Es sind "nur" Kommunal- und Regionalwahlen, die heute in Russland stattfinden. Trotzdem sind die Wahlen für die russische Opposition enorm wichtig und erhalten auch international viel Beachtung.
Im Fokus des landesweiten Urnengangs steht die Hauptstadt Moskau, wo seit Juli nahezu wöchentlich Demonstrationen gegen den Ausschluss von Oppositionskandidaten stattgefunden hatten.
Bei den Protesten kam es in den vergangenen Wochen zu massiver Polizeigewalt gegen friedliche Demonstranten. Tausende Menschen waren vorübergehend festgenommen worden. Am Samstag kamen die bekannte Aktivistin Nadeschda Tolokonnikowa und weitere Mitglieder der Punkband Pussy Riot vorübergehend in Polizeigewahrsam. Sie wollten in der Stadt ein Banner mit der Aufschrift "Putin, geh von selbst!" aufhängen.
In der russischen Hauptstadt sind 7,2 Millionen Bürger aufgerufen, die 45 Abgeordneten des Stadtparlaments zu wählen, das von der Kreml-Partei Einiges Russland dominiert wird. Offiziell tritt am Sonntag kein Politiker für diese Partei an.
Der führende Oppositionspolitiker Alexej Nawalny rief die Moskauer auf, strategisch klug zu wählen und ihre Stimme denjenigen Politikern zu geben, die die besten Aussichten haben, die Kreml-treuen Kandidaten zu schlagen. "Der einzige Weg, 'Nein' zu sagen, ist ein koordiniertes Votum für die stärksten Rivalen der Kandidaten von Einiges Russland", erklärte der 43-Jährige.
Die prominente Anwältin Ljubow Sobol, die für Nawalnys Anti-Korruptionsstiftung arbeitet, unterstützte seinen Aufruf. "'Smart voting' ist ein Protest", betonte sie. Sobol war einen Monat lang in einen Hungerstreik getreten, nachdem sie von der Kommunalwahl in Moskau ausgeschlossen worden war.
Auch der nach 50 Tagen aus der Haft entlassene Oppositionelle Ilja Jaschin rief zur "smarten" Abstimmung auf. Er veröffentliche bei Twitter ein Bild mit dem Kandidaten seiner Wahl. Der populäre Kommunalpolitiker hatte ebenfalls keine Registrierung erhalten. Jaschin hatte zuletzt fünf Arreststrafen von jeweils zehn Tagen absitzen müssen. Er nannte die Haft eine "Geiselnahme", um ihn im Wahlkampf aus dem Verkehr zu ziehen. Die Justiz hatte ihm vorgeworfen, zu Massenprotesten aufgerufen zu haben.
Die Kommunal- und Regionalwahlen in Russland gelten als wichtiger Stimmungstest für die Parlamentswahl im Jahr 2021 sowie für Kremlchef Wladimir Putin, der seit 20 Jahren in wechselnden Positionen das Ruder in Russland in der Hand hält.
Die Chefin des Analyseinstituts R.Politik, Tatjana Stanowaja, sagte der Nachrichtenagentur AFP, der Wahlkampf habe eine wachsende Kluft offenbart zwischen den russischen Behörden, die den Status quo erhalten wollten, und Bürgern, die sich einen politischen Wandel wünschten. "Die Wahl des Moskauer Parlaments ist zu einem Lackmustest für die Fähigkeit der Behörden geworden, diese neue Realität anzuerkennen", betonte Stanowaja.
(fh/dpa/afp)