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Gastbeitrag

Berliner Grünen-Fraktionschefin: Liebe Corona-Leugner, Sie machen mich wütend!

BERLIN, GERMANY - NOVEMBER 18: A woman holding a crucifix screams at riot police during protests next to the Reichstag against modifications to a law called the "infection protection law" (& ...
Corona-Leugner hatten bei der Demonstration am vergangenen Mittwoch die Bundesregierung mit dem Dritten Reich verglichen.Bild: Getty Images Europe / Sean Gallup
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Berliner Grünen-Fraktionschefin: Liebe Corona-Leugner, Sie machen mich wütend!

Antje Kapek ist seit 2012 Fraktionsvorsitzende der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Die jüngsten Demonstrationen in der Hauptstadt haben ihr große Sorgen bereitet. In einem Offenen Brief exklusiv bei watson richtet sich Kapek mit direkten Worten an die Teilnehmenden.
19.11.2020, 18:3219.11.2020, 22:06
gastautorin Antje Kapek / bündnis 90/Die grünen
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Sehr geehrte Corona-Leugnerinnen und Leugner, Impf-Gegnerinnen und Gegner, besorgte Bürgerinnen und Bürger,

ich wende mich heute an Sie, weil Ihre Demonstration gestern in Berlin, genauso wie die vorherigen, mich tief besorgt zurücklassen. Sie haben an Protesten teilgenommen, zu denen mit Parolen wie "Berlin muss brennen!" aufgerufen wurde. Ihren Kindern haben Sie Herzluftballons in die Hand gedrückt und eine "Kinderfront" organisiert, um sich vor den Wasserwerfern der Polizei zu schützen. Anwesenden Rechtsextremen haben Sie diesen Schutz ausdrücklich auch angeboten.

Regenbogenflaggen haben Sie neben Reichsflaggen wehen lassen. Sie haben Rednerinnen und Rednern applaudiert, die den Holocaust verharmlost haben und Verschwörungstheorien verbreitet, wie die, dass Sie alle durch Mücken oder Wasserwerfer geimpft werden sollen. Zentrale Orte unserer Demokratie, auch das Berliner Abgeordnetenhaus, in dem ich ein Mandat habe, mussten gestern mit einem massiven Polizeiaufgebot geschützt werden. Polizistinnen und Polizisten wurden angegriffen und drei von ihnen schwer verletzt.

So funktioniert Demokratie!

Im Vorfeld haben Sie mir E-Mails geschickt, in denen Sie das 3. Bevölkerungsschutzgesetz, das der Bundestag am Mittwoch beschlossen hat, mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 vergleichen. Eine Gleichsetzung, die ich beschämend finde. Denn zur Erinnerung: Mit dem Ermächtigungsgesetz wurde im Nationalsozialismus die Gewaltenteilung aufgehoben und das Parlament entmachtet. Es war der Startschuss für das dunkelste Kapitel unserer Geschichte und die grausamsten Verbrechen, die je begangen wurden.

Nicht nur ist der Vergleich also völlig unangemessen, er ist auch schlicht falsch. Mit dem 3. Bevölkerungsschutzgesetz haben wir jetzt endlich eine solide gesetzliche Grundlage für die Bekämpfung der Corona-Pandemie. Das Parlament hat den Rahmen festgelegt, in dem Bundes- und Landesregierungen handeln können. Das ist Parlamentarismus! So funktioniert Demokratie!

Antje Kapek ist seit 2012 Fraktionsvorsitzende der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus.
Antje Kapek ist seit 2012 Fraktionsvorsitzende der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus.

Niemand macht es sich leicht!

Viele von Ihnen sagen, dass es Ihnen um die Sache gehen würde. Um den Schutz unserer Grundrechte. Dabei wurden eben diese aus Ihren Reihen gestern massiv angegriffen. Die Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten sind Angriffe auf die Pressefreiheit – ein Grundrecht! Ihre Weigerung, sich an die geltenden Hygieneregeln zu halten, ist ein Angriff auf die körperliche Unversehrtheit und die Gesundheit anderer – ebenfalls Grundrechte! Und der Versuch, das Abstimmungsverhalten von Abgeordneten durch Einschüchterung zu beeinflussen, ist ein Angriff auf die Ausübung des politischen Mandats. Das macht mich wahnsinnig wütend.

Wir leben in unsicheren Zeiten und kaum jemand weiß, wie die nächsten Monate oder das kommende Jahr genau aussehen werden. Ich verstehe, dass dies Ängste auslöst und ich habe ebenfalls großes Verständnis für alle Sorgen und Nöte, die mit den Einschränkungen einhergehen. Als Parlamentarierin und Fraktionsvorsitzende der Grünen in Berlin, die viele Entscheidungen abwägen und beschließen muss, möchte ich Ihnen aber eines versichern: Niemand macht es sich leicht!

Wir diskutieren täglich darüber, welche Maßnahmen nötig sind, um unser Gesundheitssystem nicht zu überlasten und damit Menschenleben zu schützen. Und wir prüfen diese Maßnahmen ständig auf ihre Verhältnismäßigkeit. Als Politik müssen wir gerade den Schutz von Leben gegen den Schutz von Freiheitsrechten abwägen. Um zu verhindern, dass unser Gesundheitssystem an den Rand seiner Kapazitäten kommt und nicht mehr alle Menschen behandelt werden können. Denn dann müssten wir entscheiden, welches Leben wir vorrangig schützen. Das gilt es unbedingt zu vermeiden! Viele von uns müssen schon jetzt die schwersten Entscheidungen ihres politischen Berufslebens treffen. Dabei orientieren wir uns so gut wie möglich an den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen.

In einer Demokratie entscheidet nicht der, der am lautesten schreit

Natürlich ist es Ihr gutes Recht, gegen diese Entscheidungen zu demonstrieren. Sie und alle anderen Bürgerinnen und Bürger müssen auch schneller und transparenter über neue Maßnahmen informiert werden. Damit klarer wird, worüber wir eigentlich reden. Auch finde ich wichtig, dass wir als Gesellschaft weiter darüber debattieren, wie wir mit der Pandemie umgehen wollen. Ich muss Ihnen aber auch mitteilen, dass in diesem Fall Sie weder "das Volk" sind, noch für "das Volk" in seiner Gesamtheit sprechen. Denn eine Mehrheit trägt die Maßnahmen mit und viele haben Angst davor, sich selbst zu infizieren. Das müssen Sie ertragen. Denn in einer Demokratie entscheidet eben nicht der, der am lautesten schreit.

Und als mündige Bürgerinnen und Bürger müssen Sie sich auch in die Pflicht nehmen lassen. Sie müssen sich überlegen, welche Form von Protest Sie wählen und mit wem Sie sich gemein machen. Beteiligen Sie sich, sagen Sie uns Ihre Meinung, teilen Sie auch gerne Ihre Wut – aber machen Sie sich nicht zum Steigbügelhalter für jene, die unsere Demokratie abschaffen wollen.

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