Dürfen gegen Covid-19 Geimpfte bald wieder in Restaurants, Cafés und Schwimmbäder – und ohne Quarantänepflicht ins Ausland reisen? Auf dem Impfgipfel zwischen Bundeskanzlerin und Länderchefs am Montag war das eines der zentralen Themen: Menschen, die einen vollständigen Impfschutz haben, sollen zumindest denen mit einem negativen Corona-Test gleichgestellt werden.
Für die bisher sieben Prozent der Bürger in Deutschland, die zwei Impfdosen erhalten haben, ist das eine verlockende Perspektive. Doch es gibt auch Bedenken: Gegner von Öffnungen für Geimpfte sagen, es sei dafür noch zu früh. Und sie befürchten, dass dadurch unnötige Konflikte entstehen.
Watson hat mit Jens Teutrine, Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen, über Freiheitsrechte für Geimpfte gesprochen. Er erklärt, warum er dafür ist. Er sagt, was gegen den Frust junger, noch ungeimpfter Menschen gemacht werden kann – und warum er eine Impfpflicht ablehnt.
watson: Hast du schon einen Impftermin?
Jens Teutrine: Nee, ich habe noch keinen Termin.
Das heißt, für dich wird es, wie für viele andere junge Menschen, bis zur vollständigen Immunisierung mit zwei Impfungen noch ein paar Monate dauern – während andere wohl schon in Cafés und Biergärten sitzen. Wie schmerzhaft ist diese Aussicht für dich persönlich?
Erst einmal finde ich es total wichtig, dass wir die Debatte darüber führen, wann Personen ihre Freiheitsrechte wieder erlangen. Grundrechte sind keine Privilegien. Wenn von geimpften Menschen keine gesundheitliche Gefahr mehr für die Mitmenschen ausgeht, dann müssen sie ihre Grundrechte zurückerlangen, und das vollständig. Jeder Grundrechtseingriff, das ist uns als Liberalen besonders wichtig, braucht eine besondere Begründung. Die Begründung entfällt bei Geimpften, da das Risiko andere mit dem Virus zu infizieren äußerst gering bis kaum vorhanden ist. Deswegen befürworte ich, dass sie ihre Freiheiten zurückbekommen.
"Ich gönne jeder Oma und jedem Menschen, der auf einer Intensivstation arbeitet, ausdrücklich den Besuch im Café. Aber ich hätte mir gewünscht, dass es für andere junge Menschen auch eine Perspektive gibt."
Diese Ungleichheit wird aber viele junge Menschen ärgern.
Möglich. Deswegen braucht es gleichzeitig natürlich auch mehr Tempo beim Impfen, sodass alle jungen Menschen auch schnell ein Impfangebot bekommen. Ich hätte mir auch gewünscht, dass jetzt schon die Impfpriorisierung wegfällt, zumindest als rechtlich bindende Vorgabe für Hausärzte. Es wird hoffentlich sehr schnell noch viel mehr Impfstoff verfügbar sein, die Aufhebung wäre ein Schritt gewesen, noch mehr Tempo hereinzukriegen. Ich gönne jeder Oma und jedem Menschen, der auf einer Intensivstation arbeitet, ausdrücklich den Besuch im Café. Aber ich hätte mir gewünscht, dass es für andere junge Menschen auch eine Perspektive gibt.
Stellen wir uns dieses Szenario vor: In ein paar Wochen ist es wärmer. Junge Menschen, denen der Lockdown mental besonders hart zugesetzt hat, sehen, wie die Älteren zuerst in Cafés und Biergärten sitzen, während sie das nicht dürfen. Steckt darin sozialer Sprengstoff?
Das Problem liegt ja nicht darin, dass manche Menschen ihre Freiheitsrechte wieder zurückkriegen. Sondern, dass junge Menschen nicht früh genug ein Angebot bekommen, weil es bei der Bestellung der Impfstoffe zu massiven Fehlern gekommen ist. In anderen Ländern gibt es dieses Problem nicht in dieser Schärfe. Laut einer Studie ist jeder dritte Schüler in der Corona-Krise psychisch anfällig, darunter leiden viele unter Depressionen, jeder Sechste denkt im Lockdown regelmäßig an Suizid. Ich finde diese Zahlen erschreckend. Wäre viel früher über die Perspektive von jungen Menschen geredet worden, dann wäre der mögliche soziale Sprengstoff jetzt auch gar nicht so groß.
Jens Teutrine ist seit dem Sommer 2020 Bundesvorsitzender Jungen Liberalen. bild: junge liberale
"Die Auswirkungen der Lockdown-Endlosschleife auf das Leben von jungen Menschen fanden zu wenig Beachtung oder wurden sehr schnell kleingeredet."
Inwiefern?
Die Auswirkungen der Lockdown-Endlosschleife auf das Leben von jungen Menschen fanden zu wenig Beachtung oder wurden sehr schnell kleingeredet. Gerade die junge Generation hat aus Rücksicht auf vieles verzichten müssen. Coronahilfen gab es für unsere Generation nicht, dafür einen Totalausfall bei der digitalen Bildung und obendrauf eine historische Rekordneuverschuldung. Hätte es beispielsweise eine Öffnung des BAföG gegeben, dann hätten auch Studierende, die ihren Nebenjob verloren haben, keine Probleme bei der Finanzierung des Studiums bekommen. Oder andere Maßnahmen, wie ein besseres Schnelltest-Management für Schulen, damit junge Menschen insgesamt in der Corona-Pandemie nicht zu den Verlierern zählen.
Nun ist die Situation aber so, wie sie ist. Was ist aus deiner Sicht zu tun, damit sich der Konflikt zwischen jungen und älteren Menschen nicht verschärft, wenn Ältere vorübergehend mehr Freiheiten haben?
Einige unserer Forderungen könnte man auch noch jetzt umsetzen. Die FDP-Bundestagsabgeordneten, die bei den Jungen Liberalen sind, haben vor zwei Wochen einen Antrag für eine generationengerechte Krisenpolitik mit 31 Maßnahmenvorschlägen in den Deutschen Bundestag eingebracht. Zum Thema Impfen: Es muss schneller vorangehen, es darf kein Impfstoff mehr ungenutzt liegenbleiben. Deshalb sollte die Priorisierung aufgehoben werden. Und es braucht von den handelnden Politikern mehr Antworten auf die Frage, wie wir den Weg aus der Pandemie beschleunigen und welche Zukunftsperspektive wir jungen Menschen geben.
"Was sind die Perspektiven für junge Menschen, damit sie gut aus der Corona-Situation herauskommen? Es braucht eine Zukunftsgarantie für junge Menschen."
Welche Antworten?
Was machen wir gegen den Rückgang bei den Ausbildungsplätzen junger Menschen, gegen die Verdopplung bei den Schulabbrüchen? Was wird gegen die Verschärfung von Bildungsungerechtigkeiten unternommen? Was sind die Perspektiven für junge Menschen, damit sie gut aus der Corona-Situation herauskommen? Es braucht eine Zukunftsgarantie für junge Menschen.
Am Montag haben die Bundeskanzlerin und die Länderchefs beim Impfgipfel das Vorhaben besprochen, dass Menschen, die geimpft sind, denselben Status bekommen sollen wie Menschen, die negativ auf das Coronavirus getestet sind. Reicht das aus deiner Sicht?
Das ist für mich nicht ausreichend. Bei getesteten Personen bleibt ja nach einem Test dennoch ein Restrisiko. Bei Geimpften ist dies kaum vorhanden.
"Nicht die Debatte kommt zu früh. Das Impfangebot für alle Menschen kommt zu spät."
"Es muss schneller vorangehen": Ein Mann in einem Drive-In-Impfzentrum in Nordrhein-Westfalen.Bild: dpa / Oliver Berg
Geimpfte sollten aus deiner Sicht also nicht mit Getesteten gleichgestellt werden, sondern bessergestellt.
Es geht nicht um besser oder schlechter. Es geht darum, dass es bei Geimpften keine ausreichende Begründung mehr gibt, ihre Freiheitsrechte einzuschränken. Der Vergleich mit den Getesteten hinkt etwas. Grundrechte sind keine Privilegien, Geimpfte müssen sie vollumfänglich zurückerhalten. Ich mache mir ehrlicherweise Sorgen, ob es verfassungswidrig ist, das nicht zu tun.
