International
01.04.2019, 23:4701.04.2019, 23:53
In eineinhalb Wochen will Großbritannien die EU verlassen. Doch noch
immer ist im Unterhaus keine klare Lösung in Sicht, wie ein
ungeordneter Brexit noch zu verhindern ist. Denn die Briten wissen offenbar nur, was sie nicht wollen.
- Auch im zweiten Anlauf hat sich das britische Parlament nicht auf eine Alternative zum EU-Austrittsabkommen von Premierministerin Theresa May einigen können.
- Das Unterhaus lehnte am Montag alle vier zur Abstimmung stehenden Vorschläge für eine engere Anbindung an die EU nach dem Brexit oder ein zweites Referendum ab.
- Nun dürfte die Suche nach einem Ausweg aus dem Brexit-Dilemma am Mittwoch weitergehen. Das Kabinett tagt bereits an diesem Dienstag.
Was, wenn es keine Brexit-Einigung gibt?
Kommt das völlig zerstrittene Parlament nicht bald zu einer Einigung,
drohen ein Austritt aus der Europäischen Union ohne Abkommen am 12.
April oder eine erneute Verschiebung des EU-Austritts - mit einer
Teilnahme der Briten an der Europawahl Ende Mai als Folge.
Für die Abstimmung am Montagabend hatte Parlamentspräsident John
Bercow vier Vorschläge ausgewählt. Chancen auf eine Mehrheit wurden
im Vorfeld vor allem den beiden Alternativvorschlägen für eine engere
Anbindung Großbritanniens an die EU eingeräumt. Ein Antrag sah vor,
dass das Land nach dem Brexit in der Zollunion bleibt. Das soll
gesetzlich verordnet werden. Einem anderen Vorschlag zufolge soll
Großbritannien zusätzlich im Binnenmarkt bleiben. Bei den
Testabstimmungen gab es aber für keine der Varianten eine Mehrheit.
Parlamentspräsident John BercowBild: X00514
Die Regierungschefin hatte sich seit Langem darauf festgelegt, sowohl
Zollunion als auch Binnenmarkt zu verlassen. Die Mitgliedschaft in
der Zollunion würde es London unmöglich machen, Freihandelsverträge
mit Drittländern auszuhandeln. Der Binnenmarkt ist nicht ohne die
Personenfreizügigkeit für EU-Bürger zu haben.
Es war lange nicht die erste Brexit-Abstimmung
Die beiden anderen Vorschläge sahen die Möglichkeit für ein zweites
Referendum vor. Auch dafür gab es im Unterhaus nicht ausreichend
Unterstützung.
Auch eine erste Abstimmungsrunde über Alternativvorschläge hatte in
der vergangenen Woche keine Klarheit gebracht. Alle acht Optionen,
die den Abgeordneten dabei zur Abstimmung vorlagen, wurden abgelehnt.
Etwa ein Dutzend halbnackter Demonstranten störte die Debatte in dem
altehrwürdigen Unterhaus. Sie hatten ihre Hände Berichten zufolge mit
Sekundenkleber an der Glasscheibe befestigt, die die Besuchergalerie
vom Plenarsaal trennt. Auf ihre Körper hatten sie Schlagwörter wie
"Klima-Krise" geschrieben.
Was die EU sagt
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker forderte vom Unterhaus
rasche Klarheit über die britischen Pläne. "Eine Sphinx ist ein
offenes Buch im Vergleich zum britischen Parlament", sagte er in
Saarbrücken. "Und wir müssen diese Sphinx jetzt zum Reden bringen. Es
reicht jetzt mit dem langen Schweigen."
Juncker beklagte, dass in Sachen Brexit "niemand weiß, wo es
langgeht". Die EU wisse, was das Parlament nicht wolle: "Was es aber
will, haben wir bislang noch nicht in Erfahrung gebracht." Falls die
Briten bis zum 12. April nicht ausgetreten seien und es zu einer
Verlängerung der britischen Mitgliedschaft komme, "dann muss
Großbritannien an der Europawahl teilnehmen, das ist Vertrag".
Auch der Brexit-Beauftragte des Europaparlaments, Guy Verhofstadt,
forderte das Unterhaus auf, endlich zu einer Lösung zu kommen. "Der
Brexit ist kein böser Aprilscherz, sondern eine tragische Realität
für alle unsere Bürger und die Wirtschaft", twitterte Verhofstadt.
EU-Unterhändler Michel Barnier hatte vorige Woche signalisiert, dass
die EU die Politische Erklärung zum Brexit-Vertrag binnen 48 Stunden
nachbessern könnte, wenn sich die britischen Abgeordneten für eine
engere Bindung an die Staatengemeinschaft entscheiden sollten.
Was passiert beim No-Deal-Brexit?
Bei einem Brexit ohne Abkommen - den auch das britische Parlament
nicht will - werden chaotische Folgen für die Wirtschaft und andere
Lebensbereiche befürchtet. Ursprünglich wollte Großbritannien schon
am 29. März aus der EU austreten. Doch das Parlament ist so
zerstritten, dass der Termin nicht zu halten war.
Am späten Montagnachmittag wurde im Parlament zudem über eine
Petition für einen Widerruf der EU-Austrittserklärung Großbritanniens
beraten. Sechs Millionen Briten haben die Online-Petition bereits
unterzeichnet - ein Rekord. Die Regierung teilte aber bereits mit,
dass sie eine Rücknahme der Austrittserklärung ablehnt und sich an
das Referendum von 2016 gebunden fühlt. Damals hatte eine knappe
Mehrheit der Briten für die Scheidung von der EU gestimmt.
Online-Petitionen dürfen alle britischen Staatsbürger - auch im
Ausland - und Einwohner Großbritanniens unterzeichnen. Das Parlament
muss zu Petitionen mit mehr als 100 000 Unterzeichnern eine Debatte
zulassen. Gerüchte, die Petition sei durch Unterschriften aus dem
Ausland verfälscht worden, wies das zuständige Komitee zurück. Etwa
96 Prozent der Unterzeichner seien aus Großbritannien.
Die Parlamentarier hatten am vergangenen Freitag Mays Abkommen zum
dritten Mal abgelehnt. Es wird nicht ausgeschlossen, dass sie noch in
dieser Woche ihren Deal dem Unterhaus zum vierten Mal zur Abstimmung
vorlegen könnte. Auch über eine Neuwahl wird im Land zunehmend
diskutiert, um aus der Brexit-Sackgasse herauszukommen.
(hau/dpa)
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