es seit Wochen: Je mehr Menschen gegen Covid-19 geimpft werden, desto näher rückt ein Ende von Lockdown und Kontaktbeschränkungen, von Abstandsgebot und Reisehindernissen. Zwei Probleme gilt es zu lösen, bis es so weit ist: Zum einen muss die Menge an verfügbaren Impfstoffen deutlich wachsen. Zum anderen müssen möglichst viele der Menschen überzeugt werden, die den Impfstoffen skeptisch gegenüberstehen.
Vor allem den Stoff des britisch-schwedischen Konzerns AstraZeneca lehnen offenbar einige Menschen ab: Aus mehreren Regionen Deutschlands wird gemeldet, dass hunderttausende Dosen des Vakzins nicht verimpft werden. Der FDP-Bundesvorsitzende Michael Theurer sagte deshalb Ende vergangener Woche der "Bild"-Zeitung, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sollten sich öffentlichkeitswirksam impfen lassen, um das Vertrauen der Bevölkerung zu stärken.
Theurer spricht damit eine Streitfrage an: Sollen prominente Regierungsvertreter sich jetzt schon öffentlich impfen lassen, um die Bürgerinnen und Bürger zu überzeugen?
In anderen Ländern haben Staats- und Regierungschefs das getan: der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis etwa, der bei der Impfung vor laufenden Kameras sein Hemd halb auszog. Auch US-Präsident Joe Biden ließ sich öffentlich impfen, ebenso der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu.
In Deutschland hingegen gibt es für Politiker keine legale Vorzugsbehandlung – auch nicht für die Menschen an der Spitze des Staates. Im Gegenteil: Für Schlagzeilen und Empörung sorgten Mitte Februar Lokalpolitiker wie der parteilose Hallenser Oberbürgermeister Bernd Wiegand, der vorzeitig geimpft wurde.
Wie stehen Vertreter der Bundesregierung und der Landesregierungen zu dem Vorschlag, sich vorzeitig öffentlich impfen zu lassen? Watson hat beim Bundeskanzleramt, beim Bundespräsidialamt, bei mehreren Bundesministerien und allen 16 Landesregierungen nachgefragt. Das sind die Antworten, die wir bekommen haben:
Bundeskanzlerin Merkel: "Wenn ich an der Reihe bin"
Ein Vertreter des Bundeskanzleramts erklärt gegenüber watson:
Bundespräsident Steinmeier: "Fest entschlossen, sich impfen zu lassen"
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will sich nach Angaben des Bundespräsidialamts impfen lassen. Ob das öffentlich geschehen soll, lässt das Bundespräsidialamt offen. Eine Sprecherin teilt gegenüber watson mit:
Scholz: "Werde mich öffentlichkeitswirksam impfen lassen"
Auch Finanzminister, Vizekanzler und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz will sich erst impfen lassen, wenn er an der Reihe ist. Gegenüber watson kündigt er aber schon an, das auch öffentlich zu tun. Scholz wörtlich:
Giffey: "Lassen uns impfen, wenn wir dran sind"
Eine Sprecherin von Familienministerin Franziska Giffey (SPD) verweist auf eine Aussage der Ministerin in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa. Darin hatte Giffey gesagt:
Heil: "Reihenfolge wird vom Gesundheitsminister festgelegt"
Aus dem Arbeitsministerium, das Hubertus Heil (SPD) leitet, ist die Botschaft ähnlich. Eine Sprecherin teilt watson mit:
Von den Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer haben neun auf die Anfrage von watson geantwortet.
Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz): "Sehr gerne öffentlichkeitswirksam"
Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), spricht davon, sich wie ihr Parteifreund Olaf Scholz öffentlich impfen zu lassen – allerdings erst, wenn sie an der Reihe sei. Wörtlich erklärt sie gegenüber watson:
Volker Bouffier (Hessen): "Nach jetzigem Stand nicht AstraZeneca"
Der hessische Ministerpräsident betont sein Vertrauen in die zugelassenen Impfstoffe. Da er selbst 69 Jahre alt ist und die Ständige Impfkommission das Vakzin von AstraZeneca bisher nur für Menschen bis 64 empfiehlt, teilt ein Sprecher der Staatskanzlei mit:
Tobias Hans (Saarland): "Transparenz herstellen"
Aus der Staatskanzlei des Saarlands heißt es:
Bodo Ramelow (Thüringen): "Bewusste Entscheidung, sich nicht vorzudrängeln"
Bodo Ramelow (Die Linke) ist es wichtig, zu betonen, dass er sich beim Impfen nicht vordrängelt. Ein Sprecher erklärt gegenüber watson:
Michael Kretschmer (Sachsen): "Wenn auch die Verkäuferinnen geimpft werden"
Auch Michael Kretschmer (CDU), der Ministerpräsident von Sachsen, betont, dass er keine Sonderbehandlung will. Sein Sprecher teilt mit:
Reiner Haseloff (Sachsen-Anhalt): "Reihenfolge gilt auch für Ministerpräsidenten"
Ähnliche Töne kommen von Reiner Haseloff (CDU), der die Landesregierung von Sachsen-Anhalt leitet. Aus seiner Staatskanzlei heißt es:
Stephan Weil (Niedersachsen): "Werden nicht über dieses Stöckchen der FDP springen"
In der Staatskanzlei von Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen, findet man die Forderung von FDP-Vize Theurer, Bundespräsident und Kanzlerin sollten sich früher impfen lassen, daneben. Eine Sprecherin sagt gegenüber watson:
Andreas Bovenschulte (Bremen): "Thema stellt sich nicht ansatzweise"
Andreas Bovenschulte (SPD), Bürgermeister und damit Chef der Landesregierung im kleinsten Bundesland Bremen, hält überhaupt nichts von einer frühzeitigen öffentlichkeitswirksamen Impfung von Politikern. Ein Sprecher teilt mit:
Peter Tschentscher (Hamburg): "Sobald er an der Reihe ist"
Auch Peter Tschentscher (SPD), Erster Bürgermeister von Hamburg, will sich impfen lassen, sobald er dran ist. Aus seiner Pressestelle heißt es:
Daniel Günther (Schleswig-Holstein): "Schließe nicht aus, das Regierung das kommunizieren wird"
Im nördlichsten Bundesland Schleswig-Holstein betont Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) ebenfalls, dass er keine Extrawurst möchte. Der Regierungssprecher teilt watson mit:
Die Pressestellen der Ministerpräsidenten von Bayern, Baden-Württemberg, Brandenburg und Berlin haben auf die Anfrage von watson nicht geantwortet. Die Regierungschefs von Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern wollten kein Statement zu vorzeitigen öffentlichen Impfungen abgeben.
Fazit: Keiner will sich vordrängeln, manche wollen sich zeigen
Weder die von watson befragten Vertreter von Bundes- oder Landesregierungen noch der Bundespräsident sind nach eigenen Angaben dafür, sich früher impfen zu lassen, als das von der derzeit gültigen Impfverordnung vorgesehen ist.
Allerdings wollen zwei prominente SPD-Politiker sich öffentlichkeitswirksam impfen lassen: Bundesfinanzminister Olaf Scholz und die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer.