Ein Polizeieinsatz in Düsseldorf, der eine breite Diskussion über Polizeigewalt auslöste.Bild: screenshot instagram
Exklusiv
20.08.2020, 17:5220.08.2020, 18:39
Das Thema Polizeigewalt sorgt in Deutschland erneut für Diskussionen. Das spiegelt sich auch bei Google wider: Die Suchanfrage "Polizeigewalt Deutschland" nahm in den vergangenen sieben Tagen um 500 Prozent zu, wie der Internetkonzern am Donnerstag mitteilte. Auslöser war die Festnahme eines 15-Jährigen in der Düsseldorfer Altstadt vor einigen Tagen. Der Polizeibeamte hatte den Jugendlichen mit seinem Bein am Boden fixiert. Im Netz verbreitete Videoaufnahmen weckten Erinnerungen an den Tod des US-Amerikaners George Floyd.
Weitere Videos von Polizeieinsätzen in Frankfurt und Hamburg folgten Anfang der Woche. Drei Beamte der Frankfurter Polizei wurden am Donnerstag suspendiert – im Internet waren zwei Videos aufgetaucht, die zeigten, wie Polizisten auf einen am Boden liegenden beziehungsweise schon in einem Polizeiauto sitzenden 29-jährigen Mann eintreten. Auch die Hamburger Polizei sah sich Kritik ausgesetzt, nachdem in einem Video die harsche Festnahme eines 15-Jährigen dokumentiert worden war. Acht Beamte der Hamburger Polizei hatten ihn zu Boden gebracht, nachdem er mit einem E-Roller auf dem Gehweg gefahren war.
Der Kriminologe Thomas Müller ist Sprecher bei Amnesty International. Er war 40 Jahre lang Polizeibeamter – und ist überzeugt, dass es ein gutes Mittel gegen solche Vorfälle gibt. Er fordert im Interview mit watson eine unabhängige Kommission zur Überwachung der Polizeiarbeit. Außerdem plädiert er für einen ehrlicheren Umgang der Behörde mit Fehlern.
"Ich halte das im Sinne einer demokratischen Grundordnung für gut, wenn die Polizei auch von der Öffentlichkeit kontrolliert wird."
watson: Wie beurteilen Sie die Videos, die seit Anfang der Woche im Netz kursieren, grundsätzlich?
Thomas Müller: Es hat sich etwas verändert. Die Öffentlichkeit schaut viel mehr auf die Arbeit der Polizei und hat auch Möglichkeiten, diese zu dokumentieren. So wird heute vieles sichtbar, was vor zehn, fünfzehn Jahren gar nicht an die Öffentlichkeit gekommen ist.
Ist das gut oder schlecht?
Ich halte das im Sinne einer demokratischen Grundordnung für gut, wenn die Polizei auch von der Öffentlichkeit kontrolliert wird. Gerade diese Videos zeigen ja, dass das auch manchmal notwendig ist.
Ein häufiges Gegenargument lautet, auf den Videos fehle oft die Vorgeschichte. Inwiefern spielt das aber eine Rolle, wenn auf den Videos eindeutiges Fehlverhalten von Beamten zu sehen ist?
Wenn wir an das Video aus Düsseldorf denken, wo der Kollege auf dem Hals des Verdächtigen kniet oder an das aus Frankfurt, wo ein am Boden liegender getreten wird – da braucht man keine Vorgeschichte. Das ist absolut klar. Trotzdem muss man bei solchen Videos tatsächlich immer vorsichtig sein, weil es sein kann, dass Zusammenhänge nicht mehr erkennbar sind. Man sollte der Polizei deshalb immer die Möglichkeit geben, sich selbst dazu zu äußern, bevor es zu einer Vorverurteilung kommt.
Zu einigen der Videos hat sich die Polizei geäußert, beispielsweise zu dem aus Hamburg. Waren die Reaktionen für Sie befriedigend?
In Frankfurt hat der Polizeiführer vor Ort gut reagiert. Er hat den Fall zur Anzeige gebracht. Das ist ja, was wir uns wünschen: Dass die Polizei auch auf sich selber aufpasst. In Hamburg dagegen war die Reaktion mit dieser Pressemitteilung mit dem Bild einer jungen, lachenden Pressevertreterin schlechte Arbeit.
Auf dem Video aus Frankfurt sieht man, wie andere Beamte einschreiten, auf dem aus Düsseldorf dagegen nicht. Muss auch die interne Kritik innerhalb der Polizei gestärkt werden?
Ich habe etwa 40 Jahre bei der Polizei gearbeitet. Natürlich sind solche Organisationen teilweise eine eingeschworene Gemeinschaft – und teilweise müssen sie das auch sein. Sie müssen sich auf die Kollegen, mit denen sie zusammenarbeiten, immer verlassen können. Das kann aber in Extremfällen zu einem Korpsgeist führen. Und dann wird der vermeintliche Verrat am Kollegen höher bewertet als die eigentliche Tat, die geschehen ist.
"Es braucht eine gesunde Fehlerkultur."
Was kann man dagegen tun?
Polizisten brauchen Möglichkeiten, sich zu beschweren, ohne sofort in Strafverfolgungsverfahren zu kommen. Solche Mechanismen müssen stärker in die Polizeiarbeit eingebunden werden. Es braucht eine gesunde Fehlerkultur bei der Polizei.
Eine Organisation wie die Polizei muss offen und transparent zugeben können: Hier haben wir Fehler gemacht. Sie muss sagen, ja, wir machen Fehler, und wenn wir welche machen, dann gestehen wir sie auch ein und versuchen, besser zu werden. Daran fehlt es noch. Dabei würde die Polizei damit viel mehr Vertrauen bei den Bürgern gewinnen. Mehr, als wenn sie sagen, das stimmt alles nicht, alles Lüge.
"Wir brauchen eine Kommission, die gegen die Polizei ermitteln darf."
Bisher gibt es diese Fehlerkultur aus Ihrer Sicht also noch nicht?
Nein. Gerade Polizeigewerkschaften werten jede Kritik pauschal als Generalverdacht ab. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie die Grundsätze des demokratischen Rechtsstaats nicht verstanden haben. Eine Organisation wie die Polizei muss unter ständiger Kontrolle der Legislative sein. Einfach, weil sie so viel Macht hat. Das ist ganz normal in einer Demokratie und hat nichts mit einem Generalverdacht zu tun.
In Großbritannien gibt es eine unabhängige Kommission, die solche Vorfälle untersucht. Wäre das ein gutes Vorbild für Deutschland?
Ja. Das fordere ich schon sehr lange. Wir brauchen eine Kommission, die gegen die Polizei ermitteln darf. Diese muss politisch unabhängig sein und auch mit Ermittlungskompetenzen versehen werden. Das ist kein Generalverdacht gegen die Polizei, sondern erleichtert diese, weil sie nicht mehr gegen sich selbst ermitteln muss. Die Briten haben damit gute Erfahrungen gemacht, Norweger und Dänen ebenso. In Deutschland ist das dringend notwendig. Bisher tun sich viele Landesregierungen aber noch schwer damit, weil die Gewerkschaften dann gerne den Vorwurf des Generalverdachts ausgraben – als Totschlagargument.
(mit Material von dpa)
Bei so manchen Themen machen die meisten einfach dicht, zu trocken, zu öde, zu technisch. Manche von ihnen schmecken nach Aktenstaub, riechen vielleicht auch etwas nach Tweed-Sakkos und Mottenkugeln. Das gilt etwa für Steuerfragen, die durchaus wichtig, aber eben nur schwer zu verkaufen sind. In eine ähnliche Kerbe schlagen die Sozialabgaben.