Aufregung im Bundestag am Donnerstag. Innerhalb weniger Stunden muss zweimal der Arzt ins Parlament kommen. Zuerst konnte der CDU-Politiker Matthias Hauer wegen gesundheitlicher Probleme eine Rede nicht beenden. Er kam gegen Ende ins Stocken und rang nach Worten. Mitarbeiter und Abgeordnete eilten zu Hilfe und forderten ihn auf, sich hinzulegen.
Am Abend erleidet Linken-Politikerin Simone Barrientos einen Schwächeanfall. Einmal mehr wurde die Besuchertribüne geräumt. Rund 20 Minuten später teilte Vizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) mit, dass es der 56 Jahre alten Barrientos "den Umständen entsprechend besser geht".
In beiden Fällen musste die Sitzung unterbrochen werden. Linken-Abgeordnete Anke Domscheit-Berg fasste auf Twitter am späten Abend das Erlebte zusammen. "Was für ein Tag."
Die Abgeordnete nutzte die Vorfälle, um generell Alarm zu schlagen: "Die Arbeitsbedingungen im Bundestag sind menschenfeindlich", erklärte sie auf Twitter.
In langen Ausführungen kritisierte sie unter anderem...
Jein. Zumindest findet sich in der Hausordnung des Bundestags kein entsprechender Abschnitt, der es Abgeordneten ausdrücklich verbietet, während einer Sitzung Wasser zu trinken. Watson hat bei der Presseabteilung des Parlaments nachgefragt und wollte wissen, welche Trink-Regeln die Abgeordneten im hohen Haus befolgen müssen.
"Essen und trinken sind im Plenarsaal nicht üblich. Das ist langjährige Parlamentspraxis", antwortete uns ein Pressesprecher. Es gebe jedoch Ausnahmen. Redner und Rednerinnen erhielten am Pult ein Glas Wasser vom Saaldiener, welches sie nach Abschluss ihrer Rede auch mit an den Platz nehmen dürften.
Für die normalen Abgeordneten ist das jedoch ein schwacher Trost. Wie sollen sie etwas trinken?
Die Pressestelle des Bundestags verweist darauf, dass rund um den Plenarsaal in der Lobby des Reichstagsgebäudes zahlreiche Wasserspender aufgestellt seien. "Dort kann man sich jederzeit selbst versorgen." Außerdem könnten die Politiker "in unmittelbarer Umgebung" essen und trinken, etwa im Abgeordnetenrestaurant, der Cafeteria des Bundestags und einem weiteren Café.
Für die Abgeordneten bedeutet das: Bei Sitzungen müssen sie de facto jedes Mal den Saal verlassen, um einen Schluck zu trinken. Da stellt sich nur die Frage: Wer macht das schon?
Das Problem dabei: Eine Sitzung kann mitunter mehrere Stunden dauern. Holt sich jemand also über die gesamte Sitzung nichts zu trinken, riskiert er, zu dehydrieren. Und das führt zu körperlichen Beschwerden, wie die Leiterin des betriebsärztlichen Dienstes der Universität Heidelberg, Marion Predikant, gegenüber watson erklärt:
Sprich: Wer wenig trinkt, dessen Gesundheit leidet. Kopfschmerzen, Müdigkeit und Konzentrationsschwäche – gerade für Politiker mit langen Arbeitstagen und -wochen ist dies problematisch.
Bei Flüssigkeitsmangel färbt sich der Urin dunkel bis bernsteinfarben. Spätestens dann sollte man sich ein Glas Wasser holen, bevor es wieder zurück an die Arbeit geht.
Außerdem weist die Medizinerin darauf hin, dass es bei Stress zu ähnlichen Symptomen kommen kann. Und der ist bei Politikern keine Seltenheit, wie eine 2015 veröffentlichte Studie der Harvard Medical School zeigt.
Der durchschnittliche Tag eines Bundestagsabgeordneten in Berlin ist vollgepackt mit Terminen. Die Anwesenheit im Plenum für Debatten und Abstimmungen ist nur ein Teil. Viele Stunden verbringen die Politiker in Ausschüssen, beraten über vorliegende Gesetze aus ihrem Fachbereich, hören sich an, was Experten zu den Gesetzen zu sagen haben, stimmen sich mit der eigenen Partei ab und verhandeln mit Vertretern anderer Parteien über Kompromisse. Dazu kommen Interviews, Bürgeranfragen und Empfänge von Vertretern aus dem Wahlkreis. 60 bis 80 Stunden kommen so schnell zusammen.
Doch was passiert genau, wenn wir gestresst sind?
Entsprechend führe Dauerstress zu ernsten gesundheitlichen Problemen: "Burnout oder Herzkrankheiten können da die Folge sein", sagt Marion Predikant. Die Medizinerin weist auch darauf hin, dass Flüssigkeitsmangel und Stress in einer Wechselwirkung miteinander stehen können. Hat jemand also eine geringe Stressresistenz und trinkt zudem wenig, kann er schnell krank werden.
Nach den beiden Notfällen in dieser Woche – den Betroffenen geht es dem Vernehmen nach wieder besser – sind nun Veränderungen geplant: Im Sitzungssaal des Bundestags werden Defibrillator, ein Sauerstoff Notfall-Set und ein Notfallkasten installiert, damit die Ärzte unter den Abgeordneten im Ernstfall schnell helfen können. Und auch über eine Entzerrung und Begrenzung der Sitzungszeiten wird diskutiert. Es gibt etwa den Vorschlag, dass Debatten nicht mehr nach 1 Uhr nachts stattfinden sollen. Das wäre vermutlich ein erster wichtiger Schritt dafür, dass Fälle wie die von Matthias Hauer und Simone Barrientos nicht mehr so häufig vorkommen.
(pcl/tkr)