Eine absurde Idee, denkt Mathelehrerin Rachel, als sie im Radio hört, dass Donald Trump Lehrer mit Schusswaffen in den Unterricht schicken will.
Fünf Tage zuvor waren 17 Kinder bei einem Highschool-Amoklauf in Florida ermordet worden.
Rachel (Name von der Redaktion geändert) ahnt zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass die Schüler sie und 19 weitere Kollegen bereits zu ebenjenem "Verteidigungskommando" auserkoren haben und bald eine An-die-Waffen-Liste kursieren wird. watson dokumentiert das Chaos, das daraufhin entstand:
Es ist 12.18 Uhr, Mittagspause in der Schulkantine in Kalifornien, als Rachel und die anderen Lehrer eine Nachricht über den E-Mail-Verteiler erhalten. Absender ist ein Kollege, der Leiter der Umwelt-Projektgruppe. Er hat zusammen mit seinen Schülern eine Liste der Lehrer erstellt, die die Kinder für den Waffendienst und ein "spezielles Trainings-Erlebnis" vorschlagen würden. Betreff: "The Twenty".
In der Mail befinden sich zwanzig Nachnamen aus dem Kollegium fein säuberlich untereinander notiert, keine Erklärung, nur ein Nachtrag: "Glückwunsch an alle, die es auf die Liste geschafft haben. Noch mehr Glückwünsche an alle, die dort nicht sind." Rachels Name ist darauf.
"Ich fand das Ganze erstmal lustig", erzählt die 32-Jährige. "Ich vermute, ich bin auf der Liste gelandet, weil mich die Schüler für sportlich und tough halten. Ziemlich durchsetzungsfähig." Aber einige Lehrer sind unsicher: Ist das jetzt ein Witz?
Rachel unterrichtet seit acht Jahren Teenager und hat auch schon geschossen. "Auf einer Shootingranch in Reno", sagt sie. "Aber wie soll das auf dem Campus aussehen? Ich glaube, kein Schüler fühlt sich sicher, wenn er weiß, dass sein Lehrer eine Knarre hat..."
Es ist zu dem Zeitpunkt nicht klar: Ist das ernst oder Satire? Unabhängig davon: Nicht jeder kann darüber lachen. Die Schüler haben einen Nerv getroffen. "Beim Lunch gab es plötzlich kein anderes Thema mehr", so Rachel.
Einige ihrer Kollegen sind verletzt, auf der Liste zu stehen, andere gekränkt, nicht mal von den Kindern in Betracht gezogen worden zu sein. Einige Lehrkräfte flüchten sich in Galgenhumor. "Die eigentliche Frage ist doch: Wer beschützt MICH hier?", so eine Kollegin. Der Kunstlehrer ergänzt: "Die Projektgruppe sollte sich lieber auf den Klimawandel konzentrieren - ein weiteres Herzensprojekt des Präsidenten..."
Welcher der Kollegen wäre der beste Schütze? Und in welcher Situation darf man seine Schüler eigentlich genau umlegen? Auch Rachel beginnt, sich diese Fragen ernsthaft zu stellen. "Ich würde erst zur Waffe greifen, wenn Schüsse von Seiten des Schülers fallen. Aber es gibt ja kein Protokoll – wenn das Ermessensfrage bleibt, werden wir die selben Probleme bekommen, wie heute mit Polizeibrutalität", sagt sie.
Am nächsten Morgen kurz vor Acht trudelt die erste Kündigungsdrohung per Mail beim gesamten Kollegium ein, auch Rachel kann sie lesen. Ein Lehrer, der die Diskussion sowohl "lächerlich" als auch "absolut verstörend" findet, wird deutlich: "Wenn die Zeit gekommen ist, dass wir Waffen mit in die Schule nehmen dürfen (und dafür noch belohnt werden), bin ich hier raus. Das ist kein Witz. Wirklich nicht."
Am Nachmittag des 23. Februars, 28 Stunden nach der Versendung der "The Twenty"-Liste, findet Rachel eine Entschuldigung an alle in ihrem Postfach. Jetzt steht fest: Die Mail war wohl satirisch gemeint. "Ich habe bei einigen von euch Ängste ausgelöst und bereue das", schreibt der Leiter der Umwelt-Projektgruppe, der den Ärger ausgelöst hatte. Es tue ihm auch leid, den Schülern das Gefühl gegeben zu haben, sie dürften darüber entscheiden, welcher ihrer Lehrer bewaffnet würde.
Das ganze Chaos hat die Lehrer und Schüler der High School letztlich zusammen geschweißt – für Mitte März planen sie einen gemeinsamen Protestmarsch. Währenddessen kündigte Trumps Bildungsministerin Betsy DeVos an, "besonders geeignete Freiwillige" an Schulen schon bald finanziell zu unterstützen, sollten sie eine Waffenausbildung durchlaufen.
Wie so etwas enden kann, durfte man gestern an einer High School nur zwei Autostunden von Rachels Schule erfahren: Dort hatte ein Lehrer versehentlich einen Schüler angeschossen, als er den Kindern zeigen wollte, wie man eine Waffe korrekt sichert.
"Das ist das Problem: Je mehr Waffen an der Schule sind, desto größer die Gefahr, dass Menschen sterben", sagt Rachel. Sie hofft weiterhin, dass alles als schlechter Scherz endet.