Als Präsident Donald Trump in der Wahlnacht im Ostsaal des Weißen Hauses vor seine jubelnden Gäste trat, warf er sich in Siegespose. Ganz anders nun sein erster öffentlicher Auftritt seit dieser denkwürdigen Nacht. Beim 17-minütigen Monolog im Presseraum des Weißen Hauses wirkt Trump am Donnerstagabend gedämpft und gar nicht in der Kampfstimmung, wie man sie von seinen Wahlkampfauftritten kennt.
Angesichts einer drohenden Niederlage führte er ohne jegliche Belege eine Reihe von angeblichen Manipulationen der Abstimmung vom Dienstag an. Dabei sieht er sich weiterhin und trotz noch laufender Auszählung in einer Reihe von Staaten als legitimer Sieger.
Er wolle die Amerikaner über seine "Bemühungen zum Schutz der Integrität unserer sehr wichtigen Wahl" informieren, sagt Trump. Was er eigentlich meint, sind seine Bemühungen, eine drohende Niederlage gegen seinen Herausforderer Joe Biden um jeden Preis abzuwenden. Trump behauptet, würden nur legitime Stimmen ausgezählt, würde er die Wahl "mit Leichtigkeit" gewinnen. Der Präsident macht Manipulationen dafür verantwortlich, dass Biden in wichtigen Bundesstaaten aufholt. Er tut so, als wäre es bei einer Stimmenauszählung ausgeschlossen, dass ein Kandidat den anderen überflügeln könnte. Zumindest dann, wenn der ursprüngliche Spitzenreiter Trump heißt.
"Das ist ein Fall, wo sie versuchen, eine Wahl zu stehlen", sagt Trump – mit "sie" meint der Republikaner Bidens Demokraten. "Sie versuchen, eine Wahl zu manipulieren. Und das können wir nicht zulassen." Er beklagt, dass er in der Wahlnacht in Pennsylvania um 700.000 und in Georgia um 300.000 Stimmen vor Biden gelegen habe - und dass dieses Plus seitdem stetig abnehme. Während er spricht, schrumpft sein Vorsprung in den beiden Bundesstaaten weiter zusammen. Trump will dagegen mit "einer Menge Klagen" vorgehen. "Letztendlich habe ich das Gefühl, dass die Richter entscheiden müssen", sagt er. Kurz danach verlässt er den Raum, ohne Fragen zu beantworten.
Der Moderator des Trump-kritischen Senders CNN sagt zu dem Auftritt: "Was für ein trauriger Abend." Daniel Dale, ein CNN-Reporter, der es mit Trump-Faktenchecks zur Bekanntheit gebracht hat, meint auf Twitter: "Ich habe alle Ansprachen von Trump seit 2016 gelesen oder angeschaut. Das ist die unehrlichste Ansprache, die er je gehalten hat."
Mehrere große TV-Sender brachen die Übertragung der Trump-Rede angesichts der haltlosen Vorwürfe sogar ab, darunter MSNBC, CBS und ABC.
In einem Tweet von Präsidentennichte Mary Trump - die vor einer Wiederwahl ihres Onkels gewarnt hat - heißt es: "So sieht es aus, wenn ein Verlierer verliert." Allerdings wird Trump nicht nur von den üblichen Verdächtigen angegriffen. Mit seinen wilden Betrugsvorwürfen steht er auch im eigenen Lager zunehmend isoliert da.
Der republikanische Kongressabgeordnete Adam Kinzinger schreibt auf Twitter: "Wenn man berechtigte Bedenken wegen Betrugs hat, muss man Beweise vorlegen und sie vor Gericht bringen." Die Verbreitung von Falschinformationen müsse aufhören. "Das wird langsam verrückt." Senator Pat Toomey - auch er ein Republikaner - sagt CNN: "Mir ist kein nennenswertes Ausmaß an Betrug bekannt. Niemand hat mich auf etwas aufmerksam gemacht, das mich veranlasst zu sagen, dass es einen riesigen Betrugsfall gibt, der sofort angegangen werden muss."
Selbst bei Trumps Haussender Fox News klingt die Moderatorin nach dem Auftritt des Präsidenten zweifelnd. "Er sagt, wir haben so viele Beweise, so viele Belege, dass die Wahl gestohlen wurde", sagt sie. "Die müssten dann also vorgelegt werden, wenn es sie tatsächlich gibt." Was Trump ebenfalls schmerzen dürfte: Sogar die von ihm zuletzt hochgelobte Boulevardzeitung "New York Post" – die eine Wahlempfehlung für ihn aussprach – übt Kritik. "Präsident Trump wiederholte seine haltlose Behauptung, dass politische Gegner versuchten, die Wahl zu stehlen", schreibt das Blatt nach seinem Auftritt. Trump wolle nicht anerkennen, dass die Wahl noch im Gange sei - und dass legitime Stimmen ausgezählt würden.
(hau/dpa)