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Cem Özdemir über Armin Laschet: "Man hatte den Eindruck, er ist in der falschen Partei"

Cem Oezdemir ( Buendnis 90/Die Gruenen) im Rahmen einer Fraktionssitzung.
Seit 2018 nicht mehr Parteivorsitzender der Grünen, trotzdem einer der beliebtesten Köpfe seiner Partei: Cem Özdemir.Bild: www.imago-images.de / bXander Heinl/photothek.de
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Cem Özdemir über seinen Freund Armin Laschet: "Man hatte den Eindruck, er ist in der falschen Partei"

Der Grünen-Politiker spricht im Interview über seine Freundschaft mit Armin Laschet, das Verhältnis zu Fridays for Future und Loyalitätskonflikte beim Fußball.
25.01.2021, 05:0025.01.2021, 17:44
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Schließlich sollte es doch der Politiker der Mitte sein statt Grünen-Schreck Friedrich Merz. Ein kollektives Aufatmen ging wohl durch die Parteizentrale der Grünen und zahlreiche Abgeordnetenbüros, als das Ergebnis beim CDU-Parteitag verkündet worden ist. Mit dem neoliberalen Verfechter des Wirtschaftswachstums wäre es schwer geworden, sich auf einen Koalitionsvertrag zu einigen. Auf der anderen Seite hatten sich manche wohl auch schon auf einen Wahlkampf gegen den polarisierenden Friedrich Merz gefreut.

Doch für einen Grünen war die Wahl mehr als nur Politik: Cem Özdemir. Özdemir bezeichnet den neuen CDU-Chef Armin Laschet als seinen Freund. Auch ihre Familien kennen sich gut. Die Freundschaft stammt noch aus ihrer gemeinsamen Zeit als EU-Abgeordnete in Brüssel. Später waren beide Teil der berüchtigten "Pizza-Connection", bei der sich Grüne und CDU-Politiker getroffen haben, lange bevor Schwarz-Grün überhaupt denkbar war. Es ist noch keine Woche her, dass Laschet CDU-Parteichef geworden ist, als watson Özdemir zum Interview in seinem Büro im Bundestag trifft.

"Mein Sohn findet es spannender, mich die Berliner U-Bahnstationen abzufragen."

watson: Herr Özdemir, 2021 heißt es bei jungen Leuten Fahrrad statt Auto, Pop-up-Radwege statt Autobahn. Haben Ihre Kinder vor, einen Führerschein zu machen?

Cem Özdemir:
Gute Frage. Es beschäftigt sie nicht wirklich. Mein Sohn findet es spannender, mich die Berliner U-Bahnstationen abzufragen.

Vielleicht liegt es daran, dass sie es von ihren Eltern so vorgelebt bekommen?

Da könnte etwas dran sein. Meine Kinder haben beide eine Bahncard und die Bahn-App auf dem Handy. Wenn wir zur Oma nach Bad Urach fahren, dann mit der Bahn und dem Carsharing-Angebot vor Ort.

Generell setzt die junge Generation viel weniger auf das Auto. Als Grüner müsste es Sie ja freuen. Aber auf der anderen Seite lebt Ihr Wahlkreis Stuttgart von der Automobilindustrie. Was überwiegt da bei Ihnen, der Grüne oder der Mandatsträger?

Sie haben recht: Das ist eine dramatische Herausforderung für die Automobilindustrie, aber man darf nicht vergessen, dass die meisten Autos exportiert werden. Der deutsche Markt ist nicht entscheidend.

Trotzdem handelt es sich ja um einen Wandel der Mobilität. Ist die deutsche Automobilindustrie darauf vorbereitet?

Das Ziel kann nicht sein, auf ewig immer mehr Autos zu verkaufen. Das ist einigen in der Automobilindustrie mittlerweile auch bewusst, leider nicht allen. Es wird in Zukunft nicht mehr nur um die Produktion von Autos gehen, sondern auch um Daten und darum, Mobilitätsdienstleister zu werden. Das bedeutet, dass nicht einfach nur Blechkisten verkauft werden, sondern zum Beispiel Carsharing, plattformbasiertes Pooling und Mobilitäts-Apps wichtiger werden – und irgendwann auch autonom fahrende Autos.

