Sie sollen geplant haben, das System zu stürzen – eine Gruppe von Reichsbürger:innen, Verschwörungsgläubigen und Esoteriker:innen.
Hauptakteur:innen sollen unter anderem eine ehemalige Bundestagsabgeordnete der AfD, Ex-Elitesoldaten, Polizist:innen und ein Prinz gewesen sein. Ermittlungsbehörden haben am Dienstagmorgen mehr als 130 Hausdurchsuchungen in elf Bundesländern durchgeführt. 25 Menschen wurden verhaftet.
Die Sozial- und Rechtspsychologin Pia Lamberty von der Johannes Gutenberg Universität Mainz ist in Deutschland die wohl renommierteste Expertin im Bereich Verschwörungsmythen. Zur aktuellen Razzia hat sie watson drei Fragen beantwortet.
Watson: Frau Lamberty, nach fast drei Jahren Corona-Pandemie, den vielen Demonstrationen und der Verbreitung etlicher Verschwörungstheorien: War es abzusehen, dass sich daraus eine terroristische Vereinigung entwickeln könnte, die den Staat stürzen will?
Pia Lamberty: Es gibt bereits lange Warnungen, dass man dieses Milieu nicht unterschätzen sollte und Anschläge begangen werden können. Diese Akteure machen aus ihren Haltungen ja auch kein Geheimnis: Auf Telegram oder anderen Plattformen wird immer wieder offen davon gesprochen, dass man – zur Not mit Gewalt – einen Systemsturz herbeiführen möchte. Offen wurde ein angeblicher "Tag X" herbei gewünscht oder von Tribunalen gesprochen. Allerdings wurde diese Gefahr lange nicht ernst genommen, obwohl es ja genug Warnzeichen gab und gibt.
Wie gefährlich ist diese Art von Zusammenschluss wirklich?
Gerade wenn es um Verschwörungsideologen geht, erlebt man oft, dass die Akteure gesellschaftlich eher belächelt werden. Was krude klingt, kann aber gefährliche Konsequenzen haben. Durch die fehlende Gefahrenwahrnehmung fühlten sich diese Gruppierungen oft so selbstbewusst, dass sie ihre menschenverachtenden Thesen offen in die Welt getragen haben.
Studien aus den USA zeigen, dass die Radikalisierung mit Verschwörungserzählungen wie "QAnon" deutlich schneller vonstattengehen kann. In der Pandemie konnten "Reichsbürger"-Erzählungen neue Popularität gewinnen, das zeigt sich auch in einem zahlenmäßigen Anstieg. Das alles ist besonders problematisch, wenn die Personen Verbindungen zur Bundeswehr haben oder hohe Ämter bekleiden.
Vor allem in rechtsradikalen und esoterischen Bereichen wird immer wieder versucht, die Jugend durch Subkulturen wie etwa dem Hip-Hop anzulocken – wie können wir Jugendliche davor schützen, in solche Gefilde abzudriften?
Man sieht gerade im Bereich des militanten Akzelerationismus einen sinkenden Altersdurchschnitt bei den Personen, die Anschläge begangen haben oder deren Anschläge verhindert werden konnten. Querdenker hatten eigene Gruppen für Jugendliche. Nach wie vor wird zu wenig getan, um digitale Gewalt einzuschränken. Rechtsextreme konnten Gewaltaufrufe und Drohungen lange Zeit veröffentlichen, ohne Konsequenzen zu befürchten. Sie können so auch Jugendliche als Zielgruppe einfacher erreichen als es noch zur Zeit der Schulhof-CDs der NPD der Fall war. Gesellschaftlich braucht es daher eine Kombination aus Repression und Prävention.