Unter Beobachtung: Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die gesamte AfD nach Medienberichten zum Rechtsextremismus-"Verdachtsfall" erklärt.Bild: Getty Images Europe / Sean Gallup
Exklusiv
Experte zu AfD-Beobachtung: "Bürgerlich orientierte Protestwähler werden sich zunehmend von der AfD abwenden"
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die gesamte AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft. Damit kann die Partei ab sofort auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht werden. Das haben mehrere Medien übereinstimmend berichtet, auch die Nachrichtenagentur dpa hat die Information inzwischen bestätigt. Die AfD selbst will gegen die Entscheidung juristisch vorgehen.
Aber was bedeutet diese Entscheidung des Inlandsgeheimdienstes für die Partei?
Watson hat mit Parteienforscher Oskar Niedermayer darüber gesprochen, ob die Beobachtung der AfD bei den kommenden Wahlen schadet – und warum sie in manchen Bundesländern laut Umfragen bei über 20 Prozent liegt.
watson: Herr Niedermayer, das Bundesamt für Verfassungsschutz hat nach übereinstimmenden Medienberichten entschieden, die gesamte AfD als Rechtsextremismus-verdachtsfall zu beobachten. Wie wirkt sich das nach Ihrer Einschätzung auf das Wählerpotenzial der AfD aus?
Oskar Niedermayer: Wenn sich das bestätigt und das weiterhin diskutiert wird, dann werden AfD-nahe Wähler sagen, dass das eine politische Aktion der von ihnen so bezeichneten Altparteien ist, um der AfD zu schaden – und erst recht AfD wählen. Andere, eher bürgerlich orientierte Protestwähler, die keine rechtsextremistischen Einstellungen haben, werden sich zunehmend von der AfD abwenden. Das haben sie ja schon in den vergangenen Monaten getan. Ich denke, der Nettoeffekt ist eher negativ. Das denkt ja auch die Partei selbst, sonst hätte sie sich gegen die Beobachtung nicht so vehement gewehrt.
"Die AfD hat schon ein ziemlich festes Wählerpotenzial, gerade in den neuen Bundesländern. Die AfD wird nicht verschwinden."
In Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen liegt die AfD in Landtagswahl-Umfragen dennoch weiter stabil über 20 Prozent.
Natürlich werden sie weiter gewählt werden. Die AfD hat schon ein ziemlich festes Wählerpotenzial, gerade in den neuen Bundesländern. Die AfD wird nicht verschwinden. Aber für die Bundestagswahl ist das – je nachdem, wie die Gerichtsentscheidungen dazu ausgehen – eher negativ für die Partei.
"Ja, die Chance ist groß, dass die AfD parlamentarisch repräsentiert bleibt. Aber ansonsten ist die Gefahr beherrschbar."
Wie bedenklich ist es für die Zukunft der liberalen Demokratie, dass es inzwischen diesen festen Wählerstamm für die AfD gibt?
Ich glaube, dass die Demokratie durch diese Partei nicht gefährdet ist. Unter optimalen Bedingungen für sie – das war zwischen Herbst 2015 und Mitte 2016 – konnte die AfD gerade 15 bis 16 Prozent erreichen. Davon ist sie jetzt weit entfernt. Und ich gehe nicht davon aus, dass sie wieder in solche Höhen kommt. Insofern: Ja, die Chance ist groß, dass die AfD parlamentarisch repräsentiert bleibt. Aber ansonsten ist die Gefahr beherrschbar.
AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen im Jahr 2019. Bild: Getty Images Europe / Jens Schlueter
In der Partei selbst brodelt es weiter. Beim Bundesparteitag im vergangenen Herbst ist es zum Eklat zwischen Bundessprecher Jörg Meuthen und dem ganz rechten Flügel der Partei gekommen. Verschärft die Beobachtung der ganzen AfD durch den Verfassungsschutz diesen Konflikt?
Ja, das denke ich schon. Gerade die Rechten werden Meuthen jetzt vorwerfen, dass er durch seine Strategie – mit der er eine Beobachtung vermeiden wollte – die Partei gespalten hat. Darüber wird es weiter Diskussionen geben.
Kann die AfD überhaupt etwas tun, um aus dem Fokus des Verfassungsschutzes zu geraten?
Momentan sehe ich da keine großen Möglichkeiten mehr. Meuthen hat getan, was er tun konnte. Jetzt wird es darauf ankommen, wer sich in der öffentlichen Diskussion stärker präsentiert: die ganz Rechten oder die weniger Rechten.
Wer ist da aus Ihrer Sicht stärker?
In der Vergangenheit waren das eher die ganz Rechten. Aber für die Zukunft kann man das nicht eindeutig sagen.
Der Experte
Oskar Niedermayer
Oskar Niedermayer ist Politikwissenschaftler und forscht schwerpunktmäßig zu politischen Einstellungen und Verhaltensweisen, Parteienforschung und Wahlforschung. Niedermayer leitete von 1993 bis 2017 das Otto-Stammer-Zentrum der Freien Universität (FU) Berlin. Am Otto-Suhr-Institut der FU war Niedermayer als Hochschullehrer tätig.
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