Aktuell sind die Carsharing-Angebote aber noch defizitär. Das Geld wird immer noch mit den "Blechkisten" verdient.

Das stimmt, aber dieses Geld wird benutzt, um die Entwicklung neuer Mobilitätskonzepte zu finanzieren. Es gibt eben keine Alternative, als sich dem Wandel anzupassen. Alte Diesel-Autos und verstopfte Innenstädte sind entgegen der Meinung von CSU und FDP keine Zukunftsmodelle.

"Eine Spaltung hilft am Ende nur den Klimawandelleugnern."

Gerade in Baden-Württemberg wird die Politik der Grünen aber auch als zu industriefreundlich kritisiert. Eine Klimaliste konkurriert um Stimmen und tritt bei den Landtagswahlen an. Was halten Sie davon?

Es gibt schon seit den 1980ern eine Klimaliste in Baden-Württemberg, die heißt Bündnis 90/Die Grünen und stellt aktuell den Ministerpräsidenten. Ich freue mich über alle, die sich für Klimaschutz einsetzen, denn um den besten Klimaschutz durchzusetzen, brauchen wir Mehrheiten. Die gewinnen wir am besten gemeinsam. Wir begrüßen alle, die mitmachen wollen.

Die Klimaliste wirft Ihrer Partei aber vor, in der Regierung nicht entschieden genug den Klimawandel zu bekämpfen.

Wir sind in Baden-Württemberg Spitzenreiter aller 16 Bundesländer bei der Reduktion von Treibhausgasen. Und Sie dürfen nicht vergessen: Wir haben von der Vorgängerregierung einige Defizite geerbt. Inzwischen haben wir dramatisch aufgeholt in Sachen erneuerbare Energien.

Das heißt, Sie können diese Kritik an der Regierungsarbeit der Grünen nicht nachvollziehen?

Wissen Sie: Eine Spaltung unter uns Klimaschützerinnen und Klimaschützern hilft am Ende nur den Klimawandelleugnern. Einige der Kandidierenden haben genau deshalb inzwischen ihre Kandidatur für diese Liste zurückgezogen, davor habe ich Respekt und lade alle ein, nun gemeinsam mit uns für den besten Klimaschutz zu kämpfen.

Aber auch bei Fridays for Future wird Kritik laut, die Grünen seien nicht weitreichend genug mit ihren Forderungen. Wie sehen Sie das?

Wir stehen im guten Austausch mit Fridays for Future, aber sind nun einmal auch nicht alleine in der Regierung. Es wäre unehrlich zu behaupten, dass wir unsere Forderungen eins zu eins umsetzen können. Solange wir nicht die absolute Mehrheit holen, brauchen wir dafür einen Koalitionspartner und dann müssen wir eben auch schauen, was mit dem möglich ist. Wer möchte, dass wir möglichst viel Klimaschutz durchsetzen, der muss uns stärken.

"Man hatte den Eindruck, Armin Laschet ist in der falschen Partei."

Apropos Koalitionspartner: Sie sind seit einigen Jahren eng befreundet mit Armin Laschet. Nun wurde er zum Parteivorsitzenden der CDU gewählt. Abseits der Politik, wie fanden Sie seine Bewerbungsrede auf dem Parteitag?

Es war eine sehr gute Rede. Aber man hatte den Eindruck, er ist in der falschen Partei.

Weshalb?

Das war eigentlich eine sozialdemokratische Rede. Er hat von seinem Vater berichtet, der Bergmann war. Das ist eine Aufstiegsgeschichte, die die SPD so leider nicht mehr erzählt. Sie spricht von Stolz und Würde der Arbeit. Hinfallen, Weitermachen und am Ende etwas erreichen, was niemand für möglich gehalten hätte.

Und was sagt der Grüne in Ihnen zur Rede?

Ich fand gut, dass es eine glasklare Absage an Populismus in jedweder Form war. Aber natürlich habe ich vermisst, dass er mehr zum Klimaschutz sagt, zur Digitalisierung oder zu seinen außenpolitischen Vorstellungen – beispielsweise, wie er zum Thema Menschenrechte steht. Da haben wir beide bei aller Freundschaft unterschiedliche Vorstellungen, was auch völlig in Ordnung ist. Dafür gibt es ja auch uns Grüne.

