Bis vor Kurzem war sie noch unbekannt: Swetlana Tichanowskaja. Das hat sich nun geändert. Bild: imago images / ITAR-TASS
International
10.08.2020, 12:1010.08.2020, 15:30
Swetlana Tichanowskaja wollte nie Präsidentin werden. Bis Mai war die 37-jährige ehemalige Übersetzerin eine Unbekannte, jetzt war sie die stärkste Konkurrentin des belarussischen Autokraten Alexander Lukaschenko und machte ihm die sicher geglaubte Wiederwahl zu seiner sechsten Amtszeit schwer. Doch Tichanowskaja, deren politische Positionen etwa zu Russland bislang vage bleiben, geht es nach eigenen Angaben nicht um Macht.
"Jeder weiß, wie ich hier gelandet bin: Aus Liebe zu meinem Mann", sagte Tichanowskaja Mitte Juli. "Ich mache weiter, was er angefangen hat."
Ihr Mann, der bekannte 41-jährige Youtuber Sergej Tichanowski, war im Mai festgenommen worden. Die Behörden warfen ihm Gewalt gegen einen Polizeibeamten vor. Die Wahlkommission belegte ihn mit einem Kandidaturverbot. Später wurde Tichanowski außerdem beschuldigt, Massenunruhen organisiert und mit russischen Söldnern zusammengearbeitet zu haben.
Demokratiebewahrerin Tichanowskaja
Den Menschen in Belarus wollte seine Frau, die zuletzt vor allem Hausfrau und Mutter war, "die Chance geben, eine Wahl zu haben". Dafür nahm die ausgebildete Englisch- und Deutsch-Lehrerin viel in Kauf.
Denn unter dem seit 1994 amtierenden Präsidenten Lukaschenko gehen die Behörden massiv gegen die Opposition vor. Mehrere potenzielle Präsidentschaftskandidaten sitzen im Gefängnis. Mindestens 1100 Menschen wurden laut der Menschenrechtsorganisation Wiasna seit Mai bei Wahlkampfveranstaltungen festgenommen. Einen Tag vor der Wahl wurden auch zwei enge Vertraute von Tichanowskaja festgenommen: ihre Wahlkampfleiterin Maria Moros bereits zum zweiten Mal und ihre Mitstreiterin Maria Kolesnikowa, die später wieder auf freien Fuß kam.
Alexander Lukaschenko ist Machthaber in Belarus.Bild: imago images / ITAR-TASS
Ihre Kinder im Alter von fünf und zehn Jahren hat Tichanowskaja aus Angst um ihre Sicherheit ins Ausland gebracht. "Glaubt ihr etwa, dass ich keine Angst habe?", rief Tichanowskaja bei einer Wahlveranstaltung in der Kleinstadt Maladsetschna Ende Juli tausenden Zuhörern zu. "Jetzt ist die Zeit, dass jeder seine Angst überwinden muss."
Bei Wahlsieg hätten Oppositionelle befreit werden sollen
Ohne politische Erfahrung ist es der ehemaligen Übersetzerin gelungen, tausende Unterstützer auf die Straße zu bringen, sowohl in der Hauptstadt Minsk als auch in kleinen Städten. Dabei präsentierte sie sich als "ganz normale Frau und Mutter" – leider erfolglos. Hätte sie gewonnen, wollte sie ihren Mann und andere Oppositionelle befreien, ein Verfassungsreferendum abhalten und freie Wahlen ansetzen.
Am Montag erklärte jedoch die Wahlkommission Staatschef Alexander Lukaschenko zum Sieger der Präsidentenwahl. Der 65-Jährige habe 80,23 Prozent der Stimmen bei dem Urnengang am Sonntag erzielt, teilte Wahlleiterin Lidija Jermoschina am Montag in Minsk als vorläufiges Ergebnis mit. Lukaschenkos Gegnerin, Swetlana Tichanowskaja, kam demnach nur auf 9,9 Prozent der Stimmen. Sie kündigte bereits an, eine Niederlage nicht anzuerkennen. Ihre Unterstützer hatten nachts zu Tausenden gegen Lukaschenko und Wahlfälschungen protestiert. Es gab viele Verletzte und Festnahmen.
(vdv/afp)
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