Schon früh hat Clara Bünger erlebt, dass sie auf Äußerlichkeiten reduziert wurde. "Ich habe blonde Haare", erzählt sie am Telefon. Sie sagt es so, als sei es ganz natürlich, dass man mit dieser Haarfarbe so etwas erleben müsse. "Ja, klar – da werden dann eben Vergleiche gezogen." Vorurteile gegen blonde Frauen seien noch immer aktuell.
Bünger, Platz 5 auf der Landesliste der Linken in Sachsen, beschäftigt sich viel mit dem Thema Sexismus. "Mir ist wichtig, dass man das immer als wichtiges Thema setzt, man solche Äußerungen aber gleichzeitig nicht persönlich nimmt", sagt die 35-Jährige im Gespräch mit watson.
"Weil ich für die Linken kandidiere, ist das natürlich schon Angriffsfläche genug", sagt sie. Auch, wenn sie nicht so auf dem Radar stehe, wie etwa die Grünen-Chefin Annalena Baebrock oder die Grünen-Vize Ricarda Lang: "Wenn man die Aufnahme von Schutzsuchenden fordert, hat man immer gleich rechte Accounts in den Kommentaren auf sozialen Medien." Frauenhass sei auf der rechten Seite weit verbreitet. "Es ist also klar, dass man als linke Frau vermehrt von Rechts attackiert wird."
Bünger meint, Menschen nutzten Sexismus als Mittel, um ihre politische Unzufriedenheit auszudrücken. Vor allem natürlich auf Social Media. Meist komme der Hass von Troll-Accounts. Sie sagt:
Support bekomme Bünger vor allem von ihrem Team. Regeln, wie sie mit solchen Kommentaren umgeht, habe sie für sich selbst etabliert. Ein Berater für soziale Medien habe ihr dabei geholfen. "Und der sagt: 'Gar nicht lesen. Punkt.'"
Es sei aber nicht nur das. "Ich habe einen sehr hohen Bildungsgrad. Ich bin Volljuristin. Und trotzdem versucht man, mich kleinzumachen, zu diskreditieren." Klar habe es schon viel Veränderungen gegeben. Auch, weil Frauen heutzutage häufiger in der Politik vertreten seien als früher.
"Und wenn Menschen mit ihrem Sexismus keinen Anklang mehr finden, lohnt es sich für sie nicht mehr." Es müsse aber trotzdem noch viel getan werden. "Das Parlament muss die Gesellschaft widerspiegeln. Das tut es momentan nicht." Dabei gehe es um Parität, also eine gleiche Verteilung zwischen den Geschlechtern. Doch auch Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit Behinderung müssten im Bundestag Platz finden.
Besserung werde kommen, sagt Bünger. Auch, wenn das Problem nie ganz verschwinden werde. "Gerade bei jungen Menschen ist es mehr zum Standard geworden, darauf zu achten, keine sexistischen Kommentare abzugeben", erklärt sie. Zu ihrer Jugendzeit sei das noch ganz anders gewesen.
"Ich bin in der Generation 'Bravo' aufgewachsen." Das Jugendmagazin gibt es zwar heute noch immer. Doch in den 1990ern, den frühen 2000ern hatte es aber noch eine sehr viel größere Reichweite und: Die "Bravo" sei noch ein ganz anderes Magazin gewesen. "Damals war darin die Rollenverteilung ganz klar zugeordnet: Frauen haben gut auszusehen. Mehr nicht."
Sie wünscht sich von der Politik und auch der Bevölkerung mehr Aufmerksamkeit für dieses Problem. Initiativen, die gegen Hass und Hetze im Netz vorgehen, Organisationen, die für Frauenrechte kämpfen, sollten deutlich mehr Unterstützung bekommen, auch finanziell.
Als Juristin hat Bünger natürlich auch die Rechtslage im Blick. Und sie sagt ganz klar: "Die Online-Welt findet im juristischen Sinne kaum statt. Dafür muss es Regeln geben."
Sie kämpfe dafür – und zwar nicht für sich selbst. "Ich habe mich bewusst dazu entschieden, in der Öffentlichkeit zu stehen. Aber es gibt sehr, sehr viele Frauen im Dunkelfeld, die das erleben. Für sie brauchen wir Schutzmechanismen."