Was sagst du zu dem Argument, dass die Debatte noch ein bisschen zu früh kommt? Es sind ja erst rund sieben Prozent der Menschen vollständig geimpft.
Nicht die Debatte kommt zu früh. Das Impfangebot für alle Menschen kommt zu spät. Und die Grundrechte eines Menschen stehen jedem individuell zu. Deswegen ist es abwegig zu sagen, dass erst, wenn alle geimpft sind, auch alle ihre Grundrechte wieder zurückerlangen. Niemand sollte länger in seiner Freiheit eingeschränkt werden, als es wirklich notwendig ist. Darüber hinaus bin ich aber auch für mehr Freiheiten für getestete Personen und halte beispielsweise die Ausgangssperren für einen unverhältnismäßigen Grundrechtseingriff.
Ein anderes Argument, das auch Vertreter von Union und SPD in den vergangenen Wochen genannt haben: Wenn Nicht-Geimpfte an bestimmte Orte nicht gehen oder bestimmte Tätigkeiten nicht ausüben dürfen, dann wäre das eine Impfpflicht durch die Hintertür. Wie siehst du das?
Für mich ist das keine Impfpflicht durch die Hintertür. Aktuell gibt es auch kein Problem bei der Impfbereitschaft, die ist insgesamt sehr hoch, sondern beim unzureichenden Impfangebot. Ich finde das Argument ein bisschen absurd und auch gefährlich. Es spielt nämlich auch denjenigen in die Hände, die massiv Stimmung gegen die Impfkampagne machen.
Trotzdem besteht das Risiko, dass durch die Ungleichbehandlung zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften Impfgegner noch lauter werden.
Wir sollten unser aktuelles Krisenmanagement nicht von Impfgegnern abhängig machen. Um dem zu begegnen, muss man möglichst gut erklären, wie Grundrechte funktionieren und warum das so gemacht wird. In der Corona-Krise ist bei der Kommunikation schon viel schiefgelaufen. Jetzt haben die Regierenden die Aufgabe, es besser zu machen.
Ria Schröder, bis 2020 Bundesvorsitzende der Julis, hatte sich 2019 für eine Impfpflicht gegen Masern ausgesprochen. Bild: picture alliance/dpa
2019 hatte Ria Schröder, deine Vorgängerin als Chefin der Jungliberalen, eine Impfpflicht gegen Masern gefordert. Wie stehst du zu einer Impfpflicht gegen Covid-19?
Bei der Forderung nach einer Impfpflicht gegen Masern ging es ausschließlich um Kinder. Die Debatte war eine andere. Es ging nämlich darum, das Erziehungsrecht der Eltern und die Gefährdung des Kindeswohls aufgrund von fehlendem Impfschutz abzuwägen. Aber zurück zum Thema, ich persönlich lehne eine Impfpflicht gegen Covid-19 momentan ab.
Warum?
Es muss aktuell darum gehen, dass alle Menschen möglichst schnell ein Impfangebot kriegen. Die Debatte um eine Impfpflicht setzt ein falsches Signal und führt womöglich sogar zu einem weiteren Vertrauensverlust. Das Hin und Her beim Impfstoff von Astrazeneca hat bereits massiv geschadet. Statt mit einem pauschalen Impfverbot kostbare Zeit zu verlieren, wäre der richtige Weg gewesen, dass jeder selbst entscheiden kann, ob er sich mit Astrazeneca impfen lassen möchte.
Wie stehst du grundsätzlich zu einer Impfpflicht?
Nicht erst seit Corona wissen wir, dass Impfen einen enormen individuellen und gesellschaftlichen Mehrwert hat. Die wachsende Impfmüdigkeit vor der Corona-Pandemie war durchaus gefährlich, weil dadurch lange totgeglaubte Krankheiten wieder zurückkehren und Menschen sterben, obwohl das mit einem ausreichenden Impfschutz verhindert werden könnte. Dennoch lehne ich pauschale Impfpflichten ab. Sie sind für mich der falsche Weg und ein zu großer Eingriff in die Freiheit des Einzelnen.
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