Friedrich Merz stand auch zur Wahl. Sind Sie froh, dass er nicht Vorsitzender geworden ist?

Man kann über Friedrich Merz sagen, was man will, aber er ist in den 1990ern eine wichtige Gestalt gewesen. Nur leider fällt er immer wieder in diese Zeit zurück. Die CDU war immer dann am stärksten, wenn sie alle Flügel mitgenommen hat und nicht der Chef eines Flügels Chef der Partei war. Das hat Helmut Kohl verstanden. Friedrich Merz nicht.

Er hätte sich aber auch deutlicher von den Grünen abgegrenzt. Andersherum gefragt: Sind Sie enttäuscht, dass sie nun keinen Wahlkampf gegen Merz machen können?

Ja und nein. Auch mit Armin Laschet besteht zwischen der CDU und uns Grünen keinerlei Verwechslungsgefahr. Die Unterschiede wären mit Merz sicher noch offensichtlicher geworden und Friedrich Merz’ polarisierende Wirkung hätte es uns sicher einfacher gemacht. Aber auf der anderen Seite hätten wir dann am Ende mit Friedrich Merz möglicherweise eine Koalition aushandeln müssen. Das wäre dann doch schwierig geworden.

"Es ist nicht so, dass Armin Laschet ein Softie ist."

Und mit Armin Laschet wird es nun deutlich einfacher für Schwarz-Grün?

Das kann man so auch nicht sagen. Zuerst sind die Wählerinnen und Wähler im September am Zug und dann werden wir sehen, wer überhaupt mit wem wie koalieren kann. Und es ist auch nicht so, dass Armin Laschet ein Softie ist und jetzt einen Wahlkampf machen wird, bei dem er uns Grüne umarmt. Er hat in Nordrhein-Westfalen klargemacht, dass er durchaus auch harte Kante gegen uns zeigen kann. Gerade was Klimapolitik angeht, steht er der fossilen Retropolitik der FDP weit näher als uns.

Er bietet aber auch Anknüpfungspunkte für die Grünen. Früher wurde Armin Laschet aufgrund seiner Migrationspolitik "Türken-Armin" genannt. Ein Spitzname, der nicht unbedingt nett gemeint war. Wie fremdenfeindlich war die CDU in den 1990ern?

Dieser Spitzname sagt mehr über die aus, die ihn benutzen, als über Armin Laschet. Ich erinnere mich, als 1993 in Solingen der tödliche Brandanschlag von Rechtsextremen verübt wurde, der die ganze Bundesrepublik erschütterte. Damals hat Helmut Kohl die Hinterbliebenen nicht besucht und gar von "Beileidstourismus" gesprochen.

Welchen Einfluss hatte das auf die Erfahrung von Migranten in Deutschland?

Es wäre eine wichtige Geste gewesen, um deutlich zu machen, dass das hier auch die Heimat derer ist, deren Eltern als Gastarbeiter hergekommen sind. Diese Menschen haben sich vergessen gefühlt. Ich habe mit den Hinterbliebenen der Opfer gesprochen und habe es auch später Armin Laschet geraten, als er Integrationsminister wurde.

Hat er Ihren Ratschlag angenommen?

Ja, wofür ich ihm sehr dankbar bin.

Denken Sie, die CDU ist heute weiter in dieser Hinsicht?

Es hat sich viel zum Guten verändert. Es war beispielsweise die CDU und nicht wir Grüne, die die erste Ministerin mit Migrationshintergrund berufen hat. Aber die Anschläge von Halle und Hanau zeigen auf der anderen Seite, dass die CDU Rechtsextremismus noch immer nicht ernst genug nimmt. Es sind CDU-Innenminister, die die Aufklärung der Anschläge durch den NSU nicht vorangetrieben haben. Und beim Innenminister von Sachsen frage ich mich bis heute, was er beruflich macht.

Wie würden Sie als Innenminister mit dem Thema NSU umgehen?