Zara Kızıltaş sitzt im Heidelberger Gemeinderat. Sie ist 22 Jahre alt, rangiert auf Listenplatz 7 der baden-württembergischen Linken für die Bundestagswahl. Zurzeit sitzen sechs Abgeordnete aus dem Bundesland in Berlin. Sie glaubt an ihren Einzug in den Bundestag, ist optimistisch. Und bereits in Heidelberg, bei Debatten im Gemeinderat, seien ihr schon häufig Dinge aufgefallen, die ihrer Ansicht nach problematisch sind.
"Ich habe bemerkt, dass vor allem männliche Kolleginnen gefühlt alles, was ich sage, delegitimieren." Kızıltaş nutzt in ihrer Sprache das generische Femininum. Heißt: Spricht sie von Menschen unterschiedlichen Geschlechts in der Mehrzahl, nutzt sie die weibliche Form. Ergo: männliche Kolleginnen.
Diese Delegitimierungen, sagt sie, hätten sich immer wiederholt. Es sei ein Muster, das sich durch die politischen Debatten ziehe. "Und irgendwann konnte ich es nur noch damit in Verbindung bringen, dass ich eine junge Frau bin." Auch Wählerinnen und Wähler äußerten sich öfter mal sexistisch.
Ein Beispiel ist der Linken-Politikerin stark im Gedächtnis geblieben:
Doch Kızıltaş sagt, es seien nicht nur diese offensichtlichen Beleidigungen, die sie als Sexismus wahrnehme. Bevormundungen, Reduzierungen auf das Aussehen – das seien Dinge, die sie oft ratlos zurückließen. "Ich werde oft als Mädel bezeichnet, als die Kleine", sagt sie. "Ich bin 22 Jahre alt, ich bin kein Mädel mehr."
Auch wenn sich Kızıltaş mit älteren, männlichen Kollegen unterhält, spüre sie, dass es einfach noch an Verständnis fehle. "Ältere Kollegen glauben mir oft nicht, dass der Wahlkampf für mich als junge Frau anders ist als für sie."
Äußerungen über ihr Aussehen bekomme sie zwar nicht ins Gesicht gesagt, aber Parteikollegen berichteten ihr davon. "Dann heißt es etwa: Die Linken sind unwählbar, aber hübsch ist sie ja wenigstens.' Ich glaube nicht, dass so etwas auch umgekehrt gemacht wird, also dass Frauen so etwas über männliche Kandidatinnen sagen."
Solidarität unter den Frauen in der Politik ist der Kandidatin besonders wichtig. "Annalena Baerbock zum Beispiel: Wir sind in unserer politischen Meinung weit auseinander, aber in solchen Momenten sollten wir zueinander stehen." Dabei bezieht sich Kızıltaş auch auf einige Medien, die Baerbock in Interviews auf ihre Rolle als Mutter angesprochen hatten. Dass die Kompetenz einer Frau daran gemessen werde und überhaupt, dass Frauen "immer in dieser Mutterrolle gesehen werden", ist Kızıltaş schleierhaft.
Die Linken-Politikerin glaubt, es braucht einen Paradigmenwechsel. Wie genau dieser aussehen soll? "Das fängt schon bei der ökonomischen Gleichstellung der Frau an. Aber es geht um mehr. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel – in jeglicher Hinsicht."
Sie spricht von einem Mix aus vielen kleinen Änderungen – und nennt auch ein Beispiel: "Sexistische Werbung sollte vermieden oder ja vielleicht sogar verboten werden. Man muss zeigen, dass es nicht in Ordnung ist, Frauen auf ihren Körper zu reduzieren und in solcher Form zu sexualisieren."
Gerade diese Sexualisierung bringe Frauen häufig in unangenehme Situationen. "Und auch wenn man weiß, dass man diese Dinge eigentlich ansprechen muss – manchmal will man einen Vorfall nicht skandalisieren, weil es einem auch unangenehm ist."
Für Kızıltaş war das beispielsweise der Moment, als unter einem Partei-Gruppenfoto in den sozialen Medien ihr "schöner, großer Busen" kommentiert wurde. "Ich habe mich so unwohl gefühlt, dass ich mich nur darum gekümmert habe, dass dieser Kommentar gelöscht wird."
Unterstützung finden Frauen in ihrem Kreisverband durch einen Chat. Man tausche sich darin über problematische Äußerungen aus, spreche sich zu und vereinbare auch die öffentliche Unterstützung.