Der NSU-Komplex ist nach wie vor nicht aufgeklärt. Nicht nur für Menschen mit Migrationshintergrund ist das auch ein Lackmustest dafür, wie ernst es die Sicherheitsbehörden mit der Aufklärung von Verbrechen meinen, wenn die Opfer eine Zuwanderungsgeschichte haben. Wir müssen alle Beweise solcher Verbrechen zentral sammeln und in einem bundesweit zentralen Archiv aufarbeiten. Möglicherweise werden dann spätere Generationen Licht ins Dunkel bringen können. Die Forderung steht bei uns Grünen im Grundsatzprogramm und wird damit auch Teil möglicher Koalitionsforderungen sein.

Denken Sie, dass die CDU da mitmachen wird?

Ich kann SPD, CDU oder wer auch immer mit uns dann verhandeln sollte, nur raten, dass sie sich darauf schon einmal vorbereiten.

"Prio eins ist die deutsche Nationalmannschaft."

Sie sind selbst als Gastarbeiterkind im schwäbischen Bad Urach aufgewachsen. Hat Ihre Herkunft dort eine Rolle gespielt?

Als Kind habe ich das nicht wahrgenommen. Kinder nehmen die Welt so wahr, wie sie ist und halten das für die Normalität. Als Jugendlicher habe ich es dann gespürt, als ich zum Schüleraustausch nach England mit durfte und schließlich an der Passkontrolle im Zug erstmal gescheitert bin.

Wie ist es bei Ihrem Sohn und Ihrer Tochter heute – wo ist ihre Heimat?

(lacht) Da ist es ja noch schwieriger. Sie leben in Berlin, ihr Vater ist anatolischer Schwabe und die Mutter Argentinierin mit italienischen und spanischen Vorfahren und italienischem Pass. Bei Fußballspielen wird das dann kompliziert.

Und kommen Sie da auf einen gemeinsamen Nenner?

Prio eins ist die deutsche Nationalmannschaft. Bei den Vereinsmannschaften wird es etwas schwieriger. Mein Sohn darf FC-Union- und VfB-Stuttgart-Fan sein.

Und wenn die beiden gegeneinander spielen?

Dann gewinnt hoffentlich der VfB. (lacht)

Wenn wir schon bei Duellen sind: Mit welchem Kanzlerkandidaten gehen die Grünen dieses Jahr ins Rennen?

Ich kann es eingrenzen auf zwei Personen: Robert Habeck oder Annalena Baerbock.

Ihre Kinder kennen nur eine Frau als Kanzlerin. Wäre es nicht ein harter Bruch, wenn nun ein Mann Kanzler werden würde?

(lacht) Netter Versuch. Aber das werden die beiden unter sich ausmachen und ich bin mir sicher, dass meine Kinder mit der Entscheidung zufrieden sein werden.

Insta-Rubrik: "Entweder... oder..." mit Cem Özdemir
Cem Özdemir hat für uns einige Fragen beantwortet, die es als Videos auf dem Instagram-Channel von watson zu sehen gibt.

watson: Grüne in der Bundesregierung oder VfB in der Champions League?

Cem Özdemir:
Beides.

Chillen in Kreuzberg oder wandern auf der Schwäbischen Alb?

Für meine Kinder chillen in Kreuzberg, aber ich würde natürlich wandern auf der Schwäbischen Alb.

Pizza essen mit Armin Laschet oder joggen gehen mit Olaf Scholz?

Ich weiß nicht, wie fit Olaf Scholz beim Joggen ist, aber gegen eine Pizza habe ich nix einzuwenden, wenn es dazu ein gutes Bier gibt.

Trampolinspringen mit Annalena Baerbock oder bügeln mit Robert Habeck?

Trampolinspringen soll gar nicht so gesund sein, wie man immer hört. Joggen mit Annalena Baerbock und anschließend Pizza essen mit Robert Habeck.

Zwei Wochen salzlos essen mit Karl Lauterbach oder jeden Tag vegane Burger mit Attila Hildmann?

Also, mit Attila Hildmann würde ich weder feste noch flüssige Nahrung zu mir nehmen, mit dem möchte ich nichts zu tun haben. Karl Lauterbach ist ein toller Abgeordneter der SPD, da frage ich mich manchmal, warum seine Partei ihn nicht stärker einbindet